Re: PLAYLIST OF THE WEEK

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palez

Registriert seit: 04.01.2007

Beiträge: 10,795

@xkiwipox: Würde gerne was zum ganzen Jazz-Zeug lesen, Coltrane, Coleman, Mahavishnu Orchetra, Return To Forever. Und Tortoise.
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Nachdem hier wieder ein paar Leute mehr The Angelic Proces verfallen sind, wird es wieder Zeit, den eigenen Einfluss zu testen. :haha:

Nico – The Marble Index

Gehört zu meinen absoluten Lieblingsalben, obwohl ich es sicherlich nicht mehr als fünf Mal im Leben gehört habe. Ich glaube nicht, dass es eine Möglichkeit gibt, die Stimmung, die hier vertont wurde, zu formulieren, zumindest nicht wirklich treffend. Ich versuche es trotzdem.

Nicos Augen, die einen vom Cover aus anstarren, blicken einem direkt in die schutzlos ausgelieferte Seele. Mit 30 Jahren haben sie schon alles gesehen. The Velvet Underground, die damals populärsten (Rock-)Musiker, Andy Warhols Factory und das Leben in einer Künstlerkommune vor laufender Kamera, den Erfolg. Ihren sprichwörtlichen 15 Minuten Ruhm im Lichtkegel des Scheinwerfers folgte ein Abstieg in eine Dunkelheit, die größer und vernichtender war als alles, was andere Musiker bis dato entdeckt haben. Kaum jemand wagte es, ihr dorthin zu folgen, außer einer wohlwollenden Musikpresse und John Cale (ebenfalls ein paar Alben lang bei VU aktiv), der sie drei weitere Alben lang unterstützen sollte.

Er war es auch, der ihren Songs ein musikalisches Fundament baute, das sich gegen alles stellte, was sich unter dem Pop-Banner damals entwickelte. Die zusammenhaltenden Fäden des mittelalterlichen Folks werden aufgetrennt, die opaken Kompositionen landen so über Umwege bei Avant-Garde und klassischer Moderne. Neben dem omnipräsenten Dröhnen von Nicos Harmonium werden hier auch Spinett, Piano, Bratsche, eine präparierte Gitarre, Mundorgel und Glockenspiel eingesetzt, von orchestraler Prachtentfaltung weiß diese hermetisch in sich verkeilte Musik jedoch nichts. Die Songs sind voller loser Enden, ergehen sich in endloser Monotonie und verworrenem Selbstverlust. Nico singt dazu ihre kryptisch-poetischen Texte mit ihrer charakteristisch tiefen Stimme und ihrem harten deutschen Akzent, und sie singt mit einem solch finsteren, bleiernen Ernst, dass es einen fröstelt. Scheitern der Kommunikation, Entwurzelung? Alles Teile des Konzepts.

„The Marble Index“ ist ein heroininduziertes Album, ein Zeugnis des Alleingelassenwerdens mit sich selbst. Die Stimmen und Gesichter anderer Menschen dringen nicht durch die eigene milchige Weltwahrnehmung, die Außenwelt rinnt durch die gespreizten Finger und verläuft am Ende zu endlosen Feldern einer rissigen, eisigen Wüste. „Frozen Warnings“ ringt dieser Atmosphäre noch etwas beinahe Idyllisches ab, Schlusstrack „Evening Of Light“ potenziert danach jedoch das Grauen ins Unerträgliche. Der Schauplatz ist Deutschland zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, die flirrende Gefahr geht über in Bombenhagel, verbrennende Häuser und Menschen, in Panik und Schreie, in einen von Lichtblitzen erhellten Himmel. Der nur scheinbar ausdruckslose Gesang von Nico klingt dazu wie ein Mantra zur eigenen Beruhigung. Doch es hilft nichts – angstgeweitete Augen, totale Konsternation. Ein festgehaltenes Trauma.

