Re: Das Beste der Besten – Die Ergebnisse!

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palez

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An Big Exit: Ich bitte um Entschuldigung für die lange Wartezeit. Das war nicht die feine Art und ich habe keine akzeptable Rechtfertigung dafür. Ich hatte Stress und mit dem Sampler Pech gehabt. Damit hätte ich eigentlich rechnen müssen.

Hier die Playlist:

Das Problem bei meiner Herangehensweise an Musik ist, dass ich nicht zwischen „gefällt mir“ und „gefällt mir nicht“, sondern „dazu fällt mir etwas ein“ und „dazu fällt mir nichts ein“ unterscheide. Darkest Hour belegen für mich, dass diese beiden Beurteilungswege durchaus nicht immer die gleichen Ergebnisse liefern.
Denn mir fällt dazu wirklich nahezu nichts ein. Das ist die Art von modernem Metal/Metalcore, an der mein Erfassungsvermögen abperlt wie an einer versiegelten Windschutzscheibe. Die Musik frustriert mich, denn ich habe keine Begriffe für sie. In „Escape Artist (The Circler)“ passiert bei einem im Grunde simplem und hittauglichem Gerüst gerade rhythmisch recht viel, was vielleicht nicht irrsinnig komplex ist und den Hörer nicht aus dem Orbit schleudert, aber dem Song eine angenehme Wendigkeit gibt. Ich merke, dass die Gitarristen versiert sein müssen, und würde gerne anhand ihrer Arbeit an den Saiten die Genreversatzstücke rückkreuzen, aber ich kann nicht. Ich habe nicht nur keine Ahnung von Spieltechnik, sondern auch keine Ahnung von Hardcore, Metalcore oder modernem Melodic Death Metal. Es gibt in meiner Musiksammlung keine Entsprechung für die Musik von Darkest Hour, auch wenn sie mir dennoch keine komplett neue Welt eröffnet. Normalerweise verschleiern blumige Metaphern in solchen Fällen meine Ahnungslosigkeit, aber dazu müsste ich den berüchtigten und launischen Projektor im Kopf zum Laufen kriegen, indem ich irgendeinen emotionalen Bezug zur Musik entwickle, aber den habe ich nicht. Tja, nun. Doofe Sache.

Andererseits, und das frustriert mich nahezu noch mehr als die Tatsache, dass mir nichts Substanzielles zur Musik einfällt, gefallen mir die beiden Stücke von Darkest Hour am Sampleranfang dennoch recht gut, und ich kann nicht einmal ausdrücken, wieso. Ich versuche, es auf den Schreihals zu schieben. Sein Fauchen ist angenehm gehässig und er klingt nicht so, als sei er im Studio mit den Gedanken bereits bei der Steuererklärung gewesen. Wenn die Band mal nicht an der schrecklichen Metalcoregewohnheit festhält, überharmonische M-E-T-A-L-Gitarrenleads aus den 80ern zu recyclen (ich habe früher wenig Einblick in das Genre bekommen, aber genug, um das Interesse zu verlieren), reichert sie ihren Sound mit knackigen und tanzbaren Hardcore Punk-Versatzstücken an und klingt in „Escape Artist“ im Refrain sogar ein bisschen nach Refused. Den Vorteil hat das komplett in Thrash-Manier durchsprintende „Stand And Receive Your Judgement“ nicht, aber es ist trotzdem in Ordnung. Die Band scheint insgesamt in Ordnung zu sein, vielleicht erinnere ich mich an den Namen, wenn ich Lust auf diese Art von Musik habe (kann durchaus vorkommen). Ich hoffe nur, keiner will, dass ich dazu dann was schreibe.

