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Und wieder Neues vom unterm Sofa:
41. Bauhaus – In The Flat Field
Bauhaus sehen sich nicht gerne als der Gothic-Szene zugehörig, geschweige denn als ihre Mitbegründer. Kein wirklich ambitionierter Künstler lässt sich gerne in eine Schublade stecken, noch dazu in eine, die in den letzten Jahren derart in Verruf gekommen ist. Der Einfluss von Bauhaus war aber bereits vor der Veröffentlichung ihres Full Length-Debüts unbestritten; die Single „Bela Lugosi’s Dead“, ein sperriges neunminütiges Stück mit unnachahmlich gespenstischer Atmosphäre, katapultierte die Band in den Fokus der Aufmerksamkeit und an die Spitze der Independent-Charts. „In The Flat Field“ wurde von der Presse jedoch nicht mit einhelliger Begeisterung aufgenommen. Man warf der Band vor, eine bloße Kopie des ein Jahr zuvor erschienenen Debüts von Joy Division und von David Bowie zu sein, sich außerdem zu sehr an The Velvet Underground und The Doors zu orientieren. Gewiss sind die Parallelen nicht von der Hand zu weisen, doch „In The Flat Field“ stellt eine deutliche Weiterentwicklung dieser Einflüsse dar, es ist hier schon in bemerkenswert feinen Umrissen zu vernehmen, was die junge Gothic-Szene in den frühen 80ern ausmachen sollte.
„In The Flat Field“ hat eine sehr eigensinnige, bizarre Ästhetik an sich. Es ist eine Reaktion auf die tristen, unwirtlichen Landschaften von Northhampton, sowohl Ausbruch als auch Zustandsbeschreibung. In den Texten werden alltäglicher Wahnsinn, religiöser Fanatismus und Magie thematisiert, und auch die Existenzängste und die Isolation in trostloser, schwarzgrauer städtischer Umgebung. Sinnbildlich dafür steht der manische, rhythmisch getriebene, sich überrennende Titeltrack: „I could get bored, I get bored, in the flat field“.
Das Gitarrenspiel lässt seine Ursprünge in Punk noch erkennen, fügt sie aber in einen neuen Kontext; Daniel Ashs verschrobene Akkordfolgen klingen wie präzise eingesetzte, rostige Rasierklingen. Das Rhythmusfundament besitzt eine für die Anfänge der Post-Punk-Bewegung durchaus typische Verspieltheit und Hektik. Über dieses von einem harten, metallenen Sound angemessen in Szene gesetzte musikalische Fundament legt sich der neurotische Gesang von Peter Murphy, der zwischen Selbstgeißelung und Schweißbrenner schwankt. Es ist ein sehr karges, knochiges und lärmiges Gerüst, das jedoch bei all seiner nervenzerrenden Atonalität und Schrägheit auch merkwürdig elegant wirkt und selbst bei kurzen, abgehackt wirkenden Stücken wie „Dive“ und „St. Vitus Dance“, dem repetitiven „Stigmata Martyr“ und beim Opener „Double Dare“ noch eine Art sonderbare, morbide Romantik versprüht. Insbesondere letztgenannter Song beeindruckt mich bis heute: Das angerissene Rifffragment weist zunächst in eine völlig falsche Richtung. Was folgt, ist ein vertontes Folterritual aus Störgeräuschen, Feedback und verstümmelter Rockmusik. Instrumentarium und Gesang klingen so angenehm wie eine rostige Säge auf der Haut, Peter Murphy singt/schreit/windet sich wie ein Geisteskranker bei einer Selbstgeißelung. Das Drumming ist verdammt stumpf, aber vor allem gegen Ende so unglaublich druckvoll und wuchtig, dass man denkt, Drummer Kevin Haskins wolle die Welt in zwei spalten. Diese irrsinnige Brutalität ist auch im Verhältnis zu der Zeit der Veröffentlichung bemerkenswert und wirft meiner bescheidenen Meinung nach auch auf so ziemlich jede Death-/Black Metal/Hardcore-Band der Welt einen langen Schatten…
„In The Flat Field“ ist ein Zeitdokument, das kein einziges Staubkörnchen angesetzt hat. Andere mögen spätere, vielleicht reifere und facettenreichere Alben von Bauhaus mehr schätzen, bei mir hat ihr Debüt jedoch den größten Eindruck hinterlassen.