Das Album erschien im Jahre 1968 und damit bestimmt zu früh, um vom Publikum verstanden zu werden. Man merkt dies an der Welle von Bands, die sich Ende der 70er und Anfang der 80er erstmals auf Nico als Hauptinspirationsquelle bezogen und als erste richtige Gothic-Generation betrachtet wurden. Doch Nicos Musik ist zu düster für Gothic, ihr Antrieb ist etwas, was nicht von einer Stilrichtung vereinnahmt werden kann. Durch die Zeitlosigkeit seiner Botschaft erlangte „The Marble Index“ etwas, was mehr wert ist als der kurzfristige Erfolg, den es als kommerzielle Bruchlandung nicht erhielt: Bedeutung.

http://www.youtube.com/watch?v=tBqhxN23TBA
http://www.youtube.com/watch?v=iJf8s3t0qCY
http://www.youtube.com/watch?v=D7kznyH_GjM

Lycia – Live

Wenn man den melodischen Drone-Entwurf von Bands wie Nadja und The Angelic Processin seine Bestandteile aufspaltet, stößt man schnell auf das vermeintlich Naheliegendste. Das Doom Metal-Reduktionsergebnis von Earth, der im Knochenmark vibrierende Dark Ambient von Lustmord, die stilistisch freiförmigen Abgrundexplorationen der Swans, der zuckersüße Noisepop von My Bloody Valentine, die Tribalselbstzerstörungsmessen von Neurosis – alles Einflüsse, zu denen sich die Hauptprotagonisten im Mädchendrone-/Dronegaze-Bereich unumwunden bekannten. Wer sich nun immer noch nur bedingt vorstellen kann, wie das Ganze aus diesen Zutaten entstehen konnte, dem gebe ich hiermit den Ratschlag, sich mit dieser weniger bekannten, aber in Sachen Ursachenforschung erhellenden Veröffentlichung von Lycia zu beschäftigen.

Lycias Zugang zu Drone und Ambient erfolgt vom Ausgangspunkt des Dark Wave aus. Seine Strukturen und Stimmungsbilder sind hier jedoch nur noch als weit entfernte schwarze Silhouette am Horizont zu sehen. Dieses Live-Tondokument, da gleichzeitig auch als Best Of der ersten fünf Bandjahre zu verstehen ist, bringt den Sound der frühen Lycia ans Limit seiner Möglichkeiten. Kein Vierspurrekorder begrenzt die Stücke auf Küchenfernseherformat, der Hallraum eines Konzertsaals verleiht ihnen eine ungeahnte Größe. Es ist auch nach dem Isolationsmeisterwerk „A Day In The Stark Corner“ das zweite Release, das Lycia vom Begriff Gothic abgrenzt.

Diese Klangwelten haben nichts mit der Romantik des Genres zu tun, diese Dunkelheit ist keine Dunkelheit, die man genießen könnte. „Live“ ist der Klang eines toten Planeten. Endlose Wüsten aus erkaltetem Gestein erstrecken sich über die Oberfläche dieses Planeten, der einmal die Erde gewesen sein mochte, die die Menschen früher bewohnten, eine trostlose und desolate Welt aus Blau und Schwarz. Ein beeindruckender Anblick, würde es doch bloß irgendwen geben, um es zu sehen. Beim Hören offenbart sich nicht die eigene Vergänglichkeit – „Live“ vermittelt erschlagend unmissverständlich den Eindruck, man gehöre schon lange der Vergangenheit an, als schaue man sich diese Welt mit den geliehenen Augen des Todes an. Von den Klängen von „Live“ umgeben, fühlt man sich auf einmal erschreckend klein und nichtig.

Doch es ist lediglich das parasitenhafte Leben an seiner Oberfläche, was restlos getilgt wurde. Es ist keineswegs so, dass hier nichts passiert. Ritualistische Drums treiben die Stücke dazu an, zu musikalischen Wirbelstürmen auszuwachsen, immer wieder regnet es Steine und Schwefel. Schimmernde Gitarren- und Keyboardflächen malen aber auch betörende Polarlichter in den nachtschwarzen Himmel, in „Fate“ und „Pygmallion“ verliert man alle Angst. Man ist fast versucht, dieses Loslassen zu bereuen, wenn man im knapp zwanzigminütigen, soghaften „The Last Hours Before Sleep (Sun Beats Hard)“ dann durch die Lüfte geschleudert wird wie ein Fetzen Papier. Einen besseren, intensiveren Song haben Lycia weder davor noch in der weichen, ätherischen Phase danach geschrieben.

