Re: Filmbewertungsthread

#1689267  | PERMALINK

palez

Registriert seit: 04.01.2007

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lieber nicht lesen@wer den Film noch sehen will…

Das weiße Band

Mein Gott, was für ein unfassbar deprimierender, grausamer und erdrückender Film.
Stille. Absolute Stille. (fast) Überhaupt keine Filmmusik. Fassungs- und Regungslosigkeit. Schweigen. Alle Gespräche, selbst das aufkeimende Bisschen Hoffnung in der Beziehung zwischen dem Dorflehrer und dem Kindermädchen werden davon erstickt, von der Stille, vom tonnenschweren Druck. Der Erzählstil und die Kameraführung sind durchweg leise und zurückgenommen (dafür umso beklemmender), die Bilder erfüllt von vereistem Stillstand, die schnörkellose Strenge der S/W-Aufnahmen lässt alles noch trostloser wirken. Haneke zeichnete die (männlichen) Erwachsenen als das pure, abgrundtiefe Böse (besonders die Figur des Dorfpastors lässt einem nachhaltig das Blut in den Adern gefrieren), die Kinder als komplexere, ambivalente Charaktere; so zum Beispiel die Pastorentochter Clara, die zum Anfang des Films noch mit hoch erhobenen Haupt schreitet, schließlich aber zum Opfer der ihr auferlegten und von ihr selbst eisern befolgten Regeln wird. Oder ihr Bruder Martin – „Ich habe Gott die Chance gegeben, mich zu töten.“. In einem beeindruckenden schauspielerischen Kammerspiel wird deutlich, wie die Erwachsenen ihr rigides Moralsystem auf die Kinder projizieren – und damit auch ihre Gewalt, ihren Hass, ihr gegenseitiges Misstrauen. Den Bezug zum – wie vom Filmerzähler mehrfach nahegelegt – Ersten (die Geschichte spielt um 1913/14) und zum Zweiten Weltkrieg möge der Zuschauer in der (bei mir vermutlich noch laaaaaange währenden) Nachwirkungsphase des Films selbst herstellen.
Völlig niederschmetterndes Psychogramm und eine in ihrer Schärfe beeindruckende Gesellschafts-/Geschichtsanalyse. Chapeau!