Re: Eine wunderbare Welt gebaut aus dem gärenden Abfall dieser Zivilisation- Bewertungsthread zwischen tonitasten und Dancing Mad God

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Dancing Mad God

Registriert seit: 22.03.2011

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Caspar Brötzmann Massaker – Schwarze Folklore

Der folgende Trip startet mit monotonen, metallisch klingenden Drumschlägen und einer hohl vor sich hinschmirgelnden Gitarre, die eine bizarre, disharmonische Halbmelodie zum Besten gibt. So weit, so gut: Das ist der Stoff, aus dem Albträume entstehen können.
Das Klangbild wird mit zusätzlichen Gitarren angereichert, die immer wieder aufjaulen und wieder verstummen, schließlich wird es ruhig und im Hintergrund jammert ein Synthie. Eine Stimme setzt ein, die nicht singt, sondern erzählt; mit ausdrucksloser Stimme, wie nach einem Schock, berichtet sie über eine verhängnisvollen Marsch in die Berge. Als sie verstummt, hinterlässt sie Lärmflächen, heftige Drums und surreal verfremdete Gitarren – noch kann ich damit wenig anfangen, es gibt keine Orientierung, ich weiß nicht wohin der Song steuert. Nach einer Weile kehrt der Song in sein Zentrum zurück: Apathische Stimme, monoton schepperndes Schlagzeug, ruhige aber verstörende Klangkulisse im Hintergrund. Die Ruhe vor einem bösartigen Sturm.
Der bricht los, als die Gitarren wieder an Gewicht zunehmen, zusammen mit dem Schlagzeug, das periodische Anfälle von Brutalität zeigt, während der Erzähler mit nun besessen klingender Stimme von schwarzen Wänden schwadroniert, die sich vor ihm aufbauen – eine beängstigend okkulte Stimmung wie bei der Walpurgisnacht, wo sich ein Sterblicher mitten in die finstersten Hexenrituale auf dem Blocksberg verirrt hat.

Wenn ich irgendetwas kritisieren müsste, dann vielleicht, dass der Build-up und die Entladung am Ende in keinem Verhältnis stehen – der lärmige Part mit den schwarzen Wänden hätte ruhig länger dauern können. Aber da der Aufbau glücklicherweise nicht bloß aus Langeweile besteht (die ja manche Bands mit „Suspension“ zu verwechseln scheinen), sondern sehr effektiv Stimmung macht, fällt das für mich kaum ins Gewicht. Sehr cooler Song, wie ist denn der Rest des Albums so?

Eivind Aarset & The Sonic Codex Orchestra – Sign Of Seven (Live)

Eine Live-Aufnahme also. Wieso das denn? Nun, weil’s geil ist, offensichtlich.
Eivind Aarset & The Sonic Codex Orchestra spielen jazz-rockigen Lärm, der mir eine Menge Spaß macht, obwohl ich zugeben muss, mit Jazz-Strukturen und Improvisation sonst nur in Ausnahmefällen etwas anfangen zu können. Aber gut, wir sammeln Ausnahmen, bis sie zur Regel werden und meiner Sammlung kann ich hiermit ein neues Prachtexemplar hinzufügen.

Der norwegische Gitarrist und seine Kumpane steigen gleich gut ein mit einem düsteren Grundriff, dem aber die Jazz-Smoothness nicht fehlt, und gelegentlich aufheulenden Bläsern. Natürlich darf auch soundprägende Gitarrenarbeit nicht fehlen, die aber glücklicherweise nie in Angeber-Gefrickel ausartet, sondern mit ihrem noisigen, gewohnte Harmonien elegant umschiffenden Eskapaden immer auch atmosphärisch bleibt.
Besagte Atmosphäre passt besondern gut zum vorangehenden Stück, weil wir die Szenerie des Walpurgis-Rituals weiterhin aufrecht erhalten können, nur dass wir diesmal die Perspektive der Hexen einnehmen. So ist das Ereignis hier nicht von Verstörung und Trauma, sondern von morbider Begeisterung und Ekstase geprägt – wobei letztere insbesondere durch das herrlich fiese Gitarrenquietschen nach sieben Minuten zum Ausdruck kommt. Das Finale, in dem Aarset und Konsorten noch einmal in die Vollen gehen und eine regelrechte (schwarze) Wand aus Geräuschen aufbauen, profitiert besonders vom organisch-unsauberen Live-Sound, sodass ich die Auswahl dieser Aufnahme absolut nachvollziehen kann.

