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Wie ich sie alle wieder verjagt habe, hihi.
5. PJ Harvey – To Bring You My Love
Diese Melodie, diese tiefergelegte Gitarre…gleich zu Beginn wird diese Tonfolge dem Hörer ins Fleisch gebrannt. Leise baut sich dahinter das Wabern der Orgeln auf. Die ersten Nackenhaaare stellen sich auf, noch bevor der Gesang einsetzt. Und dann kommt er: I was born in the desert, I been down for years, jesus come closer, I think my time is near. Immer aggressiver und vorwurfsvoller wird ihr Ton, immer mehr wird der Hörer in die Ecke gedrängt. Die Arrangements sind wohlakzentuiert, das Anschwellen und Abebben der Gitarre gut platziert, der Fokus liegt hier jedoch eindeutig auf dem Gesang, der nie so gnadenlos tief ins Knochenmark drang, der nie so sehr den Erdboden erbeben lies, der nie so eine erstaunliche Ähnlichkeit zu Diamanda Galas aufwies. Forsaken heaven, cursed god above, lay with the devil, bring you my love.
So konzentriert und präzise klang sie bisher nie. „To Bring You My Love“ erschien 1995 als drittes Album (viertes, wenn man „4-Track Demos“ mitzählt) von PJ Harvey und ist das erste, ab dem alles anders wurde.
Erstmal Bestandsaufnahme: was hat sich denn verändert im Vergleich zu „Dry“ und „Rid of Me“? Erstens: Die Produzenten. Stand bei „Rid of Me“ noch Steve Albini hinter den Reglern, waren hier unter anderem Flood, der zuvor schon bei Depeche Modes „Songs of Faith and Devotion“ brillante Arbeit geleistet hat, Harveys langjähriger Freund/Weggefährte John Parish, diesmal aber auch verstärkt sie selbst für das richtige in-Szene-setzen des Klangbilds verantwortlich – beim Garagensound von ROM, so gut er auf dem Album auch klang, konnte man jedenfalls nicht bleiben. Dem dunklen, lasziven, minimalistischen, rhythmisch ausgerichteten Gossendisco von „Down By The Water“ schneiderte man ein knarzendes, basslastiges elektronisches Gewand auf den Leib, das perfekt sitzt. Der Klang vom repetitiven „I Think I’m A Mother“ ist sonderbar gedämpft, während das Flüstern PJ Harveys bei „Working For The Man“ ganz nah am Ohr zu sein scheint. Der Drummer klopft einen monotonen Rhythmus, leise wummert der Bass, dann kommen dieses Rasseln und diese geheimnisvoll schummrigen Gitarrentöne hinzu. Und wo kommen diese anderen Stimmen und Störgeräusche her? Es brodelt unter der Oberfläche. I’m just working for the man.
Der Sound ist deutlich klarer, druckvoller geworden – doch das Produzententeam wusste, was Songs wie „Meet Ze Monsta“ und „Long Snake Moan“ brauchten; Feedback, Verzerrer, Lärm, diesmal aber einen sonderbar knorrig elektrischen wie beim erstgenannten Song. Allerdings auch einen wüstensandtrockenen und -heißen bei „Long Snake Moan“. Der Song dient wohl als Reminiszenz an vergangene Tage, baut sich jedoch fetter, lauter, selbstbewusster, breitbeiniger vor dem Hörer auf. Mit einer Stimme, als wäre seit Tagen kein Tropfen Wasser mehr ihre Kehle runtergeflossen, und mit einem aggressiven, herausfordernden Ausdruck fragt sie den Hörer zu kollabierenden, dröhnenden Gitarren: Is my voodoo working? Man fühlt sich gegen die Wand gedrückt und muss bejahen.
Was sich ebenfalls gegenüber „Rid of Me“ verändert hat, ist die Besetzung: PJ Harvey war ursprünglich das Synonym für eine Trio-Bandbesetzung, mit Polly Jean an dessen Front. Seit 1995 steht der Name für Harvey als Solokünstlerin, mit dem Wechsel kam ein völlig neues künstlerisches Selbstverständnis. Die Songs sind abwechslungsreicher arrangiert, teilweise immer noch wütend, gitarrenorientiert und offensiv, klingen aber zu keinem Zeitpunkt mehr nach Band. Mit dieser Kursänderung fühlten sich einige frühe Fans, die Leute, die die ersten beiden Alben als Kreuzung aus Patti Smith und Sonic Youth beschrieben, auf den Schlips getreten; wo war der Schmutz, die ungestüme Wut, die Obsession, der Wahnsinn hin? Diese blieben fester Bestandteil des Sounds, auch wenn die Lo-Fi-Ästhetik ad acta gelegt wurde; in „Send His Love To Me“ vermag es Madame Harvey, begleitet von simplen Akkorden der Akustikgitarre und melancholischen Streichern, mit flehender, sich überschlagender Stimme eine Besessenheit und Verzweiflung auszudrücken, deren Intensität durchaus an die der besten Momente von „Rid of Me“ anknüpfen konnte – nur eben auf andere Art und Weise. Doch sie konnte das Spektrum ihres Ausdrucks auch beträchtlich erweitern; „Teclo“ und „The Dancer“ sind tiefdunkler Blues, dabei immer voller neugewonnener Eleganz, „C’Mon Billy“ basiert auf einer sehnsuchtsvoll-schönen Melodie. PJ Harvey hat sich mit „To Bring You My Love“ neue Möglichkeiten erschlossen, sich selbst aber auch ihre gewissermaßen schon fast charakteristische, verführerische, aber auch unnahbare Aura aufgebaut. Sie manifestierte sich als große Geschichtenerzählerin; führte einen durch geheimnisvolle, dunkle Korridore, durch obskure, versiffte Bars, zu stillen und doch so tiefen Gewässern, die oft ein tragendes Element in ihren Alben sind und jede der Wasserleichen scheint eine Geschichte zu haben, die erzählt werden will. Geschichten vom Tod, von Liebe, Hass und Gewalt. Flehende Todessehnsucht trifft auf unbedingten Lebenswille, Leiden mit Stil, Schauerromantik ohne Kunstblut.
„To Bring You My Love“ bietet große Songwriting-Kunst und ebensolche Atmosphäre vom ersten bis zum letzten Ton und ist somit eine beeindruckende Visitenkarte der meiner Meinung nach wohl wandlungsfähigsten, faszinierendsten und schlichtweg besten (Rock)Sängerin aller Zeiten.
http://www.myspace.com/pjharvey
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