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16. Fields of the Nephilim – Elizium
Tell me…what is reality?
Na, Kinder, alle schön die Nebelmaschinen angeschmissen, die Familienpackung Mehl rausgeholt und den ranzigen Cowboyhut aufgesetzt? „Hä, nein, wovon redet dieser Schwachkopf da überhaupt?“ So oder so ähnlich trat die britische Gothic Rock-Formation Fields of the Nephilim Mitte der 80er in Erscheinung. Gewiss lag es am anfangs noch recht konventionsgebundenen Sound, doch vor allem auch an eben diesem Auftreten, dass die Band anfangs noch als The Sisters of Mercy-Klon gebrandmarkt wurde, doch man konnte sich recht schnell davon emanzipieren. War die Western-Ästhetik bei den Sisters noch dem Faible für komische Hüte vom damaligen Gitarristen Wayne Hussey (The Mission) geschuldet, so gingen die Fields das Ganze wesentlich tiefgreifender, ambitionierter, irgendwie ernster, regelrecht konzeptuell an – im Auftreten, audio-visueller Ästhetik und den Texten vermischte Bandkopf Carl McCoy Spaghetti-Western mit postnuklearem Endzeitszenario, Lovecraft mit Crowley, Schamanismus mit Chaosmagie und der Nephilim-Legende. Und während der Trend damals eher Richtung Drumcomputer ging, setzte man bei Fields of the Nephilim eher auf einen natürlichen, erdigen Sound, der die Band als eine der ersten (jaja, The Cult…andere Geschichte) in die Nähe von Hard Rock rückte.
Von Kritikern gelobt und mit einer großen Fanbase im Rücken avancierte Fields oft he Nephilim Ende der 80er somit zu den wohl wichtigsten und einflussreichsten Protagonisten des Gothic Rocks der zweiten Welle – doch die konventionellen Songstrukturen wurden McCoy allmählich zu plump und einengend, konnten sie die erzielte Atmosphäre doch kaum wirklich tragen. Was auf den ersten beiden Werken nur angedeutet wurde, kommt hier in einer bis dato ungeahnten Konsequenz zu tragen; wer mit der Erwartung an „Elizium“ herangeht, einen eingängigen, klar strukturierten Hit der Marke „Moonchild“, „Power“ oder „Preacher Man“ vorzufinden, wird gnadenlos enttäuscht. Die Single „For Her Light“ tendiert vielleicht in diese Richtung, bleibt als einzelner Song erschreckend weit hinter den Qualitäten genannter Vorzeigehits zurück – anscheinend durchaus gewollt. Das Stück verschmilzt mit den anderen sieben zu einer untrennbaren Einheit und bildet so etwas wie das bloße Preludium zu „At The Gates of Silent Memory“; es scheint, wie vieles auf dem Album, oberflächlich recht unbewegt und vermittelt doch eine solch sinistere, bedrohliche Stimmung, wie es den Fields in der Form bis dato nie gelungen ist. Der beispiellos intensive Spannungsbogen des Drummings mündet vor seiner finalen Auflösung in das ungewöhnlich kurze, schnelle und rockige „(Paradise Regained)“, doch das soll auch der letzte Akzent dieser Art sein.
Die Stücke gehen nahtlos in einander über und funktionieren eigentlich gar nicht außerhalb ihres Kontexts. Die unwirklichen, sphärischen, somnambulen Melodien der Gitarren, das Drumming, mal viel zu weit im Hintergrund und mal viel zu aufdringlich und dominierend wirbelnd, um wirklich Halt zu bieten, der Grabesgesang des Berufsirren Carl McCoy und die so ziel- wie endlosen, sich ausweitenden Kompositionen verlaufen aquarellartig; unheimlich viele Variationen und Mischungen dunkler Farben, aber keine wirklich klar erkennbaren Muster. Die Songs kennen keine klaren Strukturen und keinen kalkulierten Aufbau, sie entfalten sich entweder in weiter, endloser Monotonie oder in sich langsam entwickelnder Psychedelik. Apropos, gutes Stichwort: „Elizium“ mutet allgemein höchst psychedelisch an, nicht selten denkt man an eine frisch dem Grab entstiegene Version von Pink Floyd ohne irdischen Bezug und ohne wirklich greifbaren, menschlichen Optimismus. Durchaus kein Zufall, „Elizium“ wurde zusammen mit dem Pink Floyd-Live-Keyboarder aufgenommen und von Andy Jackson wirkungsvoll großflächig produziert. Im entspannten Schwelgen von „Wail of Sumer“/“And There Will Your Heart Be Also“ findet „Elizium“ einen wunderbar einlullenden und idyllischen Abschluss.
Mit „Elizium“ haben Fields of the Nephilim 1990 ihren hohen Status endgültig zementiert. Man vertonte eindrucksvoll die zuvor bemühte Atmosphäre, indem man frühere Trademarks über Bord warf und die selbstauferlegten Barrieren durchbrach, „Elizium“ steht in einem großen Abstand zum damals bereits stagnierenden Gothic Rock und ist in seiner bis heute unerreichten Stimmung doch so etwas wie sein Idealbild. Nach dem (grandiosen; teilweise wird die Intensität der Studio-Versionen sogar noch überboten) Live-Album „Earth Inferno“ von 1991 trennte sich McCoy von der Band und machte mit seinem wesentlich metallischer ausgerichteten Projekt The Nefilim weiter, der Rest der Band gründete Rubicon. Die (vorläufige) Trennung der Fields of the Nephilim mutete wie der finale symbolische Abschluss mit dem Gothic Rock nach traditionellem Verständnis an. Nichtsdestotrotz wurde 15 Jahre nach „Elizium“ „Mourning Sun“, das vierte offizielle Studioalbum der Fields, veröffentlicht, mit Carl McCoy als einziges Originalmitglied (die Originalmitglieder waren zuvor eh kaum bzw. gar nicht am Songwriting beteiligt, insofern…). Das Album klingt modern, ohne die Wurzeln der Band zu leugnen, und kann dem britischen Patienten (als eines der meiner Meinung nach erschreckend wenigen Alben nach der Jahrtausendwende) kurzzeitig wieder so etwas wie Leben einhauchen. Ach ja, die komische, unausgegorene, ohne Einverständnis der Band veröffentlichte Demo-Sammlung „Fallen“ von 2002 wurde mal dezent totgeschwiegen…
Für mich ist „Elizium“ die Krönung des Schaffens von Fields of the Nephilim. Wenn überhaupt, hätte das Album einzig die Inklusion des brillanten, zuvor als Maxi veröffentlichten „Psychonaut Lib III“ aufwerten können.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]