Ein weiteres tolles Stück, das für mich fast schon zu einer Einheit mit seinem Vorgänger verschmilzt und gemeinsam mit Leakh wohl den Höhepunkt des Samplers darstellt. Auch hier frage ich mich, ob ich damit wohl auf Albumlänge etwas anfangen könnte…

Faith No More – Malpractice

Faith No More, eine Band, gegen die ich mich bei der Samplerplanung ja eigentlich etwas gewehrt hatte. Um das gleich vorwegzunehmen: Ich habe nicht viel an „Malpractice“ auszusetzen, das Lied hat toni geschickt beuteschemagerecht ausgewählt und die vier Minuten machen ja eigentlich schon Spaß. Trotzdem habe ich nicht viel Lust, mich mit FNM zu beschäftigen und Mike Patton ist mir nicht unbedingt sympathisch. Dessen Ruf als bedingungsloser Experimentator ist für mich nämlich ein zweischneidiges Schwert: Während ich musikalische Experimente durchaus schätze, wenn sie der Findung eines einzigartigen künstlerischen Ausdrucks dienen, sind sie als reiner Selbstzweck ähnlich wertlos wie grandiose Spieltechnik ohne emotionale Substanz dahinter.

Da das Fazit nun schon gezogen ist, ein paar Worte zum eigentlichen Song: Der macht es mir, wie erwähnt, ziemlich leicht, ihn zu mögen. Die harten Gitarren mit unheilschwangerer Synthie-Untermalung erzeugen vom ersten Takt an eine düstere Atmosphäre, Pattons gemischter Salat aus Gesangsstilen wirkt sinnvoll zusammengestellt und der kleine WTF-Part nach zweieinhalb Minuten mit seinem unschuldig-fröhlichem Glockenspiel-Keyboard verleiht dem Track etwas Besonderes und lässt die sofort wieder einsetzende Finsternis sogar noch etwas bedrückender wirken als zuvor.

Wie gesagt, im Samplerkontext eigentlich alles richtig gemacht. Sollten Faith No More mal ein ganzes Album in genau diesem Stil eingespielt haben, würde ich wahrscheinlich sogar ein Ohr riskieren, aber nach allem, was ich von denen bisher so gehört habe, zweifle ich daran.

Kayo Dot – The Awkard Wind Wheel

Was haben wir hier? Ein unbeholfenes Windrad also. Die Band Kayo Dot kenne ich als Urheber stockfinsterer Post-Rock/Noise-Soundwände, mit denen dieses Stück aber nur wenig zu tun hat.
Stattdessen wird es einmal mehr jazzig. Anfangs relativ chaotisch, woran das hektische Schlagzeug die Hauptschuld trägt, bewegen sich die einzelnen Stränge des Stücks – Synthies, Bläser, Gesang – im weiteren Verlauf immer mehr in eine Richtung, bis Synthesizer und Klarinette (?) nach ungefähr zwei Minuten eine Melodie zum Besten geben, die auch im Intro einer Sitcom aus den 90ern laufen könnte. Danach wird alles wieder jazz-typisch durcheinander gewirbelt, der Sänger taucht nur noch als verzerrtes Rufen weit im Hintergrund auf, was mit eigentlich gut gefällt.
Nichtsdestotrotz fällt es mir extrem schwer, dem Song irgendwelche Gefühle, Bilder oder sonst etwas Greifbares zuzuordnen. Obwohl er gerade mal dreieinhalb Minuten lang ist, empfinde ich ihn als sehr anstrengend und meine Anstrengungen fördern leider nichts zutage, was mir irgendeine Form von Befriedigung verschafft; einfacher ausgedrückt kann ich mit „The Awkward Wind Wheel“ einfach nicht viel anfangen.

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[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]