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TizWunderbar geschrieben. Das Album ist eines der traurigsten und depressivsten das ich je gehört habe. Ein kleines Meisterwerk.
Thx! 🙂
*derweil kalten, feuchten Lappen an entstandene Beule halt und weitermach*
10. Joy Division – Unknown Pleasures
Guess the dream always end
They don’t rise up just descend
But I don’t care anymore
I’ve lost the will to want more
I’m not afraid, not at all
I watch them all as they fall
But I remember, when we were young
Wenn es eine Band gibt, auf die man sofort und als erstes stößt, wenn man sich mit New Wave/Post-Punk befasst, wenn es ein Album gibt, in dem sich so eine (oberflächliche) Vorstellung der Klangästhetik von New Wave/Post-Punk manifestiert, so ist dies Joy Division, so ist dies „Unknown Pleasures“, wenn es ein wirkliches Sinnbild der Post-Punk-Bewegung gibt, so ist es eben dieses so schlichte wie stilvolle Cover. Schwarz, weiße Linien, Berge, Wellen, Erhebungen, düster und pragmatisch, minimal. Joy Division waren dabei die rückblickend vielleicht sogar wichtigsten Protagonisten, jedoch bei weitem nicht die einzigen und auch nicht die ersten.
Post-Punk war, wenn man so will, eine Reaktion auf konventionsgebundene Rockismen, aber auch auf die tumbe Aggressivität, den Anti-Intellektualismus und strikt verneinenden Nihilismus, die einengenden Grenzen und Ideologien des Punk. Symbolträchtig; Public Image Limited entstehen aus der Asche der Sex Pistols. Der Punk berief sich darauf, von der Straße zu kommen, die meisten New Wave/Post-Punk-Bands formierten sich im Umfeld von Kunsthochschulen. Post-Punk oder auch New Wave stand für Progressivität im wahrsten Sinne des Wortes; die Bands streckten ihre Fühler in Richtung des von den Punks verpönten Progressive Rock aus und entdeckten den Minimalismus, ließen sich von heißblütigen, primitiven afrikanischen Rhythmen und Funk genauso wie von kalter Electronica inspirieren, interpretierten Disco neu oder entsagten allen gängigen Normen und Strukturen. Nach dem Tod der Zukunft wurde eine Unendlichkeit von Möglichkeiten geboren. Unter den Bannern „Post-Punk“/“New Wave“ werden Bands von Throbbing Gristle bis Devo, Gang of Four bis Bauhaus, This Heat bis XTC zusammengefasst. Gemeinsam war einzig eine gewisse Grundidee, oder besser gesagt Motivation; tristgraue, unwirtliche, industrialisierte Hochhauslandschaften, eine katastrophale politische Lage, Orientierungslosigkeit, gesellschaftliche Entfremdung.
Als geistige Paten dieser Musik gelten der deutsche Krautrock, The Doors, The Velvet Underground, Nico, David Bowie, vor allem aber auch das Solo-Debüt von Iggy Pop, „The Idiot“. Vielleicht so etwas wie die größte und wichtigste Initialzündung, die junge Künstler dazu brachte, neue Wege zu beschreiten. Eine vielleicht ziemlich unwichtige Information: „The Idiot“ war das letzte Album, was sich auf dem Plattenteller von Ian Curtis drehte, als er sich mit 23 Jahren am 18. Mai 1980 erhängt hat. Eine etwas wichtigere Information dürfte sein, dass eben dieses exzentrisch-zähe Album während der Aufnahmen zu „Unknown Pleasures“ kaum den Plattenspieler verließ. Das war Ende der 70er bei vielen Bands so, ja, es gab auch gewiss Bands, bei denen dieser Einfluss direkter und deutlicher ans Tageslicht trat, bei Joy Division wurde der düstere Charakter dieses Albums auf ein neues Level gebracht.
Auffallend ist vor allem die enorme Basslastigkeit der Kompositionen; „She’s Lost Control“ lebt vor allem von seinem paranoiden, dabei höchst prägnanten Basslauf. Gitarren sind quasi nur begleitend, die Drums spielen statisch. Der Sound war für diese Zeit recht unüblich, da extrem hart, kalt und blechern, dabei aber perfekt die Klangästhetik der Musik akzentuierend. Ian Curtis intoniert mit charakteristischer, markant tiefer Stimme über diesem musikalischen Fundament die Texte. Ein schlichter, geradezu spartanischer Klang, dennoch von einer bemerkenswerten Größe und Dichte, ein edler, mattschwarzer Monolith.
