Re: PLAYLIST OF THE WEEK

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palez

Registriert seit: 04.01.2007

Beiträge: 10,795

@xkiwipox: Ich weiß nicht, habe ich dich schon zu einer ausführlichen Stellungnahme zu The Angelic Process und Dead Can Dance gezwungen? Wenn ja, bitte ignorieren und mir was über Indukti erzählen.

Rosetta – Wake/Lift

Mitte des vergangenen Jahrzents erlangte ein ehemaliges Liebhaberphänomen den Höhepunkt seiner Popularität: Isis, Cult of Luna und die im neuen Jahrtausend auffallend ruhigen Neurosis waren die Gallionsfiguren unter einer Welle von Bands, die sowohl von der Indie- als auch von der Metalpresse mit gleicher Faszination umschwirrt wurden. Der alten Tante Sludge haben diese Bands eine umfassende schönheitschirurgische Behandlung verpasst, indem sie sie mit der schwelgerischen Melancholie des Post-Rock kreuzten. Als im modernen atmosphärischen Sludge der Kreativspielraum auszugehen drohte, begannen sich zwei Lager zu bilden, die eine ursprüngliche Einheit wieder in ihre Einzelteile zerlegten. Während die einen ihre Stücke immer weiter komprimierten und auffüllten und mit ihren spieltechnischen Eskapaden an die Grenzen des Mathrock/-metal stießen, testeten die anderen aus, wie sehr sie ihre Songs einerseits ausdehnen, andererseits minimieren können. Diese Mikroskopbetrachtungen von Bewegungsabläufen, die oft an die Grenze zu Drone stießen, verließen sich auf eine scheinbar generelle Effektivität von Monotonie und Minimalismus ebenso oft wie auf Klangtexturen – an die Klasse der Genreklassiker reichten sie damit selten heran.

Rosetta gehörten ebenfalls zu den Texturenaufschichtern, als sie 2005 „The Galilean Satellites“ veröffentlichten. In ihrem Bereich waren sie regelrechte Fetischisten, denn wie schon bei Neurosis – Times of Grace bestand das Album aus zwei Teilen, die man simultan abspielen musste, um die volle Größe dieses Soundspurenwahnsinns am eigenen Leib erfahren zu können. Diese Extravaganz leistete man sich beim zwei Jahre später erschienenen Nachfolger „Wake/Lift“ nicht. Dennoch ist dieses Album – und es ist Genrealbum durch und durch – einer der hörenswertesten Genrebeiträge, die ich kenne. Man ist immer noch vernarrt in die mannigfaltigen Ausdrucksmöglichkeiten einer guten Produktion, die Musik klingt immer noch beeindruckend räumlich und mehrschichtig. Worauf man sich hier aber nicht einlässt, ist kompositorischer Minimalismus; kaum eine Band aus dem Bereich füllt ihre Songs mit so vielen Wechseln, so viel Ekstase auf. So oft, wie einen der Opener „Red in Tooth and Claw“ ins Wechslbad der Gefühle wirft, wundert man sich am Ende, dass der Song immerhin zwölf Minuten dauert. Die Zutaten sind dabei bekannt, stammen aber hörbar aus erster Hand; meint man in den Post-Rock-Parts, dem Plätschern eines Gebirgsbachs zu lauschen, erfassen die Crescendi einen mit der unentrinnbaren Wucht einer Tsunamiwelle. Zwischen Traum- und Wachzustand hängt man in der Luft, während schäumende Wellen gegen den eigenen Körper schlagen und ein rabiates, doch fernes Brüllen einen aus diesem Schweben zu reißen versucht. Genrekenner werden die Tonfolgen beim ersten Mal nachsummen können, doch werden sie auch zugeben müssen, dass diese Standards mitreißender und ergreifender in der zweiten Reihe selten interpretiert wurden.

http://www.youtube.com/watch?v=83E5cagJqdA
(„Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar.“, grmhmrmblwharrgarbl)

