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@Realnazi: Sei so lieb und erzähl doch mal, was du so von Sufjan Stevens, Slowdive, Drautran sowie Negura Bunget hälst. :angel:
It’s not an easy thing to meet your maker: Red Harvest – There’s Beauty in the Purity of Sadness
Die 90er sind, was das musikalische Umfeld von Rock und Metal angeht, für mich vor allem eine Fundgrube für spannende, originelle und durchaus beachtenswerte Gegenentwürfe zu damals vorherrschenden Trends, die sich aus welchen Gründen auch immer in kommerzieller Hinsicht nie wirklich durchsetzen konnten und alsbald in Vergessenheit gerieten. Red Harvest waren Mitte der 90er solche Grenzgänger und Quadratköpfe, passten mit ihrer Genre-Mixtur niemandem so richtig in den Kram und zumindest ihre Frühwerke sind bis heute lediglich ein Liebhaberthema. Dabei klingt „Wounds“, der Opener des 1994er Werks mit dem wohlklingenden Titel „There’s Beauty in the Purity of Sadness“, zunächst sogar durchaus vertraut, dank des Shoutings quasi wie eine beschleunigte und verdichtete Version von Godflesh. Mit dem ersten Einsatz des beschwörenden Klargesangs wird dann aber schnell klar, dass RHs Version von Industrial Metal mit keiner weiteren bis dato bekannten zu vergleichen war. Im Gegensatz zur postapokalyptischen Reglosigkeit Godfleshs sind die Stücke von Red Harvest dicht arrangiert, mit Tempowechseln und im Thrash Metal gesammelten Erfahrungen gespickt, verglichen mit Ministry und den bereits damals in eine härtere und rabiatere Richtung tendierenden Post-Punk-Veteranen Killing Joke deutlich im Metal verwurzelt, oft hochmelodisch und mit Klargesang versehen, dabei aber weder so glattgeschliffen und plakativ wie spätere Nu Metal-Trendwellenreiter noch so heterogen und berechenbar wie Fear Factory. Die Norweger bedienen sich zwar der Zeichencodes des Genres und bauen dystopische Cyberpunk-Welten als Kulisse auf, die Melodien jedoch offenbaren etwas weitaus Wärmeres, Organischeres, Menschlicheres, eine wohlbekannte und tiefempfundene Verzweiflung, deren fundamentale Fragen an verchromten Wänden abprallen. Es würden noch einige Jahre ins Land ziehen müssen, ehe man bei anderen Bands diese Emotionalität und Sinnsuche in anderer musikalischer Umgebung wiederentdecken konnte; neuere Neurosis, Yakuza und eventuell noch ältere Isis ließen Rückschlüsse auf „There’s Beauty in the Purity of Sadness“ zu, während Red Harvest längst alles in ihrem Sound eliminiert hatten, was ihn einst wirklich eigenständig machte…
http://www.youtube.com/watch?v=N3Z5HG1hA_M
http://www.youtube.com/watch?v=GTWDgjaYH-0&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=ujBcWgBBCr0&feature=related
A short record about killing: Three Mile Pilot – The Chief Assassin to the Sinister
Three Mile Pilot wurden mittlerweile von The Black Heart Procession, dem einstigen Nebenprojekt einiger Bandmitglieder, überholt, was den Bekanntheitsgrad angeht, und sind gerade dabei, mit ihrem neuen Album „The Inevitable Past Is The Future Forgotten“ nach 13 Jahren Komazustand sich ihren einstigen Status als (zumindest) Kritikerliebling zurückzuerobern. Das lässt mich hoffen, dass nun auch ihre Alben aus den 90ern in einschlägigen Kreisen wiederentdeckt werden, ist doch zumindest das mir vorliegende „The Chief Assassin to the Sinister“ eine der schönsten unter den vergessenen Alternative-Perlen der 90er. Es ist dabei keinesfalls ein Album, das besonders zugänglich oder einladend wirkt, vielmehr fühlt man sich von den Songs zunächst relativ kalt gelassen, teilweise abgestoßen, die wenigen eingebauten Widerhaken sind allerdings durchaus wirkungsvoll und lassen den Hörer jedes Mal mit widerwilliger Faszination zum Album zurückkehren. 