Und als ob Darkest Hour meine Gedanken lesen könnten, treten sie auf „Convalescence“ vom Gas, räumen den ganzen aufhübschenden, sauberpolierten Metalschrott beiseite und lassen einen bescheidenen, irgendwie geknickten Rocksong zum Vorschein kommen. Im Hintergrund arbeiten sich die Gitarristen zwar immer noch an brutal tonlosen Powerchords ab, dafür spielt der Leadgitarrist eine sehr einladend melancholische und einprägsame Melodie, die mich leicht an Wipers auf „Over The Edge“ erinnert. Auch der Schreihals versucht, sich an die diszipliniert melodische Vorlage zu halten, und weil es so wirkt, als sei er „normalen“ Gesang nicht gewöhnt, klingt’s noch mehr nach Wipers. Die Jungs scheinen sich zu fragen, ob aus den Drüsen in ihren Körpern theoretisch auch vereinzelte, ehrliche Tränen kommen könnten und nicht nur der selbsteingenommene Schweiß von Hantelbankjunkies. Gut, das Solo gegen Ende ist ein Musterbeispiel eines unnötigen Solos im Metalkontext (Wipers haben keinen Metal gespielt und hätten sich mit unnötigen Soli trotz Überlängensongs nie aufgehalten), aber zum Glück reagiere ich auf sowas nur leicht ungeduldig und nicht grundsätzlich allergisch. An sich macht die von mir ausgedachte Fragestellung Darkest Hour sympathisch, das Stück ist zwischen fast guten und richtig guten Misery Signals qualitativ (und auch stilistisch) passend platziert und sehr in Ordnung. In Ordnung in Ordnung in Ordnung. Ich geh dann mal meinen Wortschaft erweitern.

Wie man sieht, habe ich mich für die schlimmstmögliche Verrenkung von Kompromiss entschieden. Zwar habe ich beim Darkest Hour-Block, der keiner sein sollte, die von Big Exit vorgegebene Reihenfolge ignoriert, aber auch nur, um sie im letzten Abschnitt zu loben und mir damit selbst für den Misery Signals-Block vorgreifend ein Bein zu stellen. Habe ich ja wieder toll hinbekommen. Aber wenn es darum geht, ihren Song („On Account Of An Absence“) sinnvoll zu gliedern und sich selbst ausreden zu lassen, ist die Band auch nicht wesentlich besser. Damit habe ich gerechnet, das hier ist nicht mein Erstkontakt mit Misery Signals. Wie befürchtet gibt es wieder einige gute und gut gemeinte Versatzstücke, wie zum Beispiel den stimmungsvoll verregneten Anfang, der jäh von überflüssigen Gitarrengimmicks unterbrochen wird, und einen Spoken Word-Part, bei dem der Zeitdruck lauter ist als die Verzweiflung. Auf dem Weg zum besagten Spoken Word-Part überschlägt sich der Song mit rhythmischen Umentscheidungen, was dann eher nach Trepperunterfallen als nach Autounfall klingt, nur um wieder auf den Füßen zu landen. Und dann kommt ein Breakdown. Es gibt weitere Gitarrengimmicks. Breaks. Und ein dreiviertelsekündiges Drumsolo. Wenn mir die Fans dieses Albums, von denen es ja immer noch genug hier geben sollte, nun bloß einen Grund für dieses ständige strukturelle Antäuschen und Ausweichen geben könnten, der über „weil sie es können“ und „dann hör doch Cunthunt777, wenn du zu dumm dafür bist“ hinausgeht. Mit aktuellem Wissensstand und jahrelangem Unverständnis für diese Art von Musik klingt es für mich aber lediglich nach übereifrigen Klosterschülern, die die Bibel originalgetreu vom Deutschen ins Hebräische übersetzen können, ohne auch nur einen Satz daraus verinnerlicht zu haben.