Viele bezeichnen „Unknown Pleasures“ als eines der ersten Gothic-Alben der Musikgeschichte, ich persönlich würde eher sagen, es handelt sich um einen direkten Vorläufer, denn es gibt einen entscheidenden Unterschied: auf „Unknown Pleasures“ wird die Tragödie nicht zur Glorie und zum Ideal erhoben, nicht zelebriert, es ist kein Fluchtweg, der Tod ist nicht verwoben mit einem gewissen Hedonismus. Joy Division klingen dunkel, aber gänzlich pathosfrei. Insofern ist UP vielleicht eben doch ein Sinnbild der Post-Punk-Bewegung, zumindest ihrer verbindenden Grundmotivation. Denn UP ist nicht so sehr von künstlerischer Fortschrittlichkeit und übergeordneter Experimentierfreude geprägt wie andere Alben zu dieser Zeit, sondern eher von eben dieser Orientierungslosigkeit und gesellschaftlicher Entfremdung, von eben diesen tristgrauen, unwirtlichen, industrialisierten Hochhauslandschaften, von Angst, Einsamkeit, Lebensüberdruss, wachsender Distanz und Isolation. Die Lyrics schildern dies auf eine manchmal grausam treffende Art und Weise, sind weder metaphernreich-beschönigend noch offensiv. Manchmal gibt es noch eine Art sonderbare Energie, die keine ist, die „Disorder“ und „Interzone“ noch vorantreibt, das jedoch ohne wirkliche Wut, ohne Motivation, sie ist da, aber gezeichnet von Apathie. I’m not afraid anymore – hier ein Ausdruck eben dieser Apathie. Manchmal erhebt sich die isolierte Seele zum eindringlichen Klagegesang – wie in „New Dawn Fades“. I’ve walked on water, run through fire, can’t seem to feel it anymore. It was me, waiting for me, hoping for something more, me, seeing me this time, hoping for something else. Manchmal klingen die Songs nicht ganz so abgenagt, manchmal herrscht zwischen den Tönen auch nicht ganz so viel Leere, wie in „Shadowplay“. In keinster Weise jedoch beim Grande Finale „I Remember Nothing“.
Der großartigste, einnehmendste, passendste Schluss, den ich mir für ein Album wie „Unknown Pleasures“ vorstellen kann. Ein aus weiter Entfernung hallender Drumrhythmus, völlig entseelte Gitarren platzen manchmal in die Szenerie und verschwinden ebenso schnell wieder. Geräusche; Peitschenhieb-Effekte, Klirren. Ian Curtis‘ in dieser Kulisse weit im Vordergrund stehender Gesang. Dazwischen nichts, vor allem aber kein Licht. Schreiende Stille. Beengende Weite. Martin Hannet hat dem Album eine brillante Produktion auf den Leib geschneidert, was besonders in „I Remember Nothing“ deutlich wird; die Größe des Klangs liegt im Hall, dem endlos langen Abprallen und Schwingen der Schallwellen, bis man wieder auf ein halbwegs vertrautes Geräusch stößt. Man fühlt sich, als tappe man blind und verloren durch Curtis‘ damalige Gedankenwelt, wo er einen mit „We were strangers, for way too long.“ begrüßt, vielleicht auch eher durch die eigenen Untiefen. Die Töne scheinen sich gegenseitig, vor allem aber jegliches Leben von sich abzustoßen. Eine absolute Finsternis, in der man sich selbst nicht mehr findet. Me in my own world…eine Zeile, die in bestimmten Situationen erbarmungslos in mein Bewusstsein dringt und mir in diesem Kontext immer wieder Schauer über den Rücken jagt.
10. Joy Division – Closer
Asylums with doors open wide,
Where people had paid to see inside,
For entertainment they watch his body twist,
Behind his eyes he says, ‚I still exist.‘
This is the way, step inside.
This is the way, step inside…
Mit ungewöhnlichem Getrommel (spontan musste ich sogar an die weltmusikalische Offenheit von Talking Heads denken…), dem Bass als immer noch wichtigstes melodieführendes Instrument und leichtem industrialisierten Rauschen öffnet sich die Tür zu „Closer“. Besonders durch den (gewissermaßen auch erschreckend autobiographischen) Text wird sofort eine beklemmende, unbehagliche Stimmung verbreitet. „Atrocity Exhibition“ mutet an wie der Ort, an dem man sich nach „I Remember Nothing“ wiederfindet. Nachdem „Unknown Pleasures“ in seinem Minimalismus das ganze Fleisch von den Knochen genagt wurde, hat man sich auf dem Zweitwerk „Closer“ also ans Skelett gemacht? Mitnichten.