3MPs Stil ist dabei irgendwo zwischen dem schlanken, aber verbogenen Post-Hardcore-Drahtgestell von Driven Like Jehu und Collegeradio-inkompatiblem Indie Rock anzusiedeln, der Gesang von Pall Jenkins ist verzweifelt, expressiv, verloren und nicht gerne sowas wie eine melodische Konstante. Was in der Theorie eine gewisse Nähe zum Indie Emo, wie ihn beispielsweise Sunny Day Real Estate spielten, aufweist, ist in der Praxis dann doch zu verquer, verschlüsselt und böse, um damit verwechselt zu werden. Diese Eigenschaften ergeben sich vor allem aus den Texten. Während man sich beim ersten flüchtigen Durchlesen noch so fühlt, als lausche man einem Insidergespräch, von dem man kaum die Hälfte versteht, da einem grundlegende Hintergrundinformationen fehlen, verdichten sich die scheinbar zusammenhangslosen, kryptischen Textfragmente auf dem zweiten Blick zu einem losen Konzept um einen Cyborg mit menschenähnlichem Bewusstsein, der gegen seinen Willen zur Killermaschine umprogrammiert wird. Es tragen aber auch die Produktion, die gewissermaßen sehr typisch für ein Anfang bis Mitte der 90er veröffentlichtes Rockalbum ist, sowie das Bassspiel ihren Teil zur sinisteren Aura von TCATTS bei. Letzteres ist bemerkenswert dominant im Sound von 3MP, degradiert die Gitarre, die auf dem Vorgängeralbum noch gar nicht zu hören war, zu einem Hintergrundwummern und erzeugt eine gespenstische Atmosphäre, die einem kalte Schauer über den Rücken laufen lässt. Es klingt wie das träge Rasseln schwerer, alter Ketten, die manchmal von einem Luftzug bewegt werden, dessen Ursprung niemand zu kennen scheint, und deren Hall von den Wänden eines seit Jahrzehnten leerstehenden alten Fabrikgebäudes zurückgeworfen wird. Mit Gitarren anstelle von Bass hätte ein Song wie das neunminütige „X-Miner“ nie funktioniert, so entwickelt dieses innerlich angespannte dramaturgische Glanzstück aber eine große Faszinationskraft, die irgendwo im Spannungsverhältnis zwischen der immerzu drohenden Eruption von frühen, noch vor dem Debüt veröffentlichten The God Machine-Stücken und der Katatonie von Red House Painters – Medicine Bottle anzusiedeln ist.
http://www.youtube.com/watch?v=v7UeBxHFhK4
http://www.myspace.com/threemilepilot
A place in the sun and a ticket to Syria: The Sisters of Mercy – Floodland
Wenn es um Spurensuche und Glanzlichter des klassischen Gothic Rocks geht, führt natürlich kein Weg an The Sisters of Mercy vorbei. Von denen habe ich aber nicht die frühen und musikgeschichtlich vermutlich als am relevantesten angesehenen EPs gehört und auch nicht das ziemlich rockige und straighte, deutlich Wayne Husseys (The Mission; TSOM-Gitarrist 1984-1985) Handschrift tragende Debütalbum „First and Last and Always“, sondern das nach bandinternem Streit und The Sisterhood 1987 erschienene, die Sisters endgültig zur Ausnahmeband machende „Floodland“. Das Album lebt und funktioniert durch seine Widersprüchlichkeit; denn einerseits ist es durchaus stark Pop-orientiert und unverhohlen bombastisch. Oft und gerne wird man von Frauenchören erschlagen, durch „Dominion / Mother Russia“ geistert ein George Michael-Gedächtnis-Saxophonsolo, und die Stücke, die mittlerweile mit die bekanntesten des Sisters-Repertoires sind, sind es nicht umsonst. Doch schon bei „This Corrosion“ offenbart sich das zuvor erwähnte Funktionsprinzip des Albums; eine Idee für eine dreiminütige Single auf elf Minuten zu strecken und damit durchzukommen, mag einfallslos anmuten, ist aber auch irgendwie durchaus mutig, ebenso mutig ist es, den Frauenchorälen lediglich ein dünnes, schwankendes, kaum bis gar nicht ausgeschmücktes rhythmisches Gerüst gegenüberzustellen. Im Unterschied zum fast schon erdigen FALAA klingt Doctor Avalanche hier mit seinen stur und laut durchgezogenen Takten auffällig und penetrant nach Drumcomputer, zudem kommt „Floodland“ für ein Rockalbum mit erstaunlich wenig Gitarren aus. Eldritchs Kunst besteht hier im Weglassen, darin, hypnotisch-monotone Großtaten wie „Flood I“, „Colors“ und vor allem „Never Land“ aus überpräsentem Drumrhythmus, Synthies, Gesang und dem Nichts als Hauptbestandteil zu formen, über weite Strecken nichts und im entscheidenden Moment als Signal ein wenig passieren zu lassen und das Nichts mit tödlicher, abgründiger Anspannung zu füllen. In Anbetracht der Texte sowie der Gesamtästhetik bringt es mich zu dem Schluss, dass The Sisters of Mercy (wie Herr Eldritch selbst nicht müde wurde zu betonen) nicht ganz zurecht von der Gothic-Szene vereinnahmt werden; sie waren vor allem eine extraordinäre und wichtige Rockband, die Epigonen und fast allen vermeintlichen Genrekollegen immer den entscheidenden Schritt voraus sein wird.
