Re: Provokante politische, soziologische, philosophische Thesen

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blacklebaron

Registriert seit: 29.02.2004

Beiträge: 620

Aquifel

blacklebaron

1.
Wir müssen uns von der zwanghaften (!) Vorstellung lösen, Zwang reflexartig in einem Atemzug mit Unfreiheit zu nennen.*

Dann frage ich dich, wie du Zwang definierst.

Gut, war vielleicht etwas mißverständlich formuliert, denn Zwang ist nicht gleich Zwang. Grob gesagt würde ich zwischen fremden Zwang (> Erpressung, Nötigung) und freiwilligen/selbstauferlegten Zwang (> Selbstdisziplin, Erkenntnis, Vernunft) unterscheiden.

Beispiele:

1. Ich werde zu etwas gezwungen, hatte vorher keine Entscheidungsmöglichkeit und keine Möglichkeit zu Widerstand = unfrei, man könnte auch Erpressung dazu sagen

2. Ich entscheide mich bewußt, ohne äußere Einflüsse, zu einer Handlungsweise und zwinge mich, andere nicht anzuwenden = maximal frei, wobei dies für den Menschen also soziales Wesen hypothetisch ist

2.a. Verhalte ich mich entsprechend meinem reinen Lustempfinden/meinen Instinkten, handle ich auch unfrei: denn Instinkte gleichen unbeeinflußbaren äußeren Zwängen

3. Entscheide ich mich, das die Entscheidungshilfen/Regeln (‚Sollen‘) an-/hinzunehmen, handle ich teilweise frei.

4. Sind die ‚Sollens‘-Regeln die selben wie meine eigenen, so handle ich stets nach meinen eigenen Entscheidungen, bin also maximal frei.

Freilich ist das Thema gar nicht so leicht zu formulieren, ich hoffe das hat weitergeholfen.

Aquifel

blacklebaron

Wäre dies der Fall, dann hieße der logisch umgekehrte Fall Freiheit = Beliebigkeit!

Wobei das Gegenteil von Zwang mitnichten Beliebigkeit ist. Abgesehen davon ist dieser Umkehrschluss wenn A=B ist, ist B=A oder dass das Gegenteil von A = dem Gegenteil von B ist, in vielen Fällen auch nicht gegeben.

Logisch gilt es aber, wenn es sich – wie hier – um Komplementäraussagen handelt!
Was ist dann Deiner Meinung nach das Gegenteil von Zwang?

Aquifel

blacklebaron

Wenn ich entscheiden muß, dann heißt das automatisch, daß ich mich dazu zwinge, alle anderen als die gewählte Handlungsoption zu negieren. Auch dann, wenn eine der anderen Optionen eher meinem momentanen Lustempfinden entspräche.
Zwang ist also wiegesagt eine ganz eigentümlich menschliche „Verhaltensweise“.

Allerdings steckt dadrin keine Freiheit.

Warum steckt darin keine Freiheit, wenn ich mich zwischen Handlungsoptionen entscheiden kann?

Aquifel

blacklebaron

2.
Ich widerspreche der Behauptung, ‚Sollen‘ sei nur ein äußerer Zwang. Der Mensch wendet Zwang gegen sich selbst an, z.B. indem er Entscheidungen trifft (s.o.) und sich in Selbstdisziplin übt.

Wobei da die Frage eine Rolle spielt, wovon dieser innere Zwang bewegt wird. Und ich behaupte, dass dies in der Regel äussere Faktoren sind. Wenn ich eine Entscheidung treffe und etwas wähle, dass mir im Moment eher weniger zusagt als die Alternative(z.B. der Höhlenmensch, der das Korn säht, anstatt es zu essen) und ich mich selbst dazu zwinge, dann eher aufgrund anderer Umstände, z.B. dass es auf lange Sicht gesehen klüger wäre, das Korn einzupflanzen. Hier entsteht der Zwang nicht aus einem selbst heraus, sondern daraus, dass die Konsequenzen der anderen Alternative sich negativ auswirken würden. Ergo wäre die andere Alternative nicht gut. In letzter Konsequenz wird der Mensch sich gegen das sofortige Essen entscheiden und das Korn einpflanzen, aber nur, weil ihm keine Wahl bleibt, wenn er weiter zu essen haben möchte. Darin liegt keine Freiheit. Das ist dasselbe, als wenn ich die Wahl zwischen zwei Parteien habe und die eine den Untergang predigt, während die andere halbwegs vertretbare Ansichten hat. Allgemein gesagt : Wenn nur eine Alternative klug ist, alle anderen eher unwünschenswerte Konsequenzen haben, dann ist die Wahl eingeschränkt und nicht wirklich frei.

Deine Beispiele sind nicht unproblematisch, schon weil sie arg mit normativen Wertungen („klug“/“wünschenswert“) durchsetzt sind.
Der Grundaussage werden sie auch nicht ganz gerecht: natürlich werden sich immer Beispiele konstruieren lassen, in denen eine Handlungsoption deutlich zweckmäßiger ist, als alle anderen. Zweckmäßigkeit hat aber nichts mit Zwang zu tun.
Und schließlich habe ich nicht gesagt, es gäbe gar keine äußeren Zwänge, schließlich gibt es Naturgesetze, Reflexe, Erpressung…. Aber alles was mit ‚Sollen‘ zu tun hat, ist von Menschen gemacht, und würde nicht lange bestehen, wenn’s sich nicht irgendwie bewährt hätte (bewähren meine ich nicht im Sinne normativer Kategorien). Das Sollen gibt mir Entscheidungshilfen, aber es läßt mir eine prinzipielle Wahl.

