Re: Filmbewertungsthread

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palez

Registriert seit: 04.01.2007

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Beim Filmabend mit meiner Besten zwei Exemplare verschiedener Gattungen gesehen, die jedoch ähnliche Probleme haben: „Repo Men“ und „The Addiction“.

In Erstgenanntem geht ein genreentsprechend durchtrainierter und versucht tougher Jude Law (alias Remy) für seine Organhandelsfirma auf Rückeintreibungstouren, wenn mal jemand mit einer Zahlung im Verzug ist. Nun sieht er sich aber bald damit konfrontiert, dass die Geschäftsmethoden von „The Union“ keine Ausnahmen beim eigenen Personal machen. Heißt: Remy steht alsbald selbst mit dem Rücken zur Wand (nur gut, dass er hinter jenem zwei hübsche lange Messer versteckt). Und überhaupt, aus der Opferperspektive, und darüberhinaus mit einem süßen, hochverschuldeten Systemopfermädchen im Schlepptau, lässt sich die alte „Job ist Job“-Einstelung auch nicht gar so einfach beibehalten.

Eben jene Einstellung wird mit durchaus amüsanter Lockerheit und Nonchalanz aufgezeigt, wenn am Anfang die Funktionsregeln einer Welt vorgestellt werden, die sich abgesehen vom überzeichneten Amoralismus im Organhandelsgewerbe gar nicht mal so stark von unserer unterscheidet. Die ganzen Déjà-vus sehen zwar vordergründig frech aus, in Wahrheit sind vermutlich die Urheberrechtsformalitäten längst geregelt. Im Zusammenhang mit den zaghaften anfänglichen Satireanklängen wirken sind sie dabei durchaus noch stylisch. Es steht dem Film auch gar nicht so schlecht, von der bemüht dramatischen Thriller-Tonspur abzurücken und sich an Popkultur zu versuchen. Wenn gegen Ende zu Moloko – Sing It Back Sex und Gore verbunden werden, ohne sich an den rettenden Trash-Strohhalm zu klammern, ist das durchaus originell und mutig.

Irgendwann häuft sich bei „Repo Men“ aber doch eine Erklärungsbringschuld an. Remys Lage wird ernst, es werden Freundschafts- und Eheprobleme eingeflochten, um die von Jude Law schlechterdings ziemlich unglaubwürdig und charismalos dargestellte Figur menschlicher zu machen, und der berufsbezogene Gewissenskonflikt des Hauptprotagonisten soll seine Lage schließlich erst richtig verfahren machen. An dem Punkt beginnt man sich doch noch zu fragen, was an den „Blade Runner“-/“Apocalypse Now“-in-doof-Voiceovers so wahnsinnig bedeutend sein soll, will doch mehr über die „schöne neue Welt“ erfahren, die im Wesentlichen eine wohlbekannte ist (optisch „Blade Runner“ plus „Transformers“-Farbfilter), bemerkt die holzschnittartige und nachlässige Ausführung viel zu guter Ideen. Wieso schreit der Film an manchen Stellen so laut, er hätte etwas zu sagen, und tut es dann nicht? Wieso hat es ihm an den besagten Stellen nicht gereicht, solide Actionkost mit Gedärmespringseil und wohldosiertem schwarzen Humor zu sein? Wieso funktionieren Dystopien eigentlich so gleich? Ob Sam oder Winston oder Deckard oder Guy oder Remy, und ob Jill oder Julia oder Rachael oder Clarissa oder Beth, das System ist immer im Recht und im Vorteil und mindestens einen Schritt voraus. Während des Schauens ist „Repo Men“ unterhaltsam und durchaus nicht unsympathisch, dafür macht die anschließende Meinungsbildung umso weniger Spaß.

„The Addiction“ von Abel Ferrara, ein Horrordrama in stilsicher schmutziger Neonoir-Optik, hat bei mir schnell die höchstmögliche Erwartungshaltung geschürt, weil mir persönlich einfach keine bessere thematische Ausgangslage einfällt. Eine New Yorker Philosophiestudentin (Promotionsthema Existentialismus) wird von einem Vampir angefallen und infolge des Angriffs selbst zu einem, muss sich im Filmverlauf mit entzugsähnlichen Symptomen, der eigenen „Beschaffungskriminalität“ und einem sich verändernden Moral-/Selbstverständnis herumschlagen. Nun kann ich natürlich verstehen, dass Abel Ferrara vollkommen von der Idee an sich eingenommen war, und vielleicht liegt darin der Hauptgrund dafür, dass „The Addiction“ nicht so toll geworden ist, wie es hätte werden können.

Ferrara fand die Idee nämlich so toll, dass er die zahlreichen sich daraus ergebenden Implikationen und Interpretationsansätze allesamt auszuformulieren versuchte (und der Film ist dennoch nicht mal 80 Minuten lang geworden) und sie, damit auch ja keine durch das Interpretationsraster des Rezipienten rasselt, unmissverständlich im Film verankerte. In Dialogen, in Monologen der Hauptfigur Kathleen Conklin, auf der Tafel im Vorlesungsraum – drei Namen, die wichtigsten Existenzphilosophen, lang und nahe genug, um zu aufdringlich zu sein. Nein, ein Film mit sogenanntem „hohen Anspruch“ offenbart seine Kernthesen nicht auf dem Silbertablett, und er gibt vor allem nicht schon dann Antworten, bevor der Zuschauer sich die erste Frage gestellt hat. Wie viel besser und wirksamer wäre „The Addiction“ doch geworden, hätte man das Publikum mit den Bildern und der Idee öfter allein gelassen, hätte man es öfter zum Versuchskaninchen gemacht, hätte man sich eher an die Schriftstellerregel „Show, don’t tell“ gehalten. Schweigsame Menschen wecken viel eher Interesse als geschwätzige, und „The Addiction“ ist so geschwätzig, dass man dem Film permanent „Halt die Fresse!“ entgegenrufen möchte.

Zumal er nicht einmal zu wissen scheint, wovon er redet. Es gelingt selten, Reflexionen über Determinismus und das Böse im Menschen, den religiösen Schuldbegriff, existenzphilosophisches Phrasendreschen und Namedropping und das Ausleuchten von den verschiedenen menschlichen Süchten in einen größeren und halbwegs stabilen gedanklichen Zusammenhang zu bringen. „The Addiction“ wird den Themenkomplexen, die es gelegentlich streift, oft nicht ansatzweise gerecht, und es ist mir deswegen absolut nicht ersichtlich, wieso Ferrara seinen Film derart überfrachtet und „The Addiction“ sich einfach nicht auf sich selbst verlassen kann.

Das ist besonders bitter, weil der Film in anderen Disziplinen durchaus sehr viel erreicht. Allein die formale Ausrichtung hätte eine größere Zurückhaltung leicht aufwiegen können. Die Entscheidung für schwarz/weiß ist die selbstverständlichste, die Atmosphäre, die die Bilder vermitteln, ist erstickend. In den scharf kontrastierten Bildkompositionen sind weiße Lichtränder lediglich dazu da, das tiefe Schwarzgrau um sie herum zu akzentuieren, in der spärlichen Zimmerbeleuchtung sehen die Poren und Gesichtskonturen wie eingekerbt aus. „The Addiction“ ist formal ein fiebriger, schmutziger Film, bei dem die einzelnen Elemente schnurgerade und widerstandslos zusammenlaufen. Die (gefühlt erschreckend wenigen) „kommentarlosen“ Szenen offenbaren die gewaltige, urwüchsige Kraft, die er eigentlich hätte über die volle Laufzeit haben sollen.