http://www.youtube.com/watch?v=AG0ZkSLP_aY
http://www.youtube.com/watch?v=pgifFdi8eio
http://www.youtube.com/watch?v=KiYNFP7zxhI
The siren’s call: Warpaint – The Fool
Als geneigter Fan der Musikrichtung (bei Dreampop/Shoegaze braucht man hier eigentlich kein schlechtes Gewissen zu haben) ist man bei Warpaints Debütalbum „The Fool“ schnell mal dabei, sich auf eine musikalische Spurensuche zu begeben, immer vor allem in der Hoffnung auf angenehme Déjà-vus. In der Tat versuchen die vier Damen aus Kalifornien gar nicht erst zu kaschieren, dass sie eine wohlsortierte Plattensammlung haben, zu deren Schmuckstücken vor allem die Dreampop- und Dark/Ethereal Wave-Schätze der 80er und 90er („Head Over Heels“ von Cocteau Twins, „Wings of Joy“ von Cranes, „Script of the Bridge“ von The Chameleons, „So Tonight That I Might See“ von Mazzy Star) gehören. Fernab dieser Haupteinflüsse sieht man die bloßen Drähte der experimentellen Trümmerelectronica von Portisheads „Third“, meint man auch, den Zauberwaldpop von Bat for Lashes wiederzuerkennen, ist man teilweise verleitet dazu, die Band irgendwo unter „klingt ja wie The XX“ abzuspeichern.
Nun tut man den Ladies von Warpaint mit dieser Einschätzung aber definitiv Unrecht, denn sieh haben eindeutig mehr im Sinn als zitatgespickten Selbstbezug und aufgesetzte Ironie. So bewusst die Band mit Musikgeschichte auch umgeht, sie zielt eher auf eine bestimmte, schwer zu beschreibende Atmosphäre ab, die in anderer Form schon viele ihrer Vorbilder erst zu etwas wirklich Besonderem machte. Getragen wird diese einerseits von dem durchaus freien und nicht in herkömmlichen Mustern festgefahrenen Songwriting, andererseits auch vom prägnanten Bassspiel, vor allem aber vom Gesang. Drei der vier Mitglieder stehen hinterm Mikro, die Leadsängerin hat ein dem von Hope Sandoval und Alison Shaw durchaus ähnelndes Timbre, addiert zu ihrer schüchternen Unschuld allerdings noch die Erotik, den Soul und das Selbstbewusstsein von Martina Topley-Bird und Chan Marshall/Cat Power sowie die geheimnisumwobene Abgründigkeit und Lebenserfahrung, die PJ Harvey auf „Is This Desire?“ teilweise an sich hatte. Der Gesang verkörpert Wahnsinn und Glück, Sebstaufgabe und Obsession, Melancholie und das Gefühl der Verlorenheit, wenn man am frühen Morgen mit Kopfschmerzen und Restalkohol im Blut über regennasse, in der Finsternis der Nacht lediglich erahnbare Straßen irrt und sich vom ersehnten Zuhause immer mehr entfernt, anstatt sich ihm zu nähern. „The Fool“ ist wunderschöne und betörende Musik für wunschlos Unglückliche, für Leute, die ihren Kopf nicht aus den Dunstwolken herausbekommen können und sich an die Hand des ebenso blinden Partners halten, für die gut gepolsterten und mit edlem Samt ausgekleideten dunklen Ecken des Lebens.
http://www.myspace.com/worldwartour
Haben wir was verpasst: Swans – My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky
Nach 14 Jahren des in-alle-Himmelsrichtungen-Verstreutseins haben Swans ein Album aufgenommen, das es zwar mit den Klassikern der Diskographie nicht aufnehmen kann, es aber verdient, unter dem Namen „Swans“ veröffentlicht zu werden. Alles Weitere hier: http://forum.metal-hammer.de/showpost.php?p=1951420&postcount=13
http://www.youtube.com/watch?v=ADeOg8qbNMc
http://www.youtube.com/watch?v=QHtWvpkMaHo
http://www.youtube.com/watch?v=qsXsxehyPpc
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]