Re: PLAYLIST OF THE WEEK

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#2171209  | PERMALINK

palez

Registriert seit: 04.01.2007

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Mit Arcade Fire – The Suburbs

…bin ich eigentlich schon zu spät dran. Im Sommer 2011 haben es alle schon lange satt, über die Platten des Sommers (?) 2010 zu sprechen. Nun ärgert es mich einerseits aber durchaus, mich für die Band noch vor einem Jahr völlig ohne Grund nicht so richtig interessiert zu haben. Arcade Fire klingen auf ihrem grammygekrönten dritten Album bescheidener als ihr Ruf, ihre hervorragend produzierten Indie Pop-Songs sind dennoch so liebevoll ausgestaltet, facettenreich und mehrschichtig, dass man, ist man ob ihrer kompositorischen Einfachheit erst mal dahinterkommen, schwer seine Aufmerksamkeit von den vielen hübschen Details und Zitaten abwenden kann. Hier stehen die Songs vor allem für sich, Akustikgitarrensonnigkeit trifft auf Rückzug in sich selbst, Rock’n’Roll und weichgezeichnete Queens of the Stone Age-Robotik treffen auf Streichereuphorie und ABBA-Tribute. Wenn sich nämlich elektronische Schimmerflächen unter die anderen Instrumente mischen, gibt es sie oftmals, diese lustigen und unerwarteten Déjà-vus. Und auch wenn ihre ausladende und herzliche Melodieführung Songs wie „Ready To Start“ und „Half Light II“ dazu qualifizieren würde, der gesangliche Vortrag stemmt sich erfolgreich gegen die Stadiontauglichkeit; die Stimme Win Butlers ist die Stimme eines Menschen, der sich in der eigenen Klangkathedrale ziemlich klein fühlt. Der Zweifler steht vor einer Vielzahl weit geöffneter Türen, unfähig, einen Schritt zu tun.

Andererseits hat mich diese Band aber auch genau im richtigen Moment erwischt. Wenn man gerade in der Situation ist, eine Umgebung zu vermissen, die man noch nicht verlassen hat, und wehmütig auf ein Leben zurückblickt, in dem es einem selten wirklich gut ging, dann stellt man leicht fest, dass Arcade Fire in ihrem Konzeptalbum über eine Kindheit und Jugend in der Vorstadt(hölle), die Entfremdung und das Zurückkommen oftmals Gedanken und Ängste in Textzeilen und Songfragmente verwandeln, die man selbst nicht zu formulieren imstande war. So stellen sich alle Zitate in den Dienst des Erinnerns, jeder wiedererkannte Fetzen der Abglanz eines Gefühls von gestern. Momentaufnahmen und scheinbare alltägliche Belanglosigkeiten werden im Gedächtnis festgehalten wie Traumata. Man sagt sich los von enttäuschten Hoffnungen und einem Umfeld, das einen bald schon auffressen könnte, und sucht später im Autofenster nach den Gesichtern von alten Bekannten. Man kommt zurück, um zu merken, dass sich nichts verändert hat, und doch alles. Man geht auf ein Klassentreffen und flüchtet vor Leuten, die einen nicht mehr kennen und die man selbst nicht mehr kennt, wie in der Verzweiflungskulmination „Suburban War“. Am Ende liegt der eigene Kopf auf dem Tresen in den Scherben eines zerbrochenen Bierglases, während diese naive Nostalgie sich auf dem Klassentreffen längst einen robusten Galgen gefunden hat. Man schaut auf Fehler und Zeitverschwendungen zurück und würde doch das Angebot nicht ausschlagen, heute alles noch einmal genauso zu machen. Kein Konflikt, den man lösen, kein Krieg, den man gewinnen könnte.

http://www.youtube.com/watch?v=Xjm8WDG-Gy8
http://www.youtube.com/watch?v=cNdqoQWz34E
http://www.youtube.com/watch?v=rH_7_XRfTMs

