Re: Filmbewertungsthread

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palez

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Persona

Drittes Mal jetzt. Uh. Okay. Schwierig.
Da man sich immer von außen nach innen vorarbeiten soll, zuerst einmal: der vielleicht bestaussehendste Film, den ich kenne. Jedes Bild ist bis ins letzte Detail durchkomponiert, jedes will eingerahmt und ausgestellt werden. Betrachtet man das Anliegen des Films, verkommt die vollendete visuelle Ästhetik auch nicht zum Selbstzweck. Die Dominanz der Bildsprache gegenüber der narrativen Ebene ist hier noch größer als beim in der Hinsicht eh schon ziemlich desolaten, zerstörerischen „Das Schweigen“. Zu keiner Sekunde merkt man dem Film sein Alter an. Mit anderen Filmen ließ und lässt („Mulholland Drive“? Naja…) sich „Persona“ nicht vergleichen.
Ausgangslage: Die Theaterschauspielerin Elisabeth Vogler (verstörende Mischung aus Sanftheit, Verletztlichkeit und Kälte: Liv Ullman) verweigert seit Monaten das Sprechen und kommt in therapeutische Behandlung. Mit der jungen Krankenschwester Alma (kraftvoll, engagiert: Bibi Andersson) zieht sie für einige Wochen in ein abgeschiedenes Sommerhaus. Dort soll Alma sie pflegen und irgendwann auch zum Sprechen bringen, spricht aber zunächst vor allem selber und offenbart Elisabeth verborgenen Seelendreck. Ein verräterischer Brief von Elisabeth, in dem sie einer unbeteiligten Person in gleichgültigem Plauderton Almas Geheimnisse offenbart, ändert das Verhältnis der beiden Frauen; es wachsen das Misstrauen, der Hass, die verzweifelte Erwartung, der dringende Wunsch, sich von der anderen loszureißen, und die Annäherung und Verschmelzung…

Den Ansatz einer Charakterstudie lässt der Film zwischendurch und vor allem in der zweiten Hälfte fallen, um ins Allegorische überzugehen. Bergman stellt Szenen von ungeheurer ästhetischer Kraft nebeneinander, hinter jeder lauert ein schwarzes Loch. Die Frage nach den Beweggründen der beiden Hauptfiguren (überhaupt: mit insgesamt fünf Figuren, von denen auch nur zwei länger als insgesamt fünf Minuten im Bild sind, ziemlich überschaubarer Cast) und der inneren Logik ihres Handelns wird anders gestellt, die Beziehung der beiden Frauen soll Teil von etwas Größerem sein. Wovon jetzt eigentlich genau? Das Themenfeld von „Persona“ ist breit: Existentialismus, Entfremdung, Identitätsverlust – überhaupt, Identität, Wahrheit, „man selbst sein“, was ist das? -, filmische Selbstreflexion. Nobles Unterfangen, anno ’66 seiner Zeit weit voraus. Kann Bergman in diesem Film allen Themenfeldern gerecht werden? Nein. Die verschmelzenden Identitäten sollten die Leitidee des Films sein, die Ausfühung ist dabei aber seltsam inkonsequent. Man kann „Persona“ als überambitioniert, das Unterfangen zumindest als partiell gescheitert betrachten.

An diesem Punkt entfaltet sich seine eigentliche Stärke. „Persona“ hat bewusst keinen wirklichen Moment der Befreiung, Aussöhnung, Katharsis. Bergman wollte (mutmaßlich; aufgrund der spürbar hohen Ambition naheliegend) Perfektion, verliert aber an bestimmten Stellen anscheinend die Kontrolle. „Persona“ läuft an einigen Stellen nicht ganz zusammen, bleibt unvollendet, erreicht die angestrebte Perfektion nicht. Es bleiben sichtbare Risse. Man kann beobachten, wie der Film langsam an sich selbst zerbricht. Diese Rat- und Fassungslosigkeit und die folgende Kapitulation entsprechen dabei nur zu sehr den Gefühlen der beiden Hauptfiguren, deren unaussprechlicher Ekel und Überforderung vor und mit der jeweils anderen und vor allem sich selbst größer zu werden scheinen, je mehr sie sich einander annähern. Diese Meta-Ebene war vermutlich nicht einkalkuliert, verleiht dem Film aber eine erstaunliche Konsequenz und Glaubwürdigkeit und eine mir zunächst noch fehlende Geschlossenheit, die es mir ermöglicht, „Persona“ schließlich doch aus fester Überzeugung als Meisterwerk bezeichnen zu können.

(Will mir allerdings nicht anmaßen, den Film nun völlig durchdrungen zu haben, mit etwas zeitlichem Abstand denke ich nach dem vierten Mal vielleicht wieder anders drüber…)