Anscheinend liest Big Exit wieder meine Gedanken. „The Failsafe“ setzt direkt an den Punkten neu an, die ich an „On Accounf Of An Absence“ kritisiert habe. Es bremst und windet sich (nach erneut stimmungsvollem, aber diesmal nicht ganz verschenktem Einstieg) immer noch, diesmal aber ohne Abnahme der Spannung. Die erste Strophe ist virtuos verschraubt, doch an keiner dieser Stellen stockt der Songfluss. Wenn man genau hinhört, erkennt man hinter all den geschickt gesetzten Ablenkungsmanövern einen Song mit Singleambitionen, der im Kern durchaus konventionell aufgebaut ist. Die Dynamik sitzt, die postrockartigen Gitarrenleads auch, beides fast gut genug, um kitschig zu sein. Des positiven Trends wegen kann ich Misery Signals das verzeihen. Nun klingen sie zwar nach Klosterschülern, die ihre ersten, von Goethe, Minnegesangsbüchern und jugendlichem Pathos durchwirkten Liebesbriefe an die Schülerinnen aus dem Konvent nebenan schreiben, aber schließlich haben auch Klosterschüler alle Chancen der Welt, aus der Kirche auszutreten, erwachsen und desillusioniert zu werden und uns davon zu erzählen.

Schön zu hören, dass die Jungs ihre Chance offenbar genutzt haben. „Ebb And Flow“ verfeinert, was die Band auf „The Failsafe“ aus „On Account…“ gelernt hat. Die Wechsel sind noch fließender und eleganter, die Melodien und der Klargesang noch prominenter. Letzterer ist grenzwertig knabenhaft, aber zumindest eingesetzt an den richtigen Stellen. Der eigentliche qualitative Sprung gegenüber „The Failsafe“ besteht aber darin, dass es Misery Signals tatsächlich schaffen, mich emotional zu erreichen, und nicht nur wissen, wie das theoretisch ginge. Gerade in der ersten Strophe klingt der Song nach kolossaler Erschöpfung, der Gesang nach Zusammensinken, während rastlose Drums und Gitarren im Hintergrund weiterhin Autos und Nachrichtentafeln in die großstädtische Vergessenheit schicken. Die unnatürliche Glätte und Kälte, die mir modernen Metal sonst so oft unzugänglich macht, wurde hier wunderbar eingesetzt, um die Stimmung zu tragen. Ein schöner Soundtrack für Straßenbahnfahrten nach Hause in einem verregneten März. Hast gewonnen, Big Exit: zumindest „Controller“ werde ich mir ziemlich sicher bald kaufen.

An Circa Survive und „The Greatest Lie“ liegt es nun, den Part des Samplers ohne Metal-Bratzgitarren einzuleiten. Mal sehen, wann ich beginne, sie zu vermissen.
Jetzt jedenfalls noch nicht. Diese offene Tonfolge am Anfang ist nett, auch wenn sie vermutlich jeder schon mal gespielt hat, der im November sentimental einen verregneten Strand entlanggegangen ist und eine E-Gitarre hat, sogar The Edge von U2. Die Strophen halten zurückgenommen die Stimmung, das Gewicht liegt hier woanders. Der Gesang ist mir im Sound ein bisschen zu weit vorne, aber der Band wird wohl bewusst sein, dass ihr Sänger ihr größtes Alleinstellungsmerkmal ist. Der klingt nämlich wie ein zwölfjähriger Junge, und daraus ließe sich grundsätzlich viel machen. Nur leider gewinnt die Musik von Circa Survive dadurch nicht an emotionaler Tiefe und wird noch nicht mal richtig nervig. Die Phrasierungen sind ziemlich normal und im Refrain, der schön, aber nicht ganz so spektakulär ausfällt wir erwartet, hört man, wie er stimmbrüchig an der Höhenbegrenzung seiner stimmlichen Möglichkeiten scheuert. Hätte die Band dafür mal besser einen richtigen zwölfjährigen Jungen genommen.

So, weil ich „Planting Seeds“ grad nicht in einer vernünftigen Version zur Hand und keine Lust mehr habe (mit der Playlist da oben hat Big Exit mich nämlich alleine gelassen), höre ich an dieser Stelle mal auf. Der Rest wird nicht so lange dauern.