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TwistOfFatepalez deine Review sind echt der Hammer oO
Danke.
Danke und bitte! 🙂
4. Swans – Children of God
Schwerfällige, stählerne Gitarrenklänge hallen durch den Raum, Michael Gira betritt die Szenerie als das groteske Zerrbild eines Priesters. Mit mittlerweile perfektionierter schleppender Monotonie öffnen sich die Pforte zu „Children of God“, die Zeilen entwickeln regelrechten Hymnencharakter in ihrer Prägnanz. Save your soul, damn you to hell. Es scheint also im Grunde zunächst alles wie gehabt im Hause Swans – zumindest fast. Vielleicht etwas zugänglicher, gewissermaßen musikalischer sind sie geworden, „New Mind“ ist ein relativ fein arrangierter und komponierter Song, der ganz ohne schlechtes Gewissen als solcher bezeichnet werden konnte, und hat insofern eine klare Signalwirkung. Nur ein