Re: Diskografie-Diskussion: Iron Maiden

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MetalEschi

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Iron Maiden – No Prayer For The Dying (1990)

Line Up:

Bruce Dickinson (v.)
Dave Murray (g.)
Janick Gers (g.)
Stave Harris (b.)
NIcko McBrain (dr.)

Wenn Maiden-Fans von “No Prayer For The Dying” sprechen, fällt das Urteil häufig sehr vernichtend aus. Für nicht wenige ist die Scheibe das schwächste Werk der Band, auf jeden Fall aber aus der Bruce-Phase. Dafür gibt es mehrere Gründe: Neben der stilistischen Rückbesinnung zu den rauen, Hardrock-lastigen Wurzeln, die angesichts der anerkannten Klasse des Vorgängerwerks „Seventh Son Of A Seventh Son“ für viele, auch für Teile der Band, eine Enttäuschung war, kritisieren einige das angeblich zu schwache und einfallslose Songmaterial. Sollte die Tatsache, dass Gitarrist Adrian Smith kurz zuvor ausgestiegen war mit dieser „Ideenlosigkeit“ zu tun haben? Neuzugang Janick Gers, den Bruce kurzerhand aus seiner kurz zuvor in Angriff genommenen Solokarriere mitbrachte, hatte jedenfalls eine sehr schwere Rolle einzunehmen, da Adrian zuvor maßgeblichen Anteil an der Musik der Band hatte.
Betrachtet man „No Prayer“ losgelöst für sich alleine, ohne Vergleiche zu den Vorgängern oder Nachfolgern zu ziehen (was bei einer Band wie den Jungfrauen natürlich nicht einfach ist), kann man aber meiner Meinung nach auch den Nummern dieser Scheibe eine gewisse Klasse nicht absprechen. Natürlich erreichen sie zu keinem Zeitpunkt die Magie und den Zauber des nahezu perfekten Vorgängers, „No Prayer“ lässt keine Traumwelten entstehen, seine Stärken liegen woanders. Die findet man bei genauerer Betrachtung gerade in der Spontanität, die es bei Maiden zuletzt zu „Killers“-Zeiten gab, und die findet man dann, wenn man sich dem ungeschliffenen Straßen-Hardrock-Stil dieses Rundlings einlässt. Man findet hier keine ausufernden Epen, keine geheimnisvollen, fast filmreifen Geschichten, hier geht es sehr direkt, teilweise zugegebenermaßen etwas wenig kunstvoll zu Sache. „Tail Gunner“ thematisiert den Bombenangriff der alliierten auf Deutschland, „Holy Smoke“ übt äußerst ironisch Kritik am Katholizismus. „Mother Russia“ ist sozusagen das Epos der Scheibe, auch wenn es fast wie ein unfertiges Demo klingt, irgendwas hat der Song. „Run Silent Run Deep“ ist ein melodischer, mitreißender Arschtreter und Bruce’ Nummer „Bring Your Daughter To The Slaughter“ die bis heute einzige Nummer eins-Single der Band (obwohl sie zunächst nur für Bruce’ Soloscheibe gedacht war).
Der Rest wirkt teilweise in der tat wie füllendes B-Seiten-Material, zum ersten Mal in ihrer Karriere hat sich das Heavy Metal-Flaggschiff einen albumtechnischen Patzer mit ner Menge Durchschnitt erlaubt, was meiner Meinung nach nur noch zweimal, und auch nur in abgeschwächter Form wiederholt wurde (auf Virtual XI und Dance Of Death).
„No Prayer For The Dying“ ist sicherlich nicht das Meisterwerk der Maiden-Disko, umso erfreulicher, dass sie es IMO geschafft haben, zwei Jahre später noch mal ein bärenstarkes Teil nachzuliefern, bei dem der neue eingeschlagene Stil in sich stimmiger wirkt. Werten wir „No Prayer For The Dying“ als Übergangsalbum, dann ist im Grunde alles halb so schlimm.

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