Woven Hand – Mosaic

Im April 2005 lösten sich 16 Horsepower, die zweifellos bekannteste Band aus Denvers Alternative/Gothic Country-Szene, auf. Bandleader David Eugene Edwards konzentrierte sich fortan gänzlich auf sein Soloprojekt Woven Hand, dessen viertes Album „Mosaic“ aus dem Jahre 2006 das erste Zeugnis dieser vollsten Konzentration ist. Es wird dabei sofort deutlich, wieso Edwards diese Ideen mit 16HP nur bedingt realisieren konnte; „Mosaic“ ist im Unterschied zu beispielsweise „Secret South“ hörbar kein Bandalbum. Es wurde dabei nicht nur der Rockanteil minimiert, wenn noch nicht völlig gestrichen, kompositorisch scheint alles auf engstem Raum stattzufinden. Man sucht vergeblich nach den wirklich großen pathetischen Gesten und Erlösungsmomenten. Seine Sparsamkeit in Songwriting und Arrangements kompensiert man mit einem Klang, der schlichtweg erstaunlich ist und den Stücken erst ihr (im ursprünglichen Wortsinne) schauerromantisches Flair verleiht. Die glimmenden Songs werden umgeben mit tiefer, undurchdringlicher Finsternis, jeder Ton scheint mehrere Tausend Meter in einen lichtschluckenden Abgrund zu fallen. Den spartanischen, verschlossenen Stücken wird so eine Größe verliehen, die man ihnen zunächst nicht zugetraut hätte. Ebenso ist ihre Ruhe damit nur oberflächlich; das Herz dieser Songs schlägt schnell und unregelmäßig.

Mehr noch als bei 16 Horsepower trägt hier der Gesang von David Eugene Edwards, dem besten (ja, Kinder, noch vor meiner Lieblingsleiche Jay Munly) Sänger der Szene, die Musik. Sein Ausdruck ist voller Trauer, tiefem Schmerz, Wissen und einem direkt erschütternden Ernst und mit seinem einzigartigen Timbre wäre er in der Lage, einen ganzen Gospelchor zu ersetzen. Mit seinen christlich geprägten Texten lässt er die Songs zwischen klassischem Singer-Songwriter-Storytelling und Liturgie wechseln, am Ende steht dabei aber nie die Erlösungsbotschaft, sondern aufzehrende Verzweiflung. Frische Wundmale übersäen den Rücken des armen Sünders. There is a sorrow to be desired. Und wer sagt, dass große Emotionen im kleinen Rahmen nicht funktionieren? Eben zitiertes „Dirty Blue“ glänzt als beinahe-Albumhymne mit Streichern, die einem geradezu die Kehle zuschnüren, und bei ihrem erneuten größeren Einsatz im vorletzten Track „Deerskin Doll“ erzeugen sie eine dramatische Spannung, die auch ohne die in Aussicht gestellte Katharsis die Kräfte komplett aufzehrt. Da ist es dann doch keine so schlechte Strategie, das Album mit dem instrumentalen Outro „Little Raven“ ansatzweise versöhnlich ausklingen zu lassen.

http://www.youtube.com/watch?v=cMFJskU4V6Q
http://www.youtube.com/watch?v=ImvMxXY64EU
http://www.youtube.com/watch?v=qKkOsILMH2E

Agalloch – The Mantle

Wenn sich tiefgraue Wolkenmassen über die Erde wälzen und Äste unter den Füßen knirschen, wenn Baumkronen sich im Herbstwind wiegen und die Luft feucht und schwer ist, wenn Ulvers „Bergtatt“ einen doomigen Trauermarsch durch hochgewachsene, dichte Gräser unternimmt, wenn Gitarrenharmonien sich in Sehnsucht sowohl nach David Gilmour’schen Traumwelten als auch nach Godspeed You! Black Emperor und ihrem Entwurf von East Hastings ausstrecken, wenn Moos und Efeuranken emporwachsen an den Ruinen von Wolkenkratzern, wenn eine akustische Gitarre das Ende in einen Anfang und den Verfall in pure Romantik und Poesie umdeutet, wenn ein letzter Mensch das Geschehene besingt und festhält und wenn die Produktion jeden Tautropfen auf jedem Blatt deutlich spürbar macht, dann erhält man ein Album, das man in sich aufnehmen möchte wie den Geruch von Ozon vor einem schweren Gewitter.

http://www.youtube.com/watch?v=OyYjOuCiFaM
http://www.youtube.com/watch?v=yl2SM1HVCxg&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=UQ5VYRJPOeM

Bat For Lashes – Two Suns

2009 hat mir Natasha Khan alias Bat For Lashes mit ihrem Zweitwerk „Two Suns“ (und vor allem dem Opener „Glass“, welcher mein meistgehörter Song des Jahres sein dürfte) ja komplett den Kopf verdreht (quasi das Hipstermädchen des Jahres), umso mehr überrascht mich die Feststellung, dass ich das Album danach praktisch gar nicht mehr gehört habe. Das hat es eigentlich absolut nicht verdient, denn es dürfte schwer sein, eine noch halbwegs „junge“ Platte im Bereich zwischen Singer-Songwriter und Pop zu finden, die „Two Suns“ in Sachen Farbviellfalt und Kreativität das Wasser reichen kann.

