Re: Eine wunderbare Welt gebaut aus dem gärenden Abfall dieser Zivilisation- Bewertungsthread zwischen tonitasten und Dancing Mad God

Home Foren METAL HAMMER’s Ballroom Meetingpoint User vs User Eine wunderbare Welt gebaut aus dem gärenden Abfall dieser Zivilisation- Bewertungsthread zwischen tonitasten und Dancing Mad God Re: Eine wunderbare Welt gebaut aus dem gärenden Abfall dieser Zivilisation- Bewertungsthread zwischen tonitasten und Dancing Mad God

#6733365  | PERMALINK

Dancing Mad God

Registriert seit: 22.03.2011

Beiträge: 804

The Afghan Whigs – Debonair

Wie geht’s nun weiter? Mit Indie-Pop skandinavischer Machart, der wohl vor allem von Hipstern gehört wurde, bevor die anfingen, sich für Black Metal zu interessieren.
Nein, ganz falsch. Wie die schlaue Tante Wikipedia mir verrät, stammen The Afghan Whigs aus den Staaten und sind Mando Diao und Konsorten ein gutes Jahrzehnt voraus; 1986 gegründet und in den frühen 90ern auf dem Zenit ihres Erfolgs angekommen, spielten die afghanischen Perücken (verdammt, ein h zuviel…was zum Teufen heißt „Whigs“?) solcherlei eingängigen Pop-Rock schon lange, bevor er Anspruch auf den Löwenanteil jeder „alternativen“ Disco-Playlist erhob.
Macht das die Sache jedoch soviel besser? Als Guilty Pleasure wären die Afghan Whigs mit dieser Geschichte im Hintergrund wahrscheinlich wesentlich besser verdaulich, aber wie die Dinge liegen, gibt mir die Musik nicht sonderlich viel.
In den Strophen hält sich die Gitarren dezent im Hintergrund, der Bass brummelt munter vor sich hin, das Schlagzeug macht einen guten Job; im Refrain kriegt man dann ein bisschen mehr von den Gitarren mit (man spielt ja Rock) und über allem thront jederzeit der Sänger mit seinem theatralisch angerauten Vortrag über…habichnichtdraufgeachtet, enttäuschte Liebe wahrscheinlich. Vor meinem inneren Auge steht da ein Mädchenschwarm mit schulterlangem Haar und kalkuliert gewagtem Kleidungsstil, über den sich längst sämtliche H&M-Designer hergemacht haben. ’93 hin oder her, meine Vorurteile kuschen doch nicht vor so ein bisschen Wikipedia-Factcheck…

Fürs Protokoll: Natürlich ist mir bewusst, dass ich der Band wahrscheinlich bitteres Unrecht tue. Aber ebenso ist mir bewusst, dass Lieder wie „Debonair“ mich einfach zu Tode langweilen.

Anacrusis – Tools Of Seperation

Anacrusis lassen es da gleich drei Ecken härter angehen als ihre Sampler-Vorgänger; zumindest lässt die erste halbe Minute darauf schließen, in der auf Verstärker-Brummen thrashige Gitarren und ein Metal-typischer Aufschrei folgen. Die eigentlichen Vocals gestalten sich dann etwas gewöhnungsbedürftig als ein ständiger Wechsel zwischen Klargesang und wütenden Shouts, die beide irritierend genau der Melodie dem Rhythmus des Hauptriffs folgen. Immer wieder eingeschoben wird ein ruhiger Part (ich vermute, es ist eine Art Refrain, bin mir aufgrund der Songstruktur aber nicht ganz sicher), der von Keyboards und cleanem Gesang dominiert wird.
Gleich zweimal gibt es die von mir so heißtgeliebten Gitarrensoli zu hören, einmal als melodiöser Alleingang, der im Kontext des Songs sogar noch irgendwie Sinn ergibt (wenngleich mir das Dargebotene etwas zu cheesy klingt) und dann – nach einem coolen ruhigen Part mit Feedback, unverzerrter Gitarre und dezenten Keys – noch einmal in Form der typischen nichtssagenden Fingerübung, auf die Fans klassischen Metals so abfahren.
Tja, und dann klingt der Song auch schon aus, mit leiser werdenden Drumschlägen und einem weit in den Hintergrund gerückten, fast sakral anmutenden Singsang, der mir von allen Gesangsleistungen des Liedes fast am besten gefällt.

Wie immer, wenn ich eher das Lied beschreibe, als das, was sich an Bildern in meinem Kopf abspielt, kann man davon ausgehen, dass mein mentaler Projektor mal wieder gestreikt und der Song leider nichts Nennenswertes in mir ausgelöst hat. Für Fans von Thrash-Metal, der sich einige Schritte jenseits der herkömmlichen Genregrenzen bewegt, ist das hier sicherlich interessant; ich aber kratze mich nur kurz am Kopf und wende mich anderen Dingen zu.

