Re: Northcore/Deutschsprachiger (Post-)Hardcore/Punk

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palez

Registriert seit: 04.01.2007

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Ich bin momentan sehr großer Fan von Die Nerven. Vor Monaten drehte der Feuilleton noch ihr drittes Album „Fun“ durch seinen Entsafter, „wichtigste deutsche Band der letzten Jahre“ und so – manch einem wird der Bandname noch vage bekannt vorkommen. Hat man so oder so ähnlich auch bei Messer gemacht, da liegt es nahe, dass Vergleiche und Verwechslungsgefahr bestehen. Die Nerven klingen entschieden einfacher, wesentlich weniger feingeistig als Messer, viel mehr nach Neuköln und Wurstbude, aber zum Glück mindestens genauso unnahbar und arrogant. Vor „Fun“ wurde der Habitus gelegentlich übersteigert und damit letztendlich gebrochen; herrlich die Lana Del Rey- und DJ Ötzi(!)-Cover, wunderbar auch die Eruptivität der Songs und Texte, die sich so flüchtigen wie dämlichen Phänomenen (vornehmlich in sozialen Medien) widmen. In „Nichts Neues“ trifft die schwarmdumme Denkdauerschleife frontallobotomierter Social Media-Opfer auf ein instrumentales Schlagen gegen Wände, das so klingt wie Swans, bevor sie gelernt haben, ihre Instrumente zu spielen. In das Stadium können Die Nerven nicht mehr zurück, das kostet sie einen Teil ihrer Subversivität und Eigenständigkeit, ist aber nicht weiter schlimm, wenn dabei Songs wie „Blaue Flecken“, „Ich erwarte nichts mehr“ und „Nie wieder scheitern“ entstehen. Dark Wave-Gitarrennebel trübt den Punk-Tunnelblick, Freiflug und Absturz wie bei den Wipers zu ihren besten Zeiten, Textzeilen, die man in den bröckelnden Putz verlassener Junkie- und Selbstmörderwohnungen ritzen möchte (ich würde gerne so konzise, eiskalt und frei von Pathos und mildernder Ironie schreiben können und bin fast ein bisschen neidisch). Wer jeden Morgen auf dem Leben herumkaut, weil man das ja so macht, es ausspuckt, weil er es nicht verdauen kann, und sich dann wieder von Zigaretten, Schnaps und Kaffee ernährt, hat jetzt den ultimativen Soundtrack dazu.