Aquifel

blacklebaron

Alles ‚Sollen‘ ist von Menschen gemacht, die Natur kennt kein ‚Sollen‘, sondern nur (Kausal-)Zusammenhänge. D.h. auch wenn es vielleicht katalogartig niedergeschrieben ist, so entspringt ‚Sollen‘ immer einem geschichtlichen, kulturellen, sozialen, technologischen, und geistigen Kontext. Menschen machen Gesetze, die Gesetze verändern die Menschen, die Menschen ändern die Gesetze usw.

Du beschreibst gerade selber, warum „Sollen“ dogmatisch ist. Sollen ist vom Umfeld diktiert, daher nicht frei.

Hört sich grad wie bei ’nem orthodox-marxistischen Klassenkämpfer an…
Du solltest mir mal erklären, wer oder was das diktierende Umfeld sind, das klingt sehr nebulös. Sollen das die Naturgegebenheiten sein? Oder irgendwelche Tyrannen / Regenten?
Ich meine, Traditionen, Regeln und Gesetze sind immer Produkt ihrer Umstände, und an denen fabriziert jeder mit, ob beabsichtigt oder nicht, ob mit marginalen oder großen Effekt. Insofern kann ‚Sollen‘ gar kein Dogma sein, denn Dogmas sind unverhandelbar.

Aquifel

blacklebaron

Das Problem ist nur heutzutage, daß viele nicht mehr verstehen, warum die Gesetze so geschrieben worden sind, wie sie es nun mal sind. Man kann und/oder will den „background“ nicht mehr verstehen, man kapiert nicht mehr, was der eigentliche Hintergedanke des ‚Sollens‘ ist.

Darum geht es doch gar nicht. Nicht der Sinn des Sollens ist interessant, sondern die Freiheit im Sollen, bzw. die Zusammengehörigkeit/Identität des Sollens und Wollens.

Wollen und Sollen kann man doch nur über den Sinn einander annähern, wie anders wolltest Du zwischen beiden vermitteln?
Ohne den Sinn des ‚Sollens‘ zu verstehen kann ich doch die Freiheit höchstens der Möglichkeit nach wahrnehmen. Und es wäre schon sehr paradox anzunehmen, die Identität mit etwas herzustellen zu wollen, das ich dem Sinn nach nicht begreife. Die Freiheit im Sollen ohne Sinn ist nix anderes als Kadavergehorsam – da hat der Wille nix verloren, das 3. Reich läßt grüßen.

Aquifel

blacklebaron

Zusammenhänge nicht mehr kennen, nehmen wir das ‚Sollen‘ nur noch als repressiven Verhaltenskatalog wahr.

Wir diskutieren hier über „wahre Freiheit“, die Schöne Seele, die Einheit des Sollens und Wollens auf Basis des freien Willens. Wie gesagt, egal ob das Sollen Sinn macht, frei ist es nur, wenn man ohne äussere Zwänge/Konsequenzen/etc. wählen kann und sich dafür entscheidet. In der Realität ist das natürlich unmöglich, wodurch es sowas wie reale Freiheit gar nicht gibt.

Diesen Absatz verstehe ich nicht ganz, ich weiß nicht, was Du letztendlich zeigen willst…

Aquifel

blacklebaron

Letztlich ist das ‚Sollen‘ nicht moralisch, sondern vernünftig!

Je nach Hintergrund des Individuums und des Sollens stimmt das meistens auch. Nur argumentierst du hier kein Stück dafür, dass das Sollen Freiheit bedeutet. Du erklärst warum es das Sollen gibt, warum es sinnvoll ist, dass es gewisse Zwänge gibt, etc. Aber mehr nicht.

Weil es für die meisten zur meisten Zeit vernünftig ist, sich nach nach den Regeln des ‚Sollens‘ zu richten, bleibt die Freiheit, andere (freie) Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig sinkt die Gefahr, mit meiner „Freiheit“ die „Freiheit“ des nächsten zu beeinträchtigen.

Aquifel

blacklebaron

Warum ist nun absolute Freiheit vorhanden, wenn ‚Wollen‘ und ‚Sollen‘ identisch sind? (Wobei man dazu sagen muß, daß das ein rein hypothetischer Punkt ist, man kann sich dem Punkt höchstens annähern).

Ich hab gerade keine Zeit mehr, daher gebe ich jetzt mal, ohne den Rest zu lesen darauf meine Antwort :

Weil man an diesem Punkt, ist man da angelangt, das Sollen nicht als Sollen, sondern als das, was man will, empfunden wird. Wer keine Drogen nimmt, den stören die Gesetze gegen Drogen logischerweise in der Regel nicht.

Nur der Weg dahin bestimmt, in wieweit das Sollen und Wollen wirklich auf freiem Wege eins geworden sind. Und das geht, mal Zufall ausgelassen, nur durch äusserlichen Druck/Zwang, der Unfreiheit gleich kommt.

Zwar widersprichst Du Dir im letzten Absatz selbst („…freien Wege eins geworden…Druck/Zwang, der Unfreiheit gleich…), aber:
Sicher? Siehst Du prinzipiell die Menschen noch pessimistischer als ich, der ich mir schon große Sorgen mache?
Wobei ich doch noch etwas Hoffnung in Einsicht/Erkenntnis/Vernunft habe, also die frei(willig)e Akzeptanz des „Sollens“.

--

Qui tacet consentire videtur!