Gong – Other Side Of The Sky

In diesem Falle Gong, die mal wieder ein musikalisches Kontrastprogramm verheißen. Nichtsdestotrotz muss ich anmerken, dass der Übergang von Anacrusis besser nicht hätte sein können: Auf das entrückte Säuseln von deren Sänger folgt hier nämlich umgehend eine ebenso entrückte Frauenstimme, die etwas rezitiert, das wie ein Gebet eines matriarchalischen Fruchtbarkeitskultes klingt: „She is the mother of everything and you are her egg!“
Nach dieser fundamentalen Weisheit macht sich der Song daran, langsam aber stetig aus seiner Schale zu schlüpfen, Ton für Ton und Schicht für Schicht von abstrakten elektronischen Klängen, die alleine nichts, aber zusammen zumindest interessant sind; ebenso wie das typische Jaulen von Blechbläsern, das sich in die Collage mischt.
Weitere esoterische Zeilen, diesmal von einer Männerstimme vorgetragen und dann kann man schon das Schnäbelchen des Songs aus der Hülle des Eis hervorlugen sehen…
…das übrigens schwerelos durch die Weiten des Weltalls schwebt. Spacige Sounds dominieren plötzlich den Song und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gong Freunde von Lysergsäurediethylamid und ähnlichen psychotropen Substanzen sind. Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, dass die Blechbläser prägnanter denn je zurückkehren, Psychedelic-Rock-Gitarren und ein orientalisch anmutendes Sprachsample im Schlepptau – und das alles gar nicht mal so out of place wirkt, wie es in meinem Kopf eigentlich sollte. Da besagter Kopf sich aber längst auf der anderen Seite des Himmels befindet und ich gerade sowieso damit beschäftigt bin, meinen drei neuen Armen das Tippen auf einer Laptop-Tastatur beizubringen, sollte ich mir über derlei Details wohl keine weiteren Gedanken machen.

Obwohl Gong wohl dem Psychedelic Rock zugeordnet werden, würde ich sie musikalisch in die Nähe von Psybient-Kram wie den von h0az geliebten Shpongle stellen; und obwohl diese ganze Drogen-Musik nicht so richtig mein Fall ist (Mysticum mal ausgenommen, die dir ja leider nicht gefallen haben), fand ich den Track doch ziemlich cool.

Neneh Cherry & The Thing – Too Tough To Die

Jetzt also John McClanes neuer Lieblingssong, zumindest dem Titel nach zu urteilen.
Monotonie ist ja so eine Sache: Richtig eingesetzt kann sie für sich allein genommen unglaublich intensive Stimmung erzeugen, sie kann auch ein Fundament für verspielte Elemente im Vordergrund sein oder schlicht und ergreifend gähnende Langeweile verbreiten. Hier haben wir es – zumindest über weite Strecken – mit dem zweiten Fall zu tun.

Im Intro sägen tiefe Streicher um die Wette (Cello und Contrabass? Ignorance is piss…), die eine irreführend geruhsame Atmosphäre verbreiten. Nach einer knappen Minute bringt eine vorsichtig groovende Bassline Bewegung in die Sache, die schließlich durch jazzig vertracktes Schlagzeug und ein Blasinstrument (mein Tipp ist diesmal Saxophon) unterstützt wird. Und hier kommt die Monotonie ins Spiel: Die meiste Zeit nämlich spielt das Sax ungefähr das Gleiche wie der Bass, eher einen Rhythmus als eine Melodie, aus kaum mehr als drei Tönen.
Auf diese Bühne tritt nun Nenehs Gesang, der rauchigen Wohlklang zum Besten gibt, sich aber immer wieder auch zu überraschender Stimmakrobatik hinreißen lässt, die mich mangels Referenzen an eine zahmere Diamanda Galás (mit Black-Music-Hintergrund) denken lässt. Das alles ist schon ziemlich cool, aber wenn das Saxophon im Hintergrund auch noch anfängt, ein bisschen Terror zu machen und man sich zwischen spitzen schreien und aufkreischendem Blechbläser fühlt, als hätte man im Zoo die falsche Tür erwischt und sei zur Brutzeit im Schwanengehege gelandet – dann macht „Too Tough To Die“ so richtig Spaß.

Auf Albumlänge ist das erstmal nicht so richtig interessant für mich, außer es ginge da noch etwas dreckiger und lärmiger zu…aber ein schöner Einzelsong ist es allemal.

