Re: Ein Clown bittet zum Tanz

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Dancing Mad God

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World’s End Girlfriend – Magical Romantic Freestyle

Oook. Zum Einstieg also die finale Lebensabschnittspartnerin der Welt mit einem Songtitel, der auch direkt aus Friendship Is Magic entnommen sein könnte. Ähnlich rätselhaft-verstörend wie die Brony-Kultur gestaltet sich dann auch dieser Song. Er beginnt mit einem freundlichen Sample (Nice to meet you, too!), das mehrfach verzerrt wird und schließlich eine Art Beat bildet, der bald durch eine Melodie abgelöst wird, zu der mir das Bild eines gemächlich durchs Bild watschelnden dicken Mannes in einem alten Zeichentrickfilm vor Augen schwebt. In Kombination mit einsetzenden Marschrhythmen verwandelt sich diese Melodie dann in eine Zirkusparade, wie sie in einem Hati-Sampler wahrscheinlich nicht fehlen darf. Clowns, Akrobaten und Zootiere starten dann, wie sollte es auch anders sein, eine erstklassige B-Boy-Performance, als die Marsch-Perkussion durch rabiate Breakbeats abgelöst wird. Wie zu erwarten war, mischt sich dann noch die sanfte Melodie einer Spieluhr in die Melange, die nach Verflüchtigung der breakdancenden Zirkuscrew, mit Ambientflächen unterlegt, die Zielgerade einleitet.

Oh Mann, was für ein Chaos. Ich nehme mal an, dieser Opener sollte vor allem die (Zirkus-)Marschrichtung vorgeben und war nicht unbedingt dazu gedacht, mir wirklich zu gefallen…denn es ist zwar schon irgendwie lustig, das eine Band ein solches Wirrwarr tatsächlich umsetzt, aber emotional involvieren kann mich das so gar nicht.

Hrsta – Blessed Are We Who Seem To Be Losers

Wesentlich überschaubarer ist da schon das nächste Stück der Vokalverächter von Hrsta. Zu einem kaum merklichen Hintergrundrauschen gesellt sich gleich zu Beginn eine monotone Bassline, die sich die ganzen drei Minuten über nicht verändert. Auf diesem Fundament ertönt ein Saiteninstrument, das ich nicht recht einordnen kann; klingt fast wie eine verlangsamte Sitar oder etwas Ähnliches. Klang und Melodie sind dann auch gleichermaßen fremdartig und haben etwas annähernd Orientalisches an sich, ohne in irgendeine Art von Klischee zu verfallen. Für einen kurzen Moment spüre ich heißen Sand unter meinen Füßen und glühenden Wüstenwind in meinem Gesicht, doch das Lied ist nicht lang genug, um mich wirklich in der Atmosphäre versinken zu lassen; es ist eine kurz aufflackernde Fata Morgana, bevor mich der nächste Song schon wieder in eine ganz andere Richtung führt.

The Electric Hellfire Club – Psychedelic Sacrifice

Heiß bleibt es jedoch, als nächstes geht schließlich der Elektrogrill aus der Hölle an den Start. Nach einem Sprachsample, in der eine Mädchenstimme den Wunschlos-glücklich-Service des Teufels anpreist, beginnt der Club seine Mischung aus Post-Punk und Proto-EBM mit einem gehörigen Schuss 70ern in den Synthies. Am Anfang quietscht noch eine Gitarre auf, dann übernehmen Drums und Bass das Feld. Die melodieführenden Keyboards klingen fast nach Hammond-Orgel und haben etwas Beschwingtes an sich, rechtfertigen auch am ehesten das Wort „psychedelic“ im Songtitel. Die Vocals klingen gequetscht und ziemlich weit in den Hintergrund gemischt, sodass ich nicht viel verstehen kann, doch der gute alte Satan scheint hier eine zentrale Rolle zu spielen. So könnte der Song theoretisch ein bewusstseinserweiterndes Beschwörungsritual sein, wie es der Titel andeutet…doch so ganz funktioniert das für mich nicht. Erstens ist das elektronische Korsett des Songs etwas zu eng und die Spielzeit zu kurz, um die ausladenden Strukturen des Psychedelic-Rock auf den EBM zu übertragen; zweitens sind mir die Melodien zu fröhlich, um das düstere Feeling aufkommen zu lassen, das ich normalerweise mit okkulten Szenarien verbinde. So bleibt ein durchaus netter Song zurück, der allerdings weder Fisch noch Fleisch ist (vielleicht ist das gerade das, was dir daran gefällt…) und mich leider wieder nicht ganz packen kann.

Nurse With Wound – I Cannot Feel You As The Dogs Are Laughing And I Am Blind

Nun kommen wir zu einem der dienstältesten noch aktiven Avantgarde-Projekte, Nurse With Wound. Ganz unbekannt ist mir das Schaffen von Steven Stapleton ja nicht und einen Song seiner Frau Diana Rogerson (a.k.a. Chrystal Belle Scrodd), die gelegentlich mit ihm zusammenarbeitet, habe ich sogar auf meinen eigenen Sampler gepackt. Dennoch ist es mir bislang nicht wirklich gelungen, in seinen Songs mehr als die Geräusche zu hören, aus denen sie zusammengesetzt sind; Emotionen, Bilder oder Atmosphäre (von einer vagen Morbidität mal abgesehen) haben sich mir, sofern vorhanden, nicht erschlossen. Umso interessierter bin ich aber, einen Song zu hören, der in dir, Hati, anscheinend genug auslöst, um ihn auf ein Mixtape zu packen.

Am Anfang scheint zunächst ein Kind seine Spielzeugautos zu zerstören, zumindest ist das der erste Gedanke, den bei diesem blechernen Knirschen habe. Im Hintergrund baut sich derweil ein unheimliches Wabern auf, das eine düstere Grundstimmung erzeugt. Nachdem das metallische Knistern verklungen ist, bilden das Magenknurren einer im Dunkeln verborgenen Bestie und stetig fallende Wassertropfen das Zentrum der Klangkulisse; anscheinend befinden wir uns in einem modrigen Kellergewölbe und haben Gesellschaft, die wir nicht unbedingt kennen lernen wollen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, sobald sich Stimmen in den Sound mischen und die erwartete morbide Atmosphäre regelrecht psychotisch wird: Von entferntem Jammern über wahnsinnigen Singsang bis zu panischem Kreischen wird fast alles aufgeboten, was das menschliche Organ an unangenehmen Lauten hergibt. Mit einem zufriedenen Schmatzen (ob die hungrige Kreatur von vorher da gerade einen unserer Leidensgenossen verspeist?) klingt dieser surreale Albtraum schließlich aus.

Wie bewerte ich das jetzt? Eigentlich fand ich das Lied ziemlich spannend und cool, muss ich sagen; die zehn Minuten sind auch tatsächlich schneller vergangen, als ich das bei derart experimentellem Dark Ambient vermutet hätte. Anders als bei den NWW-Sachen, die ich bisher kennen gelernt habe, hatten die Soundscpaes eine gewisse visuelle Qualität, wenn auch kein so starkes Narrativ vorhanden war, wie ich das bei Chrystal Belle Scrodd empfinde. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob es sich für mich lohnen würde, so etwas zu kaufen, aber es war zumindest ein sehr einnehmender Sampler-Beitrag.

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[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]