Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)

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palez

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Gerade, als ich dabei war, meinen nächsten POTW-Eintrag zu planen (Ja, am Mittwoch. Nein, ich hatte in dem Moment echt nichts Besseres zu tun.), durchschnitt eine dringende Frage meine Gedanken: Wozu habe ich denn diesen Thread hier in all seiner „Weil mir grad danach ist“-Mäßigkeit…

Eine kurze Geschichte von Paula über Wolves In The Throne Room und für alle, die Happy Ends mögen

Auch wenn ich damit mehrere Wochen zu spät sein dürfte (tut mir ganz doll sorry, Lazytown, aber du hast ja jetzt eh schon ’ne eigene Meinung), hier mal meine völlig irrelevante Meinung zu einem im Gegensatz dazu höchst relevanten Beitrag zum Metalgeschehen 2011. „Celestial Lineage“ also. Das vierte Album von Wolves In The Throne Room, das dritte im medialen Brennpunkt, in den bei weitem nicht nur die einschlägige Metalpresse die Band gerückt hatte. Siehe: Die sogenannte „Spiegel“-Kontroverse, die von lichtscheuen und besitzergreifenden Puristen unnötigerweise überhaupt erst zu einer gemacht wurde. Das letzte Album von Wolves In The Throne Room, das im bandinternen Selbstverständnis deshalb vielleicht wichtigste, weil es auch der Abschluss einer Trilogie ist. Das zweite, das die auf dem umjubelten Zweitwerk „Two Hunters“ gemachten Versprechen einlösen, und das erste, das die Enttäuschung, die auf „Black Cascade“ folgte, ausbügeln soll.

Es war dann ja doch kein gänzlich unplausibler Gedanke, der mir nach mehreren letztendlich ernüchternden Durchgängen von „Black Cascade“ in den Sinn kam; vielleicht sind WITTR doch nicht die großartigen Songwriter, für die ich sie zu halten bereit war. Was „Diadem of 12 Stars“ und insbesondere „Two Hunters“ ausmachte, war ihre Amosphäre, die Ahnung von feuchter Luft und knirschenden Zweigen, war ihr dunkler Schimmer und die wohligen Schauer, die er hervorrief, war das für seine Ansprüche beinahe perfekte Klangbild. Das wurde mir umso deutlicher bewusst, als das alles auf „Black Cascade“ fehlte. Ohne das letztendlich tragende vermeintliche „Beiwerk“ waren die Songs zwar immer noch gut und stilvoll, hatten aber viel von ihrer Faszinationskraft verloren, und wirkten zu kalt und gehalten, als dass Wolves In The Throne Room als die rabiatere Ausgabe ihrer Selbst funktionieren könnten.

Nun gab es bei „Celestial Lineage“ aber mehrere Paradigmenwechsel, und ich habe selbst im Vorfeld am wenigsten geglaubt, wie positiv sie sich auf die verfahrene kreative Situation im Hause WITTR auswirken würden. Das 4 Songs pro Album-Dogma wurde aufgegeben, die Stücke sind erstaunlich kurz („Thuja Magus Imperium“ ist mit 11:44 Minuten der längste). Auf „Two Hunters“, dessen wenige, aber prägnante Ideen pro Song nach gewissenhafter Ausarbeitung und Unterordnung gegenüber der Atmosphäre verlangten, hätte diese Herangehensweise nicht funktioniert. Auf „Black Cascade“ hatten die Songideen nichts, dem sie sich unterordnen konnten (und das ihnen also Sinn verlieh). Also mussten die Kompositionsprinzipien geändert werden. Statt Ausdehnung jetzt also Verdichtung – und es ist erstaunlich, wie gut es hier funktioniert. Der Opener „Thuja Magus Imperium“, ihr vielleicht bester Song, bringt auf den Punkt, was „Celestial Lineage“ ausmacht: Schon dieser erste und absolut beeindruckende Auftritt der wieder mit der Band zusammenarbeitenden Jessika Kenney erfüllt den Klangraum mit einer großen, elektrisierenden Spannung. Man hat diese Stimme vermisst, doch noch mehr hat man die Umgebung vermisst, in der sie wirken könnte und die ihr „Black Cascade“ nicht bot. Dabei hängt auch der beste Spannungsaufbau von seiner möglichst wirksamen Auflösung ab (looking at YOU, Echtra), und auch hier geben Wolves In The Throne Room sich keine Blöße. Es folgen: Wolkenbrüche, Hagelstürme, ein kurzes, aber schier zerreißend intensives Gitarrensolo, ein hochdynamisches Drumming, das gegen die Selbstbeherrschung angehtt, welche auf dem Vorgängeralbum kultiviert wurde, Melodiebögen von einer Größe, die man, egal, wieviel man von der Band vorher hielt, ihr nicht zugetraut hätte. Kaum zu fassen, wieviel Selbstbewusstsein Wolves In The Throne Room in den zwei Jahren seit „Black Cascade“ erlangt haben. Sie haben den Gipfel, den höchsten Crescendomoment, den sie zuvor nur gelegentlich streiften, gefunden und tausendfach vergrößert, sie zerschlagen mit tänzerischer Eleganz die Grenze zwischen Besinnung und Besinnungslosigkeit, hinter der nächtliche Schwärze mit einem blendenden Gleißen und der freie Fall mit einem Gefühl der Erhebung gleichgesetzt werden. In seiner Art, wie es Intensitätshöhepunkte aneinanderreiht (und dabei die Nahtstellen komplett verschwinden lässt – hier ist alles ein organisches Ganzes), fühlt „Thuja Magus Imperium“ sich an, als würde der Körper von mehreren Tausend Volt durchströmt werden. Das Beste an „Celestial Lineage“: Genau dieses Grundgefühl wird auf den folgenden Songs beibehalten.