40. This Mortal Coil – It’ll End In Tears
Schon wieder 4AD: Hinter dem Namen This Mortal Coil verbarg sich ein Projekt von Musikern, die mit ihren Hauptbands bei eben jenem Label unter Vertrag standen. In wechselnder Besetzung veröffentlichte man von 1984 bis 1991 drei Alben, bestehend aus überwiegend Coverversionen und später immer mehr Eigenkompositionen, von denen das Debüt „It’ll End In Tears“ das wohl bekannteste und einflussreichste ist und mit der prominentesten Besetzung eingespielt wurde (mit Mitgliedern von Dead Can Dance, Cocteau Twins, The Wolfgang Press…). Meist wenig bekannte, in Vergessenheit geratene Stücke werden neu interpretiert und um eine ätherisch-atmosphärische Nuance bereichert. Das musikalische Spektrum reicht dabei von melancholischen Popsongs und wehmütigen Balladen zu experimentellen Soundcollagen und kammermusikalischer Intimität. Der größte Verdienst der Musiker ist dabei, eine bemerkenswerte Homogenität beizubehalten (und trotz solch verschiedener Künstler wie Bauhaus, Dead Can Dance und Pixies auch die labelinterne Homogenität aufzuzeigen); hier arbeiten unterschiedliche, doch gewissermaßen auch miteinander verbundene Künstler an einer gemeinsamen Grundidee, hier wird durch das gesamte Album ein roter Faden gesponnen.
Der bekannteste und auch schönste Song von „It’ll End In Tears“ dürfte das vor allem aus David Lynchs „Lost Highway“ (und aus einer Parfümwerbung aus den 80ern, haha) bekannte Tim Buckley-Cover „Song To The Siren“ sein. Begleitet von gut gesetzten, sparsamen Gitarrenakzenten singt Cocteau Twins-Chanteuse Elizabeth Fraser; es ist unheimlich schöner, ätherischer, engelhafter, mit Melancholie erfüllter Gesang, der sich wie Balsam auf die Seele legt. Ich wage zu behaupten, dass Elizabeth Fraser und Robin Gurthie auch mit ihrem Hauptbetätigungsfeld keinen Song dieser Klasse veröffentlicht haben.
IEIT gehört zu den ersten und wichtigsten Alben der Ethereal Wave-Bewegung, auch Formationen wie Sigur Rós, Björk und The Gathering beziehen sich oftmals auf This Mortal Coil. Auch nunmehr 25 Jahre nach seiner Veröffentlichung ist „It’ll End In Tears“ immer noch zeitlos fragil und schön.
39. Anathema – The Silent Enigma
Man hat manchmal den Eindruck, der Anathema-Fankreis teile sich in zwei Fraktionen: das wäre zum einen die, die auf den Death Doom-Sound alter Tage schwört und mit der Band spätestens ab „Alternative 4“ nichts mehr anfangen kann und zum anderen die, die den Pink Floyd-beeinflussten, melancholischen Alternative/Progressive Rock dem Doom Metal der ersten Veröffentlichungen vorzieht. Obgleich ich mich insgesamt eher zu der zweiten Fraktion zählen würde, steht „The Silent Enigma“ doch um einiges höher in meiner Gunst als viele Folgealben, mögen diese auch ausgereifter klingen und mögen die Bandmitglieder als Musiker gewachsen sein. Gewissermaßen setze ich hier die „Geburtsstunde“ einer ehemals mittelmäßigen, wenig eigenständigen oder gar innovativen Death Doom-Combo an. Der unentschlossene, noch stark an Paradise Lost – Gothic angelehnte Sound wich deutlich spannenderem, eigenständigerem, hochatmosphärischem Dark Metal, Anathema traten aus dem Schatten früherer Genreikonen wie My Dying Bride und Paradise Lost heraus und erspielten sich zumindest für kurze Zeit einen ähnlichen Einfluss und Status.