Dass Joy Division in die Fußstapfen von Queen oder zahlreichen 70er-Sympho-Prog-Kombos treten wollen würden, war nicht zu erwarten, und doch hat Produzent Martin Hannet das instrumentale Spektrum der Band beträchtlich erweitert. Obgleich sich die Band wie schon beim Vorgänger eher dagegen gesträubt hat, diese in ihren basischen Sound zu integrieren, sind hier Keyboards und elektronische Spielereien mitunter tragender Bestandteil der Musik; so im sentimentalen, zeitlos schönen Abschied „Decades“ und „Isolation“. Die Keys im genannten Song lassen alles Leben in ihrem Umkreis sofort erstarren, kratzen in ihrer Eisigkeit an der null-Kehlvin-Marke. Ein Aspekt, der bei Joy Division oftmals ziemlich unterschätzt wird, hier wie auch im musikalisch sinnesverwandten „Love Will Tear Us Apart“ zu tragen kommt, ist, der omnipräsenten Düsternis zum Trotz, auch eine gewisse Tanzbarkeit. Man könnte hier vielleicht entfernt auch an die spätere Ausrichtung der JD-Nachfolgeband New Order denken, noch eher aber an den immer noch latent durchscheinenden Punk-Spirit der Band, an ihre Wurzeln und die Energie, die sie bei ihren Live-Auftritten durchaus entfalten konnten. Meist konnte Hannet diese aber auch hier erfolgreich im Keim ersticken.
Eigentlich kaum zu glauben, dass da eine Steigerung überhaupt noch möglich war, doch klingen die Gitarren hier noch trister, blutleerer, lebloser als auf „Unknown Pleasures“. Das benommen vorwärtsrollende „A Means To An End“, das durch elektronische Verfremdung extrem fremdartige und gespenstische „Heart and Soul“ und „Passover“ klingen bis in ihr tiefstes Inneres zermürbt, resigniert und erkaltet. This is the crisis I knew had to come. Im Vergleich zur urbanen Aura von „Unknown Pleasures“ klingt „Closer“ wie allein und in völliger Abschottung von der Außenwelt in einem kleinen, unwirtlichen Zimmer aufgenommen, somit auch ungleich einsamer, isolierter, weltabgewandter und beklemmender. Trotz eines erweiterten Instrumentariums wirkt das Album beispiellos desolat, karg und abweisend. Inmitten der lethargischen Apathie und Unbewegtheit flackert jedoch besonders gegen Ende noch eine gewisse Kraft auf; „Twenty Four Hours“ könnte der energischste und dynamischste Song der Band sein, die sich immer wieder steigernde Energie ist in diesem Falle jedoch klar verneinend, Ian Curtis in Flucht vor dem grausamen Leben, aber auch sich selbst. Einzig von „The Eternal“ wird der Song in seiner Intensität noch übertroffen. Eine drastischere, tiefere, schwärzere, konzentriertere Vertonung von Depression habe ich bisher schlicht nicht erlebt, Curtis‘ gebrochener Gesang und der leise Tränenbach des Pianos begraben selbst den lichtesten Sommertag unter schweren Gewitterwolken.
Ian Curtis erhängte sich am 18. Mai 1980 mit 23 Jahren in seiner Wohnung, zwei Tage vor der geplanten Amerika-Tour, „Closer“ wurde im Juli 1980 posthum veröffentlicht. Seine in die Brüche gehende Ehe, der wachsende Erfolg seiner Band, die mit Medikamenten nur unzureichend bekämpfte Epilepsie und die Nebenwirkungen eben dieser Medikamente mussten ihn als Persönlichkeit schwer belastet, regelrecht zerrissen haben, was man jeder einzelnen geradezu erlittenen Note dieses Albums anhört. Vor diesem Hintergrund gerät „Closer“ zu Curtis‘ Requiem und mein Geschriebenes, aber auch der allgemeine Grundtenor und die Musik selbst bekommen einen (in meinem Fall nicht mal wirklich beabsichtigten/gewollten) morbiden Unterton. Dabei hätte das Album diesen Kontext zur vollen Entfaltung seiner Atmosphäre gar nicht nötig; auch nunmehr fast 30 Jahre nach seiner Erscheinung ist „Closer“ immer noch die radikalste, schonungsloseste und schlicht beste Vertonung psychischer Verwahrlosung, Isolation, Depression und Leere, die ich kenne (gut, eigentlich läuft ein anderes Album „Closer“ in der Hinsicht vielleicht sogar den Rang ab, dazu später mehr *kryptisch rumpalaver*).
People like you find it easy,
Naked to see,
Walking on air.
Hunting by the rivers,
Through the streets,
Every corner abandoned too soon,
Set down with due care.
Don’t walk away, in silence,
Don’t walk away.
(Auszug aus „Atmosphere“, nicht auf dem Album enthalten)
http://www.myspace.com/joydivision
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]