Nicht nur Musikarchäologen, die gerne wissen würden, wie sich The Angelic Process angehört hätten, wenn „Weighing Souls With Sand“ 1994 veröffentlicht worden wäre und The Cure und Joy Division in Kris Angylus musikalischer Entwicklung eine größere Rolle gespielt hätten, sollten sich hierfür interessieren. „Live“ ist auch eine ziemliche Pflichtveranstaltung für alle, die verschlingend dunkle und bewundernswert originelle Musik schätzen und auch im Sommer auf eine hartnäckige Gänsehaut nicht verzichten möchten. Die bete Band, die sich jemals zumindet in den äußersten Spiralarmen der Gothic-Galaxie aufgehalten hat, und das zweitbeste Live-Album aller Zeiten.

http://www.youtube.com/watch?v=LV-XjnfFdz4

SubRosa – No Help For The Mighty Ones

DANN BIN ICH EBEN ZU SPÄT DRAN NA UND GNARRRR, aber hey, besser, als wenn ich an dieser Schlüsselreizansammlung nie Gefallen gefunden hätte. Es war natürlich allzu leichtfertig, die Band in die für mich momentan uninteressante Retroecke zu packen. Man orientiert sich in Teilen durchaus daran, die grobschlächtige und sehr erdige Produktion zeigt ein grobkörniges Bild auf einer riesigen Leinwand. SubRosa sind jedoch keine Traditionalisten, keine Restauratoren und weit mehr als bloß Fans – sie klingen, als hätten sie wirklich etwa zu sagen.

Ihre Musik wird schon allein dadurch interessanter als das Groß der Stonerdoom- und Okkultrock-Konkurrenz, dass sie so herrlich unentspannt ist. Die Nabelschnur, die jene Stile mit der Mutter Bluesrock verbindet, wurde hier durchtrennt, Stücke wie „Beneath The Crown“ (früher Katharsismoment des Albums, der bei mir den Knoten zum Platzen brachte) brechen mit erstaunlicher Wucht über den Hörer herein. Der Druck und die spürbare Anstrengung, mit denen die Instrumente bearbeitet werden, lassen gar teilweise an Neurosis‘ 90er-Meisterwerk „Through Silver In Blood“ denken. Besonders in den Beschleunigungsparts klingt die Musik so gefährlich entfesselt und unaufhaltsam wie bei keinem vermeintlichen Genrekollegen. Eigentümlich und in höchstem Maße reizvoll ist hier dabei die feminine Note im Vortrag; hier werden ganze Städte niedergemäht, aber mit der Anmut eines Tanzes. Die elektrischen Violinen, die merkwürdigerweise oft wie ein Bläserensemble klingen, haben es, ebenso wie der beseelte Gesang von Rebecca Vernon, nicht nötig, exotisch zu klingen, und vermitteln dazu eine Ahnung, wie My Dying Bride klingen könnten, würde Aaron Stainthorpe sie nicht regelmäßig in Rotwein und Pathos ersaufen. Das ist in dieser Kombination alles ganz schön eigenständig und bekommt eine Reservierung auf den höheren Rängen der Jahres-Topliste.

http://www.youtube.com/watch?v=zzYqGAzunME
http://www.youtube.com/watch?v=BcgIonOOZ0I
http://www.youtube.com/watch?v=jeqx01P1QGI

Sonst noch (wenn ich nicht gerade, wie bei „Times Of Grace“ und „A Place To Bury Strangers“, überrachend die Lust auf die Alben verliere…sorry, xTOOLx, kommentiere ich sie natürlich auch gerne):

The Angelic Process – Coma Waering
The Angelic Process – Sigh
The Angelic Process – …And Your Blood Is Full Of Honey
Devil Doll – Dies Irae
Devil Doll – The Girl Who Was…Death
Field of the Nephilim – Earth Inferno
Depeche Mode – Violator
David Bowie – „Heroes“
Kyuss – Welcome To Sky Valley
The Chameleons – Strange Times
Dead Can Dance – Spleen and Ideal
Peter Hammill – The Silent Corner And The Empty Stage