Der Ausstieg des früheren Sängers Darren White erscheint vor dem Hintergrund wie das Beste, was der Band passieren konnte. Und dieses Ereignis scheint auch großen Einfluss auf den Songwriting-Prozess genommen zu haben: die Stücke werden durchzogen von einer in der Form nie zuvor oder danach präsenten Aggression und Verzweiflung. Und obgleich er bei seinem Gesangsdebüt noch recht unbeholfen und technisch lange nicht so souverän wirkt wie auf den Folgealben, trägt gerade Vincent Cavanagh einen wichtigen Teil zu dieser unnachahmlichen Atmosphäre bei. Die Songs zeigen sich unberechenbar und eruptiv wie sonst selten; beeindruckend monolithische Gitarrenwände treffen auf Oasen der Ruhe, durchaus recht dominante und bombastische, jedoch keineswegs kitschige Keyboardteppiche auf Ausbrüche und Gitarrenakzente mit dem unheilschwangeren Klang von Totenglocken, sperrige Abschnitte auf wie in „A Dying Wish“ geradezu hymnische Momente, undurchdringliche, verschluckende Finsternis manchmal auch auf warmes, fast jenseitig schönes Licht. Geradezu ein Musterbeispiel dürfte „Shroud of Frost“ sein: man sieht sich auf offener, stürmischer See den peitschenden, gigantischen Wellen ausgesetzt, wird immer wieder unter ihnen begraben und von ihrer Wucht fast zu Grunde gerichtet, treibt doch immer wieder nach oben. Die Atemzüge werden immer schwächer, in den letzten Momenten sieht man noch, wie die dunkelgrauen Gewitterwolken sich allmählich lichten und fühlt einen schwachen, warmen Sonnenstrahl. (Gott, klingt das geschwollen…)
Ein großartiges und innerhalb der Anathema-Diskografie wirklich herausstechendes Album, wenngleich es für mich nicht repräsentiert, was die Band ausmacht.
38. Lycia – Cold
Wenn man aus dem Fenster blickt und Eisblumen am Glas sieht, wenn die Welt unter einer dicken weißen Schneedecke liegt, wenn man sich unter eine warme Decke verkriechen und seiner Melancholie frönen möchte, dann gibt es zur musikalischen Untermalung dieses Szenarios wahrlich kaum ein besseres Album als das vierte, 1996 erschienene Werk (das fünfte, wenn man „Wake“ mitzählt) der amerikanischen Dark Wave-Formation Lycia. Zwar kehrt man nicht zur Ursprünglichkeit der 4-Track-Aufnahmen zurück und hält am Shoegaze-Sound des Vorgängers fest, das Konzept ist in seiner Durchführung jedoch ähnlich extrem wie das von „A Day In The Stark Corner“. Schon der Opener „Frozen“ lässt einem sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren; das Lycia-typische, verspulte Gitarrenspiel wurde hier in seiner Effektivität auf ein neues Level gebracht. Mehr noch als auf dem Vorgänger „The Burning Circle and Then Dust“ tritt hier der Gesang von Tara VanFlower in den Vordergrund, kommt gleich oft zum Einsatz wie Mike VanPortfleets charakteristischer Flüstergesang und lässt die Stücke schöner, einladender und sanfter wirken.
Die Songs zelebrieren träge dahinschlurfende, hypnotische Langsamkeit fast bis zur Pulslosigkeit, tanzen einen benommenen, selbstvergessenen Walzer; das rückt sie in die Nähe von Slowcore Low’scher Prägung. Wieder ziehen sich die Themen Isolation und Depression durch das ganze Album. Andererseits, und das unterscheidet „Cold“ wesentlich vom Frühwerk Lycias, ist da der bereits erwähnte Shoegaze-nahe Sound, der sich wie eine hauchzarte Wattedecke unter einem ausbreitet und einen auffängt, wenn einem äußerste Trostlosigkeit und Resignation den Boden unter den Füßen wegreißen. Soft as snow – and cold inside (wer den Querverweis findet, darf ihn behalten).
37. Wire – 154
An kaum einer Diskografie lässt sich die Entwicklung der Post Punk-Bewegung so gut ablesen und nachvollziehen wie an den ersten drei Alben von Wire. Das Debüt „Pink Flag“ wurde 1977 mitten im Höhepunkt der Punk-Welle veröffentlicht und stand doch einen Schritt abseits. Die simplen, aggressiven, sägenden Rhythmen und Akkorde, die die technisch damals kaum versierte Band eintrümmerte, rückten die Band in die Nähe des Punks, doch anders als bei den damals populären Vertretern und ihren meist brav strukturierten Songs waren die Stücke immer fragmentarisch und einsilbig, selten wirklich ausformuliert und bewusst nicht zu Ende gedacht – und dementsprechend kurz. Ein Dreiminüter war auf „Pink Flag“ ein epischer Longtrack und eine Ausnahme. Dennoch fanden sich in diesem Bruchstückhaufen auch einige wegweisende Ideen – siehe „Three Girl Rhumba“ und Elastica, haha.
Die Basis dieser abgehackten Rohheit behielt man auch auf dem ein Jahr darauf erscheinenden Zweitwerk „Chairs Missing“ bei. Doch die Band hat sich hörbar weiterentwickelt, neben den kurzen, punkigen Stücken gab es nun auch relativ lange Songkonstrukte wie „Mercy“, wunderbare, lupenreine Popsongs wie „Outdoor Miner“, die auf dem Folgealbum präsenter werdenden Neurosen wie „Practice Makes Perfect“ und allerhand Experimente mit Electronica. Unzählige Bands, die sich erst später gründen sollten, bekamen hier musikalische Grundimpulse; nicht umsonst benutzt man in britischen Musikzeitschriften häufig die Beschreibung „wirish“.
Dies war ja alles schön und gut – aber noch nicht so formvollendet und ausgefeilt wie auf dem 1979 erschienenen Drittwerk „154“.
Statt kantigen Gitarren wird man nun von flächigen Keyboard-Sounds mit Ambient-Charakter, dem melancholischer und tiefer gewordenen Gesang von Colin Newman und sich eher im Hintergrund haltenden, jedoch gewissermaßen treibenden Gitarren und Drums begrüßt. Zwar klingt das folgende „Two People In A Room“ schon etwas vertrauter, doch die Atmosphäre der musikalischen Umgebung hat sich drastisch und unwiderruflich verändert. Alles ist gehüllt in ein unterkühltes, chromglänzendes Gewand, die elektronischen Elemente, die auf dem Vorgänger noch aus purer Lust am Experiment eingesetzt und nicht wirklich homogen in den Bandsound integriert wurden, sind hier tragender Bestandteil des Gesamtsounds. Die Musiker hinter Wire sind nun nicht mehr die Dilettanten von vor zwei bis drei Jahren, die aufgrund ihrer (Un-)Fähigkeiten Spielverbot in einigen Londoner Clubs bekamen, sondern ambitionierte, durchaus etwas berechnende Könner, die nichts dem Zufall überlassen.
Das Album zeigt ein dem Vorgänger nicht unähnliches Facettenreichtum: es gibt da die intelligenten Popsongs, die so klingen wie eine Post Punk-Version der Beatles mit einem mechanischen Herz. Es gibt da die eher arttypischen Punk Rock-Stücke, die jedoch diesmal auf den Punkt gebracht wurden und von Neurosen und Wahnsinn durchzogen sind. Es gibt für die Zeit und in dem Kontext wahnwitzige und sperrige Klangcollagen, die aber nicht bloß den Selbstzweck eines Experiments erfüllen. Und es gibt Stücke, die es sich zwischen diesen Stühlen bequem machen. In seiner Stilvielfalt hat „154“ „Chairs Missing“ trotzdem vor allem eines voraus: Homogenität. Das Album wird bestimmt von einer kalten, dem Cover entsprechend abstrakten, unwirtlichen und irgendwie entseelten Atmosphäre und der damit einhergehenden Melancholie. An der aufkeimenden Gothic-Bewegung sind Songs wie der bereits erwähnte Opener „I Should Have Known Better“, „A Touching Display“ sowie das sonderbare, hypnotische „A Mutual Friend“ mit seinen merkwürdig-schönen Bläsern und seinem benommenen Gesang gewiss nicht ganz spurlos vorbeigegangen. Das Unmittelbare und Ungeschliffene, die Ausbrüche der ersten beiden Alben sind hier in der Form natürlich nicht mehr vorzufinden, würden andererseits aber auch nicht in das Bild dieser scheinbar perfekt durchkonstruierten Welt hineinpassen. Herzstück des Albums ist das knapp siebenminütige „A Touching Display“; eine vertonte Anti-Utopie, eine apokalyptische, futuristische Vision von „Punk Floyd“.
Die beiden Vorgängerwerke mögen einen etwas lauteren und bis heute präsenteren Nachhall gehabt haben, es mögen andere die ersten beiden Alben aufgrund ihrer Rohheit und größeren Greifbarkeit bevorzugen – für mich bleibt „154“ der Maßstab, an dem ich die Band immer messen werde und der künstlerische Höhepunkt von Wire. „154“ ist sperrig und elegant, kunstvoll, visionär und zeitlos. Es ist eines der vollkommensten, innovativsten und besten Werke einer Bewegung, die zur Zeit der Veröffentlichung des Albums gerade erst richtig ins Rollen kam.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]