McSolaar With Ron Carter – Un Enge en Danger

Ron Carter? War der nicht mal US-Präsident? Ach nee, das war der Jimmy.
Wie dem auch sei, hier haben wir französischen Hip-Hop, der…tja…der schon hörbar ist, würde ich sagen. Der Beat wirkt mit seinem gesampleten Saxophon und der melodischen Bassline wiederum leicht jazzig (was auch Sinn ergibt, da dieser Carter wohl Jazz-Bassist ist), der Rap scheint kompetent, verstehen tu ich kein Wort. Insgesamt ist mir alles etwas zu freundlich, ich mag meinen Hip-Hop dunkel und schmutzig (welche Überraschung), das hier ist nicht meine Baustelle.
Natürlich könnte es sein, dass der vordergründig entspannte und sonnenbeschienene Track durch einen bitterbösen Text konterkariert wird – das wäre dann leider eine Perle, die vor die Sau geworfen wurde. So gibt mir das jedenfalls verschwindend wenig.

Clock DVA – Uncertain

Und noch ein weiteres Genre, das mit Jazz gekreuzt wurde – wittere ich da eine Methode im Wahsninn dieses Samplers? Diesmal ist es die Post-Punk-(und später Dark-Electro-)Band Clock DVA, welche ihre Früh-80er-Soundscapes mit experimentellen Jazz-Elementen anreichert.
Für dieses Unterfangen nimmt sich die Band sieben Minuten lang Zeit und das ermöglicht ihnen unter anderem, mit einem mit zweieinhalb Minuten recht ausführlichen „Intro“ zu starten, das durch verhallte Posaunen (?), maschinelle Samples und strukturloses Trompeten-Quietschen einen flächigen Sound erzeugt, der mich an die Ambient-Ausflüge Nils Petter Molværs einige Jahrzehnte später erinnert; die industriell-düstere Atmosphäre der Samples gibt außerdem einen Vorgeschmack darauf, in welche Richtung sich die Band in den 90ern entwickeln sollte.
Schließlich setzen Post-Punk-typische Rhythmen ein, gemeinsam mit Gitarrenlicks, die zwar die jazzige Verspieltheit erhalten, zu meinem Leidwesen aber mit der Dunkelheit des Intros etwas brechen. Dafür, dass diese nicht völlig verschwindet, sorgt allerdings das bedrohlich gequetschte Organ des Sängers, der trotz noch fehlender Verzerrung den größten Wiedererkennungswert mit späteren Werken der Band besitzt. Insbesondere in der zweiten Hälfte gibt es dank vieler elektronischer Spielereien, die auf das Post-Punk-Fundament gestapelt werden, einiges zu entdecken, allerdings muss man sich hier auch besonders konzentrieren, um vom vielschichtigen Sound gefangen genommen zu werden; mir ist es zumindest des Öfteren passiert, dass die letzten Minuten einfach als abstraktes Geräuschgebilde an mir vorbeigerauscht sind.
Die nötige Aufmerksamkeit vorausgesetzt, können Clock DVA mit ihrem Frühwerk den Hörer aber durchaus in eine bizarre Paralleldimension entführen, in der die Sinne getäuscht werden und Orientierung unweigerlich verloren geht. Dafür meinen Respekt.

The The – Giant

The The. Ich nehme an, irgendeine Band musste sich diesen Namen geben, aber dass es schon in den frühen 80ern so weit war…
Wir haben also ein weiteres Mal Post-Punk, der diesmal an der Zehn-Minuten-Marke kratzt. Es beginnt mit dem nervösen Ticken einer hyperaktiven Eieruhr, gefolgt von einem programmierten Beat, der so wirklich nur während der 80er (und diversen Retro-Wellen) möglich war. Die Rhythmus-Fraktion wird von einem deutlich gealterten Keyboard-Effekt und leicht affektiertem Gesang zu einem vollständigen Song ergänzt, durch den zwischendurch noch ein fast karibisch anmutendes Xylophon-Imitat tänzelt. Nach und nach werden zusätzliche Schlagzeug-Elemente zur Melange hinzugefügt und nach vier Minuten sind die Drums Post-Punk-typisch dicht und tragen den Song nach Aussetzen der Keyboards zwischendurch auch problemlos alleine.
Die Vocals werden indessen im Verlauf des Songs durch fast grölenden Chorgesang ersetzt, wie von Hippie-Studenten, die auf weichen Drogen und in der Illusion einer spirituellen Erfahrung um ein Feuer herumtanzen. Die zum Schluss einsetzende Keyboard-Melodie (die noch einmal einen neuen Effekt zu bieten hat – man lässt sich ja nicht lumpen!) könnte in einem anderen musikalischen Kontext als Lichtschimmer wunderbar funktionieren; da der Song aber bereits so lichtdurchlässig ist wie die frischgeputzten Fensterscheiben meines Elternhauses, verpufft dieses Stilmittel leider, ohne mich wirklich beeindrucken zu können.

Und das gilt leider für den ganzen Song. Irgendwie ist er schon nett gemacht, aber für mein Empfinden hat er die vergangenen Jahrzehnte nicht gut überstanden und in rein emotionaler Hinsicht gibt es für mich auch nicht sonderlich viel Veranlassung, mir sowas anzuhören.

--

[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]