Re: PLAYLIST OF THE WEEK

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palez

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St. Vincent – Strange Mercy

Es ist ein verlockender Gedanke, dass Annie Clark (alias St. Vincent) und EMA, die ein anderes großes Singer-Songwriter-Album des laufendes Jahres herausgebracht hat, im Vorfeld auf dieselbe Highschool gegangen sind. Abgesehen davon, dass die faktische Sachlage dagegen spricht, wären sie einander dort aber vermutlich eh nicht begegnet. Ihr Zugang zur Thematik ist von Grund auf verschieden; wo Erika M. Anderson eine rostige, blutverschmierte Rasierklinge in ihrer Hand einschließt und mal schaut, was passiert, arbeitet Annie Clark mit einem frisch desinfizierten Skalpell. St. Vincent hat vom sogenannten Amerikanischen Traum mit den Cheerleadern und den Football Coaches und den Schönheitschirurgen durchaus ’nen leichten Knacks weg, erzählt auch darüber, ohne aber sich selbst zum Abschuss freizugeben. Noch lieber seziert sie diese ganzen merkwürdigen Leute von den Highschool-Abschlussbällen, holt die Geschwüre des Grotesken aus ihren Gummikörpern und hält sie unter Stroboskoplicht.

St. Vincent operiert mit musikalischen Mitteln, die die Songs mit gleichen Kräften sowohl Richtung Pop als auch Richtung Avantgarde zerren; einerseits die strenge melodische Klarheit, das hochpräzise Herzschlagmetronom, das auch im Stolpern vom Titeltrack nie sein Ziel aus den Augen verliert. Andererseits ist die musikalische Ausgestaltung abenteuerlich widersprüchlich, denn hier trifft pastellfarbene Maschinenmusik auf Funkrock-Gitarren, die keine mehr sind, weil vor dem ersten Akkord der Achselschweiß weggetupft wurde. Im Spannungsverhältnis entstehen auf „Strange Mercy“ dabei die größten Hits, sei es die vergnügt zynische Single „Cruel“, das frenetische „Northern Lights“ oder das narkotisierende „Surgeon“, bei dem die Dosis am Ende aber dennoch nicht ausreicht, um nichts mehr von der Armamputation zu merken. Was natürlich völlig im Sinne der Erfinderin ist. Verantwortlich für diese gruselige Effizienz und die Mikrometerschärfe der Werkzeuge ist John Congleton, bekannt als Sänger der großartigen The Paper Chase und bekannter als Produzent von unterr anderem Explosions In The Sky, Erykah Badu, The Appleseed Cast, Baroness, The Roots und Marilyn Manson. Ein wenig merkt man, dass Clark von ihrer Bühnenerfahrung mit „Age of Adz“-Sufjan Stevens profitiert hat. Im Gegensatz zu seinem elektronischen Kinderzimmer gibt es hier aber nichts, was den Eindruck eines Zufalls erwecken will.

Die für das Klangkonzept notwendige Unnahbarkeit und Unverwundbarkeit kann einen durchaus erst einmal einschüchtern, doch glücklicherweise lässt St. Vincent dem Hörer zumindest manchmal die „seltsame Gnade“ zuteil, nach der das Album benannt wurde. „Champagne Year“ darf in seinem harmonischen Schwebezustand bleiben, ohne vom sonstigen Bohren und Fiepen und Löten gestört zu werden, eine künstlich warme Roboterumarmung. Und dann verfügt Annie Clark auch über eine Stimme, die gerade aus dem Grund super zur Musik passt, weil sie in einer solchen Umgebung normalerweise nichts zu suchen hätte. Eine tiefe, elegante, verführerisch vibrierende klassische Bardivenstimme ist es, die hier so souverän durch das alltägliche Gruselkabinett führt, und sollte Clark irgendwann auf die Idee kommen, das Telefonbuch von Tulsa, Oklahoma rückwärts einzusingen, ich würde immer noch an ihren Lippen hängen.

http://www.youtube.com/watch?v=bpOajSNSSrI
http://www.youtube.com/watch?v=RGIbR5jdA58

Elysian Fields – Queen of the Meadow

Jennifer Charles von Elysian Fields (nicht zu verwechseln mit einer fast gleichnamigen Metalband) hat ebenfalls die Ausstrahlung einer Barsängerin, dabei aber kaum etwas Divenhaftes an sich, denn sollte sie tatsächlich das Potential zur glassprengenden Stimmgewalt haben, hält sie es nicht für nötig, es zu zeigen. Die musikalische Umgebung, in der sie singt, erscheint auf dem 2000 veröffentlichten „Queen of the Meadow“ auch sofort plausibler als bei St. Vincent. Die Drums schleichen auf Zehenspitzen um das potentielle Opfer, Gitarre und Bass dürfen Akzente setzen, die an tiefen Blues erinnern, Violine und Klavier sorgen manchmal für schmierige, stark parfümierte Dramatik, eine Akustikgitarre begleitet den Hörer ins Reich der Träume und die Hammondorgel zaubert dekorative Spinnweben in die Zimmerecken. Sehr verraucht, sehr langsam, irgendwo zwischen Mazzy Star, PJ Harvey anno ’95, Jazz und Nick Cave and the Bad Seeds. Sirene Jennifer Charles stöhnt und haucht Texte zwischen Edgar Allan Poe, softem Halloween-Grusel und romantischen falschen Versprechungen. Sie bewegen sich durch den Raum als farbige Rauchschwaden, vernebeln das Bewusstsein des Hörers und injizieren eine angenehme, tödliche Müdigkeit in seinen Körper, der er sich nur allzu gerne ergibt. Jennifer Charles steht sogar dann im Mittelpunkt der Songs, wenn sie gar nicht singt; Oren Bloedow ist im verträumt-sehnsüchtigen, folkigen Titelstück die Stimme derer, die sich nicht aus ihren Fängen befreien konnten. Mit ihrem geballten Sexappeal kann die Musik der Elysian Fields einen bei der ersten Begegnung noch durchaus erschlagen, es dauert auch nicht lange, bis sie alle Hörgewohnheitslücken füllt. Für mehr gefällt sie sich aber zu sehr in ihrer Pose, schnell verfällt sie dadurch in Eindimensionalität. Möchte man seine langjährige Lebensgefährtin betrügen, gibt es wahrscheinlich keine bessere Wahl als die „Queen of the Meadow“; sie ist unheimlich verführerisch und unendlich begehrenswert. Aber sie hat nicht den Wunsch, für einen mehr zu sein als eine Affäre, und nichts dagegen, sich im Wandschrank zu verstecken, wenn die Lebensgefährtin unerwartet früh nach Hause kommt. Man sollte sich aber die Ernüchterung ersparen und kein tiefergehendes Gespräch mit ihr anfangen, geschweige denn überhaupt etwas von ihr zu erwarten. Die größte Stärke der Elysian Fields ist auch das Limit ihrer Möglichkeiten. Viel mehr als verführen haben sie offenbar nicht drauf, zumindest darin sind sie aber hervorragend.

http://www.youtube.com/watch?v=kkgdo2o5x7M
http://www.youtube.com/watch?v=AsWPALNE47Y

Suicide – Suicide

Gonna crash
Gonna die
And I don’t care

http://www.youtube.com/watch?v=jnCB-3jklfM
http://www.youtube.com/watch?v=_5wJQkvSoOQ

Ansonsten:

Lisa Germano – Geek The Girl
La Dispute – Wildlife
Lou Reed & Metallica – Lulu
Dancing mad Gods Trip Hop-Sampler für Tiz