Auch das durchaus schon sehr gute Debüt „Fur and Gold“ aus 2006 kann da trotz vieler toller Songs nicht mithalten. Was allein schon im besagten „Glass“ aufgefahren wird, bricht alle Widerstände; Yeasayer sorgten für ein gleichermaßen hypnotisches wie treibendes Rhythmusfundament, überall Farben, die auf eine Weise funkeln und phosphoreszieren, die man aus der realen Welt, die man mit den ersten Songsekunden bereits verlassen hat, nie gekannt hat. Immer steht dabei aber die sinnliche, sonore Stimme von Natasha Khan im Vordergrund, und man kann nichts dagegen unternehmen, wenn man ihr schon nach wenigen Sekunden rettungslos verfällt. Ihre Märchenwelt aus zum Leben erweckten Spielzeugen und zu Träumen gesponnenen Erinnerungen dient ihr dabei als Kulisse für im Singer-Songwriter-Bereich recht klassische Betrachtungen über Liebe, Verführung und langsamen Verlust. Es sind ihr Vortrag und die Art und Weise, wie er in die funkensprühende Musik eingebettet wird, die nachhaltig verzaubern. „Sirenn Song“ ist dafür ein Paradebeispiel, welches es mit Albumhighlight „Glass“ aufnehmen kann. Wenn der Song sich nach sanftmütigem Anfang in der atemlosen Streicherekstase nicht zwischen Euphorie und Wahn entscheiden kann, dann findet die erste Albumhälfte einen Abschluss, der besser nicht sein könnte.

Ohne dass eine wirklich strikte Trennung eingebaut wurde, verändert sich danach nämlich die Stimmung von „Two Suns“. In „Two Planets“ und „Sleep Alone“ hat die Stimme Natasha Khans den selbstbewussten Ausdruck einer Femme Fatale, während der sie umgebende Electropop entscheidend düsterer und fordernder geworden ist als noch bei „Daniel“. Im Albumepilog „The Big Sleep“ sieht man sie vor dem inneren Auge sich lasziv auf einem Klavier ausstrecken, während Scott Walker mit zitternder, angsterfüllter Stimme den Dialog immer wieder abbricht. Es ist dieser konzeptuellen Zweiteilung geschuldet, dass „Two Suns“ zum Ende hin nicht mehr ganz so anschmiegsam und unwiderstehlich wirkt wie zunächst. Die offenere, freundlichere Bat for Lashes habe ich lange Zeit ihrem dunklen Alter Ego vorgezogen, doch diese Woche habe ich gerade die zweite Albumhälfte richtig zu schätzen gelernt.

http://www.youtube.com/watch?v=yeLNuQdfcQw
http://www.youtube.com/watch?v=O9Y-mtihWiI
http://www.youtube.com/watch?v=2qYOk8-2fWY

Hmmm…weiterschreiben oder Heiabubu, weiterschreiben oder Heiabubu…well, Bubu. Ein noch laufender Fernseher hat mich heute um drei Uhr nachts aus den Federn gerissen. Was sonst noch lief:

The Smashing Pumpkins – Mellon Collie and the Infinite Sadness (mein eigentliches Album der Woche, habe aber keine Ahnung, wie ich mich ihm nähern soll)
Ulver – Blood Inside
The Stooges – s/t
Black Sabbath – Paranoid
MasseMord – The Madness Tongue Devouring Juices of Livid Hope (Marathonsong #1)
Green Carnation – Light of Day, Day of Darkness (Marathonsong #2)
U.S. Christmas – The Valley Path (Marathonsong #3)
:wumpscut: – Music for a Slaughtering Tribe
Zola Jesus – Stridulum II
Ride – Nowhere
Talking Heads – Remain in Light
Television – Marquee Moon