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14. The 3rd and the Mortal – Painting on Glass
Aus einem dunklen, näher kommenden Rauschen schallen immer wieder Trombonen, bis sich rituell anmutendes Drumming hinzugesellt. Die musikalische Umgebung ist voll von erstickendem Rauch und bis auf die beschwörende Stimme von Ann-Mari Edvardsen und gelegentlich aufflackernde Blasinstrumente absolut finster. Der sich bereits mit dem ersten Song öffnende Höllenschlund von „Magma“ ist als Mischung aus Dead Can Dance, Angelo Badalamentis „Night Life in Twin Peaks“, den düstersten Momenten von Pink Floyd und rituellem Dark Ambient einigermaßen gut umrissen und doch nicht annähernd erfasst. Ein musikalischer Fiebertraum. Nahtlos geht das Stück in das folgende „Commemoration“ über, welches nach Trombonenintro eine zwar unerwartete, aber trotzdem gut in den Gesamtkontext passende Wendung nimmt. In völliger Selbstverständlichkeit brechen gleich drei Gitarren durch die Stille. Aus der trägen, zäh fließenden Lava entwachsen die schönsten, traurigsten, faszinierendsten Melodien, um gleich wieder verworfen und durch neue entsetzt zu werden. Ann-Mari Edvardsen beeindruckt durch gesangliches Variantenreichtum, das Stück fließt durch zahlreiche elegante Wendungen. „Persistent and Fleeting“ wird eingeleitet von den ganzen Song dominierenden Schamanengesängen, bald wird die aufgebaute bedrohliche Stimmung von Gitarrenwänden eingerissen. Der Song windet sich, er pulsiert, er bricht aus und legt sich im ständigen Beibehalten seiner Energie und Dynamik wieder auf die Lauer. Erneut ziehen Dead Can Dance am inneren Auge vorbei, erneut wird der Vergleich sofort wieder verworfen. Und doch sind Parallelen zu DCD auf „Painting on Glass“ omnipräsent, manchmal in direkten Anleihen, meistens durch die Gemeinsamkeit der weltmusikalischen Offenheit beider Bands.
Dass sich dazwischen die stille, minimale Ballade „Crystal Orchids“ befindet, die durch Verfremdung so klingt, als ob sie in einem Schrank sitzend eingesungen wurde, und in der musikalischen Kulisse absolut nicht fehl am Platze erscheint, wirkt paradox. Diese gewisse Paradoxie durchzieht das ganze Album, sein Fluss und seine Entwicklung sind stets unberechenbar, auch nach zahlreichen Hördurchgängen noch überraschend und irgendwie höchst lebendig. Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit The 3rd and the Mortal erst minutenlange Ewigkeit, ausgefüllt von einem Hauch von Nichts, zelebrieren und dann den Hörer aus allen Wolken fallen lassen. Besonders eindrucksvoll ist dieser Konstrast bei „Dreamscapes“; beginnend mit ungewöhnlich hart einbrechenden Gitarrenwänden geht es über in zarte, ätherische Ambient-/New Age-Flächen, die folgenden Doom-Riffs werden abrupt unterbrochen vom Einsturz des Szenarios. Die Band konzentriert sich im weiteren Verlauf auf das Beibehalten einer bedrohlichen Atmosphäre, die folgenden Stücke sind oft nur ineinander greifende Fragmente, Stimmungen, Flächen von unüberblickbarer Weite. Einer der wenigen Songs, die auch losgelöst von diesem Kontext funktionieren, ist „Veiled Exposure“: eine idyllische Ruheinsel inmitten von Brodeln und Eruptionen. In den letzten Stücken klingt „Painting on Glass“ erneut wenig greifbar und collagenhaft, die in „Vavonia Part II“ deutlich werdenden Doom Metal-Wurzeln werden von Dunkelheit und Leere begraben.
Schon zu ihrer Anfangszeit waren The 3rd and the Mortal musikalische Querdenker. Sie spielten eine Art zarten, fragilen Gothic Metal mit deutlicherem Bezug zu Folk und Prog Rock als zu Death Doom und ganz ohne männlichen Growler, bevor dieser Sound über einen kleinen Liebhaberkreis hinaus salonfähig werden konnte. Sie trennten sich von ihrer Frontelfe Kari Rueslåtten und übergaben den Posten am Mikro der gesanglich wesentlich variableren Ann-Mari Edvardsen. 1996 wurden sie mit „Painting on Glass“ radikal experimentell, ein Jahr nach dem Erfolg von The Gatherings „Mandylion“. Mit den Folgealben wandten sie sich vom Metal in einer beispiellosen Konsequenz ab, bevor The Gathering und Paradise Lost in eine ähnliche Richtung tendierten, dies jedoch bei weitem nicht so drastisch. Ein typischer Fall von „seiner Zeit voraus“: die eh nicht sonderlich große frühe Anhängerschaft verabschiedete sich mit „Painting on Glass“, spätestens aber mit „In This Room“, im Gegensatz zu beispielsweise The Gathering oder Anathema konnte sich die Band jedoch vergleichsweise wenig neue Hörerschichten erschließen. Kommerziell/karrieretechnisch also mal grandios alles falsch gemacht. Und künstlerisch? Zumindest noch auf dem besprochenen Album so ziemlich alles richtig. „Painting on Glass“ wirkt gleichermaßen explosiv und unberechenbar wie fließend, ist so verstörend wie idyllisch-schön. Eines der für mich faszinierendsten, mutigsten und besten Metal(?)-Alben der 90er.
http://www.myspace.com/the3rdandthemortal
Morgen kommt übrigens wieder so ein Everybody’s Darling-Kandidat…
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]