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@blutspender: Bin mal gespannt. 🙂
9. The Angelic Process – Coma Waering
Mittlerweile zehn Jahre ist es her, dass Kris Angylus The Angelic Process, damals ein deckender Name nur für seine Kreativität, aus der Taufe hob. Zehn Jahre ist es her, das muss man sich mal überlegen, dass einer der ersten Grundsteine (ich sehe Lycia und Mike VanPortfleets und David Galas‘ Side-Projekt Bleak auch als sehr wichtig an) für einen Sound gelegt wurde (Dronegaze, Shoedoom, nennt ihn wie ihr wollt), der dank Bands wie Nadja, Menace Ruine, Have A Nice Life, Methadrone und Pyramids zwar szeneintern einigermaßen Aufmerksamkeit erregen konnte, aber immer noch unpopulär genug ist, um originell zu sein. „…And Your Blood Is Full of Honey“ erschien 2001 auf dem von Freunden des Projekts übernommenen kleinen Label Decaying Sun Records, in geringer Stückzahl, ohne groß Krater zu hinterlassen. Dabei war die Idee dahinter wegweisend: industrialisierter Drone Doom Metal wird kombiniert mit melancholischen Melodien, die genreinterne Antithese zu Sunn O)))-/Earth-Reduktion sucht ihre Wirkung in klareren Strukturen und Dynamik. Schon damals waren die weltoffene Herangehensweise und die dunkle Ästhetik der Swans, der zähflüssige Tribal-Sound von Neurosis und der zuckersüße, deliriöse Noise von My Bloody Valentine die Koordinaten, zwischen denen für den Musiker jedoch viel Raum und Interpretationsfreiheit blieb. „The Ruined Life of Someone Better“ ist ein frühes Meisterwerk, ein Rohdiamant, vielleicht das beste Stück von The Angelic Process (zumindest in meiner Top 3). Was der Verwirklichung von Angylus‘ Vision im Wege stand, war der Sound; die Musik von TAP ist ein großangelegtes Unterfangen, dem dieser nicht gerecht wurde.
Zwei Jahre später holte er sich für die Verwirklichung von „Coma Waering“ M. Dragonfly, seine spätere Ehefrau, ins Boot, und ab diesem Moment an blieb im Hause The Angelic Process kaum ein Stein mehr auf dem anderen. Die einst experimentellen, fast ziellos mäandernden Kompositionen haben eine immense Straffung und Verdichtung erfahren; die Intensitätssteigerung im Vergleich zum Vorgänger ist beängstigend (nur damit ich nicht falsch verstanden werde: ich schätze diesen durchaus sehr!). Der Lärm ist perfekt in Szene gesetzt, die Melodien absolut passend und genau platziert. Die größte Veränderung gegenüber „…AYBIFOH“ wird bei der Produktion hörbar; auf dem Debüt wurde er nur angedeutet, hier ist der charakteristische Sound von The Angelic Process bereits in Perfektion zu hören. Instrumente, Stimmen, Natürlichkeit, Transparenz? Überbewertet, unnötig, hinderlich, Schwachsinn. Die Drums kommen diesmal nicht aus der Konserve, die Gitarren werden mit Cellobögen gespielt, die Band baute ihre eigenen Effektgeräte. Resultat war ein Klang, der in seiner Dichte den ganzen Raum mit Rauch und Schwefel füllte, rauschend, schwarz, von einer Größe, wie sie sich viele nicht einmal in ihrer Fantasie ausmalen konnten. Der Sound eines postnuklearen Höllenorchesters, wenn die Welt an der Schwelle zum Exodus steht. John Martins „The Great Day Of His Wrath“ vertont. Die Kraft und Wirkung der Riffs, ja, trotz der ungefähren Verortung im Drone Doom gibt es bei TAP nicht zu knapp auch sowas wie Riffs, wird von der oberflächlich grobschlächtigen Produktion nicht gemindert, sondern sogar noch verstärkt. Das ist die Klangästhetik, nach der sich zahlreiche böse Buben aus Black- und Death Metal eigentlich sehnen. Und dann diese Melodien; sie erstrecken sich aus dem Chaos, das gleißende Strahlen und die schiere Wucht einer Supernova, das ferne Licht längst verblichener Sterne. In „My Blood Still Whispers“ und „The Sun In Braids“ ein Rettungsanker. In „Crippled Healing“ omnipräsent und unerreichbar. Im Titeltrack sägend, quälend, monoton und betörend. In „Rid The Past By Dying“ und „Mouvement: Shielded By Death/Suspended in Light“ warm, transzendental, erlösend.
Diese Assoziation kommt nicht von ungefähr, sondern ist auch auf das Konzept von „Coma Waering“ zurückzuführen. Erzählt wird die Geschichte eines Ehepaares, der Mann erkrankt, die Frau kniet am Sterbebett. Sein letzter Kampf wird im Fiebertraum ausgetragen; ein chancenloses Unterfangen, er greift mach seinem Leben. Pochende Schmerzen erfüllen ihn, ein Gefühl, gleichzeitig in die Glut und in eiskaltes Wasser geworfen zu werden, allmählich verschwimmend hinter dem Nebel der Bewusstlosigkeit. Der Kampfeswille ist irgendwann verloren, es bleibt einzig der Wunsch, den einprasselnden Funken, seiner Risse bekommenden Hülle zu entgleiten. Die Stimmung erinnert mich entfernt an die visuelle Ästhetik von Adrian Lynes „Jacob’s Ladder“; die Bildgewalt, der Surrealismus, die Anspannung, die Symbolsprache, Dantes Inferno. So erstrahlt der schlussendliche Tod des Protagonisten in einem wärmenden, matten, irgendwie idyllischen Licht.
Doch das Drama von The Angelic Process nahm hier erst seinen Anfang, 2007/08 sollte es sowohl in musikalischer als auch in personeller Hinsicht ein so eindrucksvolles (jetzt nur auf die Musik bezogen) wie tragisches Ende finden…
http://www.myspace.com/crowleythoth
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