Re: Eddies Plattenkiste: Millenium

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Slothrop

Registriert seit: 07.07.2008

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Watershed ist das neue Werk der schwedischen Kunst-Todesmetaller Opeth betitelt – ein Name, der Bände spricht. Schließlich hatte die Band sich nach ihrem durchwachsenen letzten Longplayer Ghost Reveries in eine Sackgasse manövriert und zu allem Überfluss nahmen nach der darauf folgenden Mammuttour auch noch Drummer Lopez und Gitarrist Peter Lindgren reißaus. Man befand sich also buchstäblich an einer Wegscheide, die drei Optionen offen hielt: Feierabend, so weiter machen wie bisher und auf hohem Niveau stagnieren oder aber sich in unbekanntes Gelände vorwagen. Mastermind Mikael Akerfeldt hat sich – dem Satan sei Dank – für letzteres entschieden.

Verstärkt durch Fredrik Akesson (Ex-Arch Enemy) an der Klampfe und Martin Axenrot (Bloodbath) an den Drums haben die Schweden es tatsächlich geschafft, das abwechslungsreichste, komplexeste und schlichtweg beste Album ihrer an musikalischen Glanzleitungen sicher nicht armen Karriere einzuspielen. Aber der Reihe nach: Eröffnet wird der Reigen mit „Coil“, einem reduzierten Folksong mit Nick-Drake-Anleihen und hübschem Frauengesang, und man reibt sich erst einmal verwundert die Ohren: Ist das hier Damnation Pt. II, oder was? Doch bevor man ernsthafte Bedenken anmelden kann, grätscht mit „Heir Apparent“ das wohl brutalste Stück der Bandhistorie mit Macht dazwischen: Blastbeats, waghalsige Breaks und völlig abartige Growls prägen diese Abfahrt von einem Song, der an einigen Stellen erkennen lässt, warum Akerfeldt in Interviews immer wieder auf Scott Walkers The Drift zu sprechen kommt. Killer!

Das darauf folgende „The Lotus Eater“ ist für mich der Signatursong der Platte und beweist endgültig, dass die Band mittlerweile jenseits aller Konventionen in ihrem ganz und gar eigenen Universum agiert. Filigranes Geprügel kippt abrupt um in sparsam instrumentierte Ambient-Flächen, bevor ein zum Sterben schönes Gitarrensolo dem geneigten Hörer eine Dosis Schlafmohn in die Lauscher träufelt. Dieser, noch ganz besäuselt von der ihm entgegenwehenden Grandezza, taumelt anschließend durch ein Funk-Intermezzo, Carlos Santana winkt wissend von ferne, und ehe er sich versieht, reißt ihn ein Malstrom aus monolithischen Riffs in Stücke. Unbe-fuckin’-lievable!

Es folgt mit „Burden“ eine astreine Siebziger-Psychedelic-Oper, für die die Requisite von Camel, Caravan und King Crimson geplüdert wurde – eine Moritat, die Herr Akerfeldt mit der vielleicht besten Gesangsleistung seiner Karriere veredelt. Weiterer Höhepunkt: Ein flirrend-irres Hammond-Solo. „Porcelain Heart“ kriecht dann fies angedoomt aus den Boxen und wartet mit fein gesponnen Akustikinterludien auf, während „Hessian Peel“ schließlich Elemente der Still Life-Phase mit Folk und Crimson-Anleihen amalgamiert, wobei der Song nach verhaltenem Beginn urplötzlich seine häßliche Fratze zeigt und sich zu einer alles vernichtenden Klangwalze verdichtet. Der Rausschmeißer „Hex Omega“ reißt dann am Ende alles in den Abgrund: Desperater Klagegesang wird von komplexem Riffing und Per Wibergs Mellotron-Einschüben konterkariert, die für Opeth typischen laut-leise-Dynamiken sind hier am prägnantesten ausgearbeitet. Ein würdiger Abschluss eines Wunderwerks.

Mit Watershed haben sich Opeth zwischen alle Stühle gesetzt und herrschen dennoch uneingeschränkt. Gerade im Metal gilt Experimentierfreude nicht gerade als Primärtugend; umso verwunderlicher ist es, dass Opeth mit ihrer Durchmischung von technisch versiertem Death Metal und versponnener Progrock-Psychedelik scheinbar einen Nerv getroffen haben – die Verkaufszahlen der letzten Alben sprechen für sich. Es würde mich daher schwer verwundern, wenn Watershed nicht den vorläufigen Karrierehöhepunkt einer Band markierte, deren schwindelerregender Aufstieg absolut unwahrscheinlich war und vielleicht gerade deshalb ohne Kalkül von statten ging. Opeth haben mit dieser Platte Hasard gespielt und alles gewonnen: mehr Entgrenzungswille, mehr freigeistige Verrückheit und Liebe zum Detail war nie. Watershed ist die Platte des Jahres 2008 für jeden scheuklappenfreien Metal-Connaisseur. Daran konnte auch Metallicas „Death Magnetic“ nichts ändern. Eat your heart out, Lars Ulrich!

http://www.youtube.com/watch?v=Vm3XZeRyTHg

http://www.youtube.com/watch?v=aSSLXMzxxP8

http://www.youtube.com/watch?v=DnD2maKnVBA


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"Out in a bloody rain to feed our fields Amid the Maenad roar of nitre's song And sulfur's cantus firmus." Richard Wharfinger: The Courier's Tragedy http://www.lastfm.de/user/mossmoon