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Iron Maiden – The X-Factor (1995)
Line-Up:
Blaze Bayley (v.)
Dave Murray (g.)
Janick Gers (g.)
Steve Harris (b.)
Nicko McBrain (dr.)
Am 28. August 1993 steht Bruce Dickinson zum (vorerst) letzten Mal mit Iron Maiden auf der Bühne. Im Rahmen von „Raising Hell“, einer zusammen mit Horror-Magier Simon Drake inszenierte Show, die auch live im englischen Fernsehen ausgestrahlt wurde (heute offiziell auf VHS sowie in Bootleg-Versionen auf DVD erhältlich). Angekündigt hatte er seinen Ausstieg bereits ein knappes halbes Jahr vorher, aufgrund musikalischer und persönlicher Differenzen mit Steve Harris. Die Lustlosigkeit ist dem Mann trotz einer professionell-überzeugenden Performance zu jeder Sekunde anzumerken. Sein Ausstieg bedeutet für ihn den Start in eine immer erfolgreicher werdende Solokarriere, die ihn nach einigen Jahren des Experimentierens mit modernen Sounds wieder die Freude am Metal zurückgibt, so dass er eines Tages tatsächlich…
…doch das ist nicht das, worum es hier geht. Iron Maiden selbst (und vor allem Bandleader Steve Harris) standen plötzlich ohne ihr größtes Aushängeschild, ohne ihren live wie auf Platte tragenden Charakter und Sänger da, der vielleicht mehr als jeder andere für den großen Erfolg der vergangenen Jahre verantwortlich war. Natürlich würde Steve nicht aufgeben und natürlich würde er einen Nachfolger finden, doch egal, wer das auch werden sollte, Bruce konnte man, schon alleine wegen seines großen Charismas, keineswegs ersetzen.
So viel die Wahl nach längeren Testphasen, in denen einige ganz große Namen gehandelt wurden, konsequenter Weise auf den ehemaligen Wolfsbane-Sänger Blaze Bayley, einem typischen Asi-Rock N’ Roller, der mit einem komplett anderen Gesangsstil ausgestattet war, mit einer völlig Maiden-untypischen, und bei weitem nicht so voluminösen Stimme. Ob er es schaffen würde, sein Image vom räudigen, ungesitteten Rocker auf den kunstvollen, magischen Frontmann umzustellen, war dabei nur die sekundäre Frage: In erster Linie warteten die Fans auf neue Musik. Und die bekamen sie zwei Jahre nach Bruce’ Ausstieg mit „The X-Factor“, bis heute Steve’s zweitliebstes Maiden-Album (nach 7th Son).
Der Großteil der Fans sieht das freilich anders. Keineswegs ist es aber die düstere, depressive Stimmung, die das Werk zu einem der umstrittensten der Maiden-History macht. Die ist am Ende wohl sogar der größte Pluspunkt dieser Scheibe. Auch das Songmaterial ist, was den kreativen Prozess und die grundsätzlich kompositorischen Gedanken dahinter angeht, bei weitem nicht schlecht. Das Problem liegt (nicht nur) meines Erachtens nach darin, dass Blaze nicht immer dazu im Stande ist, die Ideen seiner Bandmitglieder umzusetzen und vor allem an der Produktion, bei der Steve Harris selbst ordentlich ins Klo gegriffen hat.
Dennoch enthält „The X-Factor“ (wenn man nicht den wohl größten anzunehmenden Fehler begeht und das teil mit den Bruce-Alben vergleicht) einige erstklassige, im den Grundzügen durchaus Maiden-typische Nummern. Die vorab veröffentlichte Single „Man On the Edge“ ist nach wie vor ein Fave vieler Fans, dazu kommen Nummern wie der überlange Opener „Sign Of The Cross“, „2 A.M.“, „The Edge Of Darkness“ oder mein persönlicher Favorit „Judgement Of Heaven“, die allesamt von der schon angesprochenen Düsternis leben, die das Album nicht komplett uninteressant machen, die aber vor allem auch für eine Langzeitwirkung bei einigen Nummern sorgen.
Dennoch: Bei einem Blick auf das Cover, mit dem Maiden-Logo, mit Eddie, da ist etwas vorhanden, was beim Hören der Musik einfach fehlt. Man wartet auf diese ganz besonderen Momente, die die Band bisher ausgezeichnet haben, aber sie kommen irgendwie nicht. So schweift der Blick immer wieder zurück auf das Artwork, und zwangsweise zum CD-Regal, wo die Klassiker stehen, mit dem Bewusstsein, dass das alles schon mal größer, magischer und besser war.
Ein gutes Album ist „The X-Factor“ allemal, aber: Sind das überhaupt wirklich noch Iron Maiden oder nur ein billiger Abklatsch? Nicht wenige haben sich diese Frage gestellt, und viele hatten sie schon für sich (negativ) beantwortet, wie nicht zuletzt der Nachfolger, die Bewährungsprobe für den neuen Sänger, beweisen sollte.
Maiden waren in Gefahr. Trotz aller sehr guten Ansätze auf „The X-Factor“. Denn hier wurde einer Legende der wichtigste Bestandteil weggenommen, und durch einen anderen ersetzt. Und die Veränderungen, die damit einhergingen, brachten diese Legende ordentlich ins Schwanken.
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