Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)

Home Foren Maximum Metal Plattenladen Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen) Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)

#6359791  | PERMALINK

palez

Registriert seit: 04.01.2007

Beiträge: 10,795

1932 fand man zum ersten Mal Kornkreise in Kanada.
1959 lief die erste Folge der amerikanischen Mystery-Serie „The Twilight Zone“ im Fernsehen.

2009 und 2010 veröffentlicht die Chicagoer Band Ga’an den (neuen) Soundtrack dazu.

Sobald man den ersten Ton des selbstbetitelten Debütalbums von Ga’an vernimmt, betritt man eine neue Welt: eine dunkle, eine gut versteckte, eine vielleicht sogar verbotene Welt. Es ist, als würde man durch einen engen unterirdischen Tunnel kriechen müssen, um dorthin zu gelangen. Für diesen Eindruck des Obskuren ist einerseits der relativ geringe Bekanntheitsgrad der Band und die Tatsache, dass man nach Exemplaren der Kassette ziemlich lange erfolglos suchen kann, verantwortlich, andererseits auch die Musik selbst. Es ist dieser Sound, der die Stücke umhüllt und ihre Stimmung kaum besser akzentuieren könnte; sehr lo-fi, von atmosphärischem Rauschen umhüllt, weich und dicht und genau das, was die zwischen Psychedelic Rock und rituellem Dark Ambient angesiedelten Songs zum Funktionieren brauchen. Von ihm wird alles verwischt und weichgezeichnet, bis man in der Finsternis der Umgebung ganz belanglose und alltägliche Gegenstände und Bewegungen für Geisterwesen hält. Die Melodien werden von Keyboards getragen, die teilweise klingen wie der Sountrack zu Science Fiction-Serien aus den 70ern, aus der Ferne auch für Kirchenchöre gehalten werden können, und einem ebenfalls sakralen onomatopoetischen Frauengesang, der lieblich und hoch ist und eine Klangfarbe mit Wiedererkennungswert besitzt, dabei aber fast bis zur Verschmelzung mit den Keyboardflächen harmoniert. Eine Gitarre gibt es nicht, und auch sonst nichts, was die Musik auf dem Boden der Tatsachen halten könnte. Die Rhythmussektion übernimmt eher die Aufgabe, ein ritualistisches Flair zu erzeugen, klingt antreibend und schwerelos, versinnbildlicht die Flucht des in der fremden, dunklen, verbotenen Welt Verlorenen, der die Geisterstimmen, die ihn verfolgen, aber nicht loswerden kann. Und die er vielleicht auch nicht loswerden will…zu betörend ist ihre Anwesenheit, zu schön die wohligen Schauer, die sie den Rücken herunterlaufen lässt, der Sog der irrlichternden, düster-magischen Melodien zu stark, um sich ihm zu entziehen.

Offensichtlich ist schon allein aufgrund des Klangbildes eine starke Retro-Affinität, da wäre es eigentlich nur natürlich, dass die Band deutlich hörbare Wurzeln und Vorbilder hat. Es ist dabei allerdings nur auf dem ersten Blick leicht, sie zu finden; die wichtigsten Vertreter des Kraut- und Psychedelic Rocks der späten 60er und frühen 70er weisen noch nicht diese konzentrierte, ernsthafte Düsternis, den Hang zur Vertonung von okkulten Ritualen auf, nicht diese besondere Form von Dramatik. Ga’an können spätestens dann nicht mehr als reine Genre-Tributband bezeichnet werden, wenn deutlich wird, aus wie vielen verschiedenen Stilen und Äras sie ihre Inspiration beziehen; hinter einem Sound, der alle Stücke klingen lässt wie eine 40 Jahre alte, verlorene Rehearsal-Aufnahme von Magma (plus Valiumkonsum, Sinn für effektiven, hypnotischen Minimalismus und Todessehnsucht), finden sich auch Verweise auf den Dark und Ethereal Wave der 80er und 90er und den Drone und Dark Ambient der 90er und 00er in der Musik. „Children of God“, das Grande Finale des gleichnamigen Swans-Albums von 1987, und das Live-Tondokument vonn Lycia schweben immer als ungefähre Ahnungen über dem Geschehen.

Stärker als auf das Zeremonielle und Sakrale sollte man sich auf „Call of the Black Equus“, einer 18-minütigen EP mit einem einzigen Song, auf die erwähnten Einflüsse aus Drone und Dark Ambient konzentrieren. Das neue zeitliche Format, in dem die Musik sich entfalten darf, eröffnet der Band zahlreiche neue Möglichkeiten; Möglichkeiten, die sie zu nutzen weiß, was ihr hervorragend steht. Ga’an haben die Arrangements und Strukturen ihres ätherisch-düsteren Psychedelic Rocks gelockert, ihn entfesselt, mit dem Ergebnis, dass kühle, frische Luft das Stück durchströmt und die Musik nun eher nach sternenklarer Nacht als nach Zauberwald und Sektenzeremonien klingt. Gerade instrumental nimmt man sich Zeit und sich im Vergleich zum Debüt stark zurück, setzt nun eher gezielt Akzente, als Klangschicht über Klangschicht zu einer blickdichten Decke zu weben. Im Vordergrund steht nun der Gesang Lindsay Powells, der seit der s/t eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen hat: ihr Timbre bleibt vertraut, doch anstatt im Chor mit dem eigenen Echo und den Keyboards Dämonen zu beschwören, singt sie nun leidenschaftlich langgezogene, schamanistisch angehauchte Verse hinaus in eine nächtliche Schwärze, in der ihre Stimme die größte und wärmste Lichtquelle bleibt. Die Instrumente drehen ihre elliptischen Flugbahnen in größeren Abständen von ihr, sie bleibt der Fokus der Aufmerksamkeit und treibt das schwerfällige, sich endlos in alle Richtungen ausbreitende Stück zu immer neuen Intensitätshöhepunkten an. In manchen Momenten scheint es, als laufe die Band Gefahr, an ihren eigenen großen Ambitionen zu scheitern, wie sie dann aber in den letzten Minuten ihren Songkoloss auf einen Klimax zusteuern lässt, der den vorhergehenden mehr als würdig ist, ist ergreifend und bewundernswert und macht „Call of the Black Equus“ zu einer der besten Veröffentlichungen von 2010.

2011 sollen das selbstbetitelte Debüt sowie „Call of the Black Equus“ zusammen mit einigen neuen Songs über Captcha Records auf LP neu veröffentlicht werden (mit einem Release auf CD ist momentan nicht zu rechnen). Wer also noch einen Soundtrack für lange und ungemütliche Wanderungen durch den verschneiten Wald bei sternenklarer Nacht braucht, sollte diese Band im Auge behalten.

Bei last.fm gibt es die s/t zum kostenloses Download (Moloch sollte sich ein neues Wort für den Spruch in seiner Signatür überlegen :haha:).