Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)

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Ilo

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Garstiger Jungsdrone, Pt. 1: Boris a.k.a. Jedes Album ist ein Ü-Ei

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Es gibt Bands, die brauchen eine Demo, eine EP, vielleicht ein, vielleicht zwei Alben, um ihren Stil zu finden, welcher dann auf die restliche Diskographie ausgeweitet und bestenfalls perfektioniert wird. Und es gibt Boris.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1994 hat das japanische Quartett 17 Alben veröffentlicht, zwei weitere sind noch für dieses Jahr angekündigt. Das und die Tatsache, dass Boris sich nie mit einem Stil alleine zufriedengeben konnten zeigt, dass hinter all dem Musiker stecken, wessen Köpfe vor Ideen förmlich zu platzen drohen müssen. Doch was machen, wenn man weder Zeit noch Geld hat, sich durch diese üppige und stetig wachsende Diskographie zu kämpfen? Einen guten Überblick verschafft schon ihr zweites Album „Amplifier Worship“ aus dem Jahr 1998, welches auf gerade mal 5 Stücken äußerst amtlich zusammenfasst, was da später noch auf zahlreiche Veröffentlichungen ausgeweitet und neu konzertiert werden soll.

„Huge“ eröffnet das Album so bedrohlich, wie nur ein Album bedrohlich eröffnet werden kann. Stille. Rauchartige, bedrohliche Klänge. Ein fieses, tonnenschweres Riff a la Admiral Angry, bei dem der Titel „Huge“ absolut Programm ist. Und diese Stimme. Wie eine Kreatur, welche sich schleppend aus den Tiefen der Unterwelt befreit wirkt dieser Anfang von „Amplifier Worship“, und es ist eigentlich ein recht treffendes Bild um zu beschreiben, was da später noch kommen wird.

Wer es sich einfach machen und ignorieren möchte, was abseits stilistischer Grenzen an gefühlstechnischer Tiefe in jedem einzelnen Boris-Song oder Album steckt, der könnte das Schaffen dieser Band auf eine Hand voll stilistischer Grundsäulen reduzieren. Die da wären: Bösartigster Sludge, schriller, effektbeladener und abgefahrener Noise, psychedelischer Prog, dreckiger Rock’n’Roll sowie (und deswegen sind wir ja alle hier): Drone. All diese „Grundsäulen“ (wenn man so will) sind mehr oder weniger auf „Amplifier Worship“ enthalten: Ist „Huge“ noch, wie gesagt, recht straighter, böser Sludge, wird es später in „Hama“ mit einer sehr psychedelischen Schlagseite weitaus rockiger, ja ansatzweise auch noisiger. Und das abschließende „Vomitself“ beendet das Album mit derartigen finsteren und bösartigen Drone, dass selbst das anfängliche „Huge“ oder die Großtaten von Bands wie Sunn O))) zeitweise in den Schatten gestellt werden. Doch schon die Tatsache, dass ich nur drei von fünf Songs des Albums so mehr oder weniger eindeutig einer dieser Säulen zuordnen kann zeigt, dass Boris keine Band ist, welche man einfach so abstempeln und in eine Schublade stecken kann.

Denn gerade gegen Mitte (welche von Song 2-4 ganz schön groß ist!) verschmelzen die Grenzen. Wer „Amplifier Worship“ ohne Vorkenntnisse von Genre-Arten und Zitaten hört käme auch gar nicht erst auf die dumme Idee, dass man hier einfach so viele Genres wie möglich auf einen Haufen werfen wollen würde. Zu natürlich wirkt die Entwicklung im Laufe des Albums, zu homogen trotz aller Zitate. Die Übergänge sind grandios: „Kuruimizu“ führt das rockige von „Hama“ gekonnt fort, entwickelt sich dann aber nach und nach in derartig himmlische und idyllische Sphären, dass es einen den Atem verschlägt. Im Laufe der darauffolgenden zehn postrockig-angehauchten Minuten tut sich in Sachen Melodie-Variationen nicht sonderlich viel. Das passt aber schon so, denn in diesen zehn Minuten schwebt man so wie man noch nie aufgrund Musik schweben durfte. Die Grenzen zwischen Himmel, Hölle und Erde waren selten so verwischt, selten so nah beieinander.

Dass Boris als erste Stellvertretend für den „Jungsdrone“ stehen dürfen mag gerade in Verbindung mit einem Album wie „Amplifier Worship“ bezeichnend sein. Doch einfach die Kollabo-Alben mit Merzbow oder mit Sunn O))) oder andere Platten der Band zu nehmen und dann zu sagen „Das sind die Drone-Größe Boris“ wäre mir zu wenig. Das würde der Band einfach nicht gerecht werden, denn diese Band kann man wie gesagt nicht einfach einer Richtung zuordnen. Doch eben die Tatsache, dass ihre Musik bei aller Variabilität immer wie aus einem Ganzen wirkt, so als fließe alles ineinander, macht sie für mich zu ganz besonderen Vertretern dieser Sparte, und dadurch doch irgendwie einordbar.

Für Boris könnte man einen neuen Spartenbegriff einführen, und wenn auch nur dann für diese eine Band: Post-Drone.

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P.S.:

„Amplifier Worship“ ist der wohl schönste und für ein solches Album treffenste Albumtitel der gesamten Musikgeschichte.