Auch im kaum zweiminütigen Interludium „Permanent Changes in Consciousness“ kommt der Puls nicht wieder herunter auf einen Normalwert. Wenn auch in ambientartigen Zwischenspielen wie dem genannten Track und „Rainbow Illness“ doch scheinbar nicht viel passiert, das klangliche Gesamtbild präsentiert sich als eine impressionistische Aufschichtungsarbeit, mit deren Entschlüsselung und Neuzusammensetzung man Stunden verbringen könnte. Jedes kleine Detail ist faszinierend und bringt das Gesamtwerk umso mehr zum Strahlen. Weil Wolves In The Throne Room hier alles und sofort wollen, die innere Einkehr genauso wie die Ekstase, die virtuose Kompositionskunst genauso wie den atmosphärischen Blindgang, gilt auf „Celestial Lineage“ das Unterordnungsprinzip nicht mehr. Nun war schon oft das Einzige, wessen sich Künstler, die alles und sofort wollten, rühmen konnten, das noble Scheitern. Bei WITTR wird diese nur scheinbare Überambition dabei nicht zum Stolperstein, sondern zum Motor ihrer Songs. Dass die Band nicht den Zeitpunkt abwartet, an dem es am besten ist, einen bestimmten Trumpf auszuspielen, sorgt völlig überraschenderweise für ein überwältigendes Ergebnis. So schwächen die kristallinen Synthesizer die rohe Wucht von „Subterranean Initiation“ zu keinem Moment ab, sondern gebären im Schlussteil eine Melodie, die den Song erst vollendet. Auch die recht angriffslustige Gesamtattitüde von „Astral Blood“ wird nicht vom Einbruch des Unerwarteten in den Schatten gestellt. Die pendelnde Tonfolge, die die Harfe einleitet, ist ein Walzer auf Black Metal-Fundament, immer entlang am Rand der Klippe und mit dem Blick auf den Abgrund gerichtet.

Auch Ruheinseln entwickeln hier ihre ureigene Anziehungskraft. „Woodland Cathedral“ verharrt in seiner sakralen Starre und ambientalen Rhythmuslosigkeit, stark verzerrte, aber vollkommen ruhige Gitarren und Orgeln steigen langsam auf und setzen sich an den inneren Wänden der Kirchenkuppel ab. Jessika Kenneys Choralarrangements sind der Mittelpunkt dieses Stücks und das irreale, aber warme Leuchten, das von ihm ausgeht. Für einen Moment können sie sich in die Höhe schrauben und gegen die Harmonie des Songs angehen, dann fangen sie den Hörer mit seinem erschütterten Gravitätssinn aber umso zärtlicher wieder auf. Das Versinken und Auflösen ist sanft und langsam, am Ende ist man alles, und nichts. Der Schlusstrack „Prayer of Transformation“ ist schließlich ein Requiem, ein Todesmarsch, der seine gravitätische Schönheit durch keine Stimmungs- oder Tempowechsel bricht oder infrage stellt. Hier kehrt ein Album, das zuvor durch einen erhellenden, maßlosen Wahnsinn geglänzt hat, in sich, und findet seinen bestmöglichen Abschluss.

„Celestial Lineage“ ist ein gewaltiger Befreiungsschlag. Diese Musik hat keine Verwurzelung in dieser kleinen, verschworenen USBM-Subszene mehr, die nun von gewissenhaften Minimalisten im Geiste Weaklings wie zum Beispiel Fell Voices, Ash Borer und Lake of Blood beackert wird und der „Black Cascade“ noch in seinem Unterton Tribut gezollt hat. Hier gibt es keine verschiedenen Länderschulen mehr, es werden keine geographischen Grenzen überschritten, wo es keine gibt. Wolves In The Throne Room entsagen hier aber auch den selbstauferlegten Beschränkungen. Daran, was „Celestial Lineage“ an Einfallsreichtum und Intensität in die Waagschale wirft, wäre „Two Hunters“ zerbrochen. Nun heißt dies aber nicht, dieses so wunderbar gelungene Album würde seine Vorgänger in meiner Gunst durch den direkten Vergleich noch sinken lassen – sein Glanz erhellt sie. Beide bekommen ihre dramaturgische Funktion in der Trilogie. Einen besseren Abschluss – sowohl für den Konzeptzyklus als auch für die Bandlaufbahn – hätte es nicht geben können.

http://www.youtube.com/watch?v=1AdfkejJDao
http://www.youtube.com/watch?v=4lmjAgPAc0U