Mad Season – Above

…ist das letzte Zeugnis eines scheinbaren rockmusikalischen Paradigmenwechsels. Der sogenannte „Grunge“, diese Presse- und Industriebezeichnung, mit der die Seattler Szene nie zufrieden war, ist nämlich nicht schon in dem Moment „gestorben“, als Kurt Cobain bei seinem zweiten Selbstmordversuch erfolgreich war. Und auch nicht erst dann, als mit dem unsäglichen Post-Grunge aufgesetzte Virilität und stupides Rockstar-Gepose in einer Musiksparte endgültig Fuß fassten, die zu Beginn genau dagegen ankämpfte. Nein, dieser sogenannte Grunge zog sich 1995 zum Sterben zurück in eine einsame kleine Waldhütte, eine Kulisse, die einem unweigerlich in den Sinn kommt, wenn man dieses bis heute einzige Album von Mad Season hört.

Schon allein die Vorgeschichte ist bezeichnend: Ausgerechnet in einer Rehabilitationsklinik lernten sich Ex-Pearl Jam-Gitarrist Mike McCready und Walkabouts-Bassist John Baker, beide zu dem Zeitpunkt heroinabhängig, kennen. Zusammen mit Barrett Martin (Screaming Trees) am Schlagzeug knüpfen sie einen über weite Strecken balladesken Klangteppich, der in jedem Moment auf den Gesang von Goldkehlchen Layne Staley angewiesen ist, das damalige Aushängeschild und den bekanntesten Part der Gruppe. Die Instrumentalfraktion agiert mit vornehmer Zurückgenommenheit, hier steckt mehr von Layne Staley drin als noch bei Alice In Chains. In den besten Momenten ist das absolut bewegend. Der Opener „Wake Up“, eine bluesgetränkte Wehmutsballade, der Klang von Fieberschwäche und eines kleinen, leise knisternden Feuers in dieser einsamen Blockhütte. „Long Gone Day“, ein typischer Kneipenjazzsong im besten Sinne, mit Saxophonsolo und Gastbeitrag eines noch jüngeren Mark Lanegan, dessen Stimme damals noch nicht ganz so angenehm kaputt klang wie jetzt. „November Hotel“, ein Instrumentalsong zwar, aber einer, in dem McCready beweisen darf, wie wertvoll der Beitrag zum Klangbild ist, den seine psychedelisch fluoreszierende Gitarre leistet.

Der kommerzielle Erfolg von „Above“ war vergleichsweise überschaubar, weil vermutlich viele, die den verlängerten Arm von AIC hören wollten, naturgemäß enttäuscht wurden. Tatsächlich fehlt hier oft Jerry Cantrell als kompositorisches wie lyrisches Korrektiv beziehungsweise Federführer. Die rifflastigeren Nummern in der Albummitte lassen im direkten Vergleich oft an Spannung und Biss vermissen, genau wie „Artificial Red“, ein Blues-Tribut, das sich wie Kaugummi zieht. Aber darum geht es hier nicht. Dieses letzte Studioalbum, auf dem Layne Staley vor seinem drogenbedingten Tod 2000 zu hören ist, ist zugleich auch sein persönlichstes. Wäre bei Alice In Chains, die immer eher Cantrells als Staleys Band waren, Platz gewesen für schmerzhafte lyrische Selbstentblößung wie „My pain is self-chosen“ oder „I don’t know anything, I don’t know who to be“? Es ist zu bezweifeln.

„Above“ kann nicht zu den Spartenklassikern aufschließen, dazu hält es sein Intensitätslevel nicht lange genug durch. Seine besten Momente sind jedoch gleichzeitig die besten und die letzten guten einer Ausprägung der alternativen Rockmusik, deren Vertreter (meist) nur einen Sommer lang tanzten.

http://www.youtube.com/watch?v=z7qOqled9WQ
http://www.youtube.com/watch?v=S6wZYm-z8U4
http://www.youtube.com/watch?v=MCkNIIXoPPc

Planes Mistaken For Stars

…hatten seinerzeit wohl einfach Pech. Wenn man sich „Mercy“, den Schwanengesang der ehemaligen Emocore-Band, aus heutiger Perspektive anhört, kann man sich nicht erklären, woran es damals (also 2006) gescheitert sein muss. Das vorliegende Stilkonglomerat würde heute vermutlich irgendwo zwischen der ersten Generation der Modern Life Is War-Nachlassverwalter, Kvelertak und dem ganzen hippen Tanz-/Popsludge laufen, und wer weiß, vielleicht hätte es mit einem Nachfolger, der leider nie kam, auch zu einem Vertrag mit Deathwish (mit Converge war die Band sogar auf Tour) oder einem Cover von John Baizley gereicht. Andererseits: Wenn man die zum Glück kaum vierzigminütige Klangeruption „Mercy“ hört, dann versteht man, dass die Band zum Weitermachen einfach keinen Atem hatte.

Mangels besserer Alternativen war Neurosis der Bandname, auf den man zur Beschreibung von PMFS in Rezensionen am liebsten zurückgriff. Deren „Through Silver In Blood“ und „Times Of Grace“ sind irgendwo auch wirklich keine schlechten Anhaltspunkte, nur ist der Abschleifungsprozess auf „Mercy“ um ein Vielfaches beschleunigt. Manische, luftschnappende Drums treiben den Protagonisten an, gegen Gitarrenwände zu laufen, die rissig sind, aber nie nachgeben werden. Es gibt kein Entkommen aus der Verzweiflungsmaschine called life, wenn der Arm erst einmal zwischen den Zahnrädern gefangen ist. Man rennt und stößt sich und schreit und zerbricht mit Kugel im Bein und in nie ganz kopfloser Panik – immerhin hält die Band hier noch an der großen Bedeutung fest. In seinem besten Moment – „To Spit A Sparrow“ – klingt das in seiner Verschmelzung von Brachialität und Zerbrechlichkeit tatsächlich sekundenlang nach The God Machine. Sänger Gared O’Donnell verausgabt sich dazu emotional mit seiner schwer beschädigten Stimme, die schon weit über das Chuck Ragan (Hot Water Music)-Niveau hinaus ist. Eher beschwört sein nach Schleifpapier, täglichem Zähneputzen mit der Drahtbürste und Ausspülen mit Whiskey klingender Vortrag einen Vergleich hinauf, der über Genregrenzen hinausgeht – O’Donnell ist hier der Mark Lanegan/Tom Waits des Eskalationshardcore. Dass er hier aus dem letzten Loch pfeift, muss aber nicht heißen, dass er nicht noch in der Lage wäre, Harmonien zu bilden, die einen mitten im Zusammenbruchsszenario auffangen, wie in „Little Death“ und gegen Ende von „Crooked Mile“. Und dass sie im akustischen, innerlich aufgewühlten Schlusssong „Penitence“ („Father, you are forgiven / Mother, you’re not but loved“ – Gänsehaut!) anscheinend wissen, dass sie da ihren letzten Song spielen, heißt nicht, dass die Jungs keinen Spaß verstehen. Vor allem besagtes „Crooked Mile“ und der Opener „One Fucked Pony“ demonstrieren ein stabiles Wissensfundament in Sachen Stoner-/Schweinerock und glänzen mit Parts, zu denen sich im kleinen, überfüllten Club wunderbar synchron die Faust in die Luft strecken ließe.

Wirklich eine Schande, wie oft diese Post-Hardcore-Perle doch offenbar übersehen wird. Bärig, bärtig, hemdsärmelig, herzlich, verschwitzt, verzweifelt und absolut liebenswürdig.

http://www.youtube.com/watch?v=rB96PwQo_6c
http://www.youtube.com/watch?v=GgfQLOsXE6w
http://www.youtube.com/watch?v=SXuedvaDM3Q

Sonst noch (wer noch was lesen will – nur zu):

EMA – Past Life Martyred Saints
Leonard Cohen – Songs of Love and Hate
The Stooges – Fun House
Swans – Children of God