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15. Tool – Ænima
Seltsame Soundeffekte, man weiß nicht wirklich, woran man hier ist. Mit dem Einsetzten des Riffs von „Stinkfist“ fällt die Tür hinter dem eigenen Rücken zu. Tool knipsen der Realität für ungefähr 80 Minuten das Licht aus, die Farbe, die „Ænima“ am besten charakterisiert, ist tatsächlich Schwarz. Die brillante, glasklare und doch druckvolle, warme und doch fremdartige Produktion von David Bottrill (Peter Gabriel, King Crimson) kapselt den Hörer geradezu ein zwischen den Klängen. Im ersten Moment kommt man sich regelrecht blind vor in dieser Schwärze, doch die Musik, sie klingt nicht vertraut, aber geradezu greifbar. Maynard James Keenan geleitet durch die Finsternis; bis heute einer der charismatischsten, facettenreichsten und ausdrucksstärksten Sänger, die ich kenne! Die Gitarrensalven von Adam Jones sind so filigran und virtuos wie direkt, ebenso das teilweise sehr hypnotische Drumming von Danny Carey. Besonders hervorhebenswert ist das Bassspiel von Justin Chancellor und vor allem sein Klang: stählern, es vibriert geradezu in der Magengrube. Auch nach längerem Überlegen fällt mir keine Band ein, bei der der Bass so großartig klingt und vor allem so gezielt und effektiv eingesetzt wird (Ich verstehe normalerweise weder etwas von Spieltechnik, noch lege ich darauf sonderlich Wert, dass ich mich in dieser Besprechung also diesem Aspekt so relativ ausführlich widme, muss schon was heißen.). Die schier unmenschliche Präzision und Instrumentbeherrschung, die omnipräsente Spannung geht weit über das herkömmliche Verständnis von Prog, ja, über das herkömmliche Genreverständnis allgemein hinaus. Mit einer niederreißenden Kraft und einer sofort in den Bann ziehenden Dynamik.
Die Musik von Tool ist ein hochkomplexes System ineinander greifender Zahnräder, das jedoch nie so etwas wie Willkür, Vertracktheit um ihrer selbst Willen ausstrahlt. Der Fluss der Songs verbündet sich in seiner Natürlichkeit mit der Blutzirkulation. Bei Tool rückt der rein musikalische Aspekt nie wirklich in den Hintergrund, ist jedoch gewissermaßen „nur“ Mittel zum Zweck, eine Leinwand, bestens abgestimmt auf die Projektionen, lyrisch wie visuell, mittels derer Tool mit der Wahrnehmung des Hörers spielen. Gerade dem visuellen Aspekt wird bei Tool viel Bedeutung beigemessen, nicht nur bei den grandiosen Videos, auch in der Covergestaltung. „Ænima“ ist eine Erfahrung, die weit über das bloße Musikhören hinausgeht, das Album zerrt einen in einen Moloch aus gegen die Menschheit und gegen sich selbst gerichtetem Hass, in die tiefsten Abgründe menschlicher Existenz. „H.“ bohrt sich regelrecht leise und verhalten in die Gehirnwindungen, um mittendrin mit einem gewaltigen Urschrei zu explodieren; I don‘t mind… Eine grotesk fröhliche Drehorgelmelodie leitet das tragische „jimmy“ ein und wird dann in zu ihrem Gegenteil verkehrter Form mit einer gänzlich anderen Wirkung zu seinem Mittelpunkt. Das Crescendo von „Pushit“ ist von einer schmerzlichen, gnadenlosen Intensität, als bohren sich Hunderte von Klingen ins eigene Fleisch. Remember I will always love you, as I claw your fucking throat away. „Hooker With A Penis“ ist ein ungeahnt primitiver und zynischer Ausdruck von Verachtung.
Doch „Ænima“ ist kein ausdrücklich negatives Statement, selten bis nie tut man dem Hörer den Gefallen einer Eindeutigkeit. „Eulogy“ und vor allem „Forty-Six & 2“ lösen sich elegant von den Ketten menschlichen Denkens und nehmen gewisserweise die spirituell inspirierte Herangehensweise von „Lateralus“ vorweg. Der quasi-Titelsong „Ænema“, Keenans zynisch-ironische Abrechnung mit L.A., stellt auf dem Album einen der lichtesten Momente dar. Mom please flush it all away. Ironischerweise führen einem gerade die surreal und verstörend anmutenden Zwischenspiele wieder die Existenz von so etwas wie einer Realität vor Augen und man glaubt, wieder den Boden unter den Füßen zu spüren. Das wahre Herzstück des Albums, sozusagen eine eigene Welt in einer eigenen Welt, ist für mich jedoch „Third Eye“.
Die vierminütige Soundcollage „(-) Ions“ trennt das Stück symbolisch vom Albumgeschehen. Herzschläge, Leben. See I think, drugs have some done good things for us. I really do. And if you don’t believe drugs have done good things for us, do me a favor, go home tonight, take all your albums, all your tapes, and all your CDs, and burn them…Langsam tastet es sich zwischen Rauschen und Sprachsamples von Bill Hicks zu seiner Struktur voran, die Drums setzen ein, werden lauter und dominanter. Here’s Tom with the weather.- Alle vier (ja, vier, Maynard inbegriffen…der Gesang agiert hier meist eher als zusätzliches Instrument denn als greifbares menschliches Ego) Instrumente verschmelzen zu einem unheimlich dichten, pulsierenden Ganzen, verbünden sich zu einem Fiebertraum. Effektgeladene Gitarren ziehen den Hörer durch psychedelische Untiefen. Boden, Decke, Wände? Für diesen Moment nicht einmal in der Erinnerung existent. Obsolet. Endlich etwas Halt, glaubt man, endlich die so sanft, warm und vertraut klingende Stimme von Maynard. „So good to see you. I’ve missed you so much. So glad it’s over. I’ve missed you so much“ Das Stück baut sich immer mehr zu einem wahren Monster auf, strömt in alle Richtungen, seine Größe nicht mehr überblickbar. Die schier gewaltige Energie ist nicht mehr kontrollierbar, die entfesselte Kraft reißt alles, inklusive des gnadenlos überforderten Hörers, mit sich nieder. Zum Schluss wird nochmals auf das bereits am Boden liegende Opfer eingeschlagen: Prying open my third eye.
„Ænima“ bietet bedeutend mehr, als auf dem Album-Debüt „Undertow“ versprochen und bereits vorweggenommen wurde. Es bildet eine eigene, in sich geschlossene, in dieser Form unkopierbare Klangwelt, der man entweder verständnislos und unbeeindruckt („Was, Tool, diese Instrumentalonanie hören doch nur Visions-Leser, um sich cool vorzukommen.“ Jaja. Hört Dream Theater, ihr Luschen. Hihihi.) oder als glühender Verehrer (like me) begegnet. Eines der wegweisendsten, bis heute beeindruckendsten und besten Alben der 90er.
(Natürlich bin ich mit dem Review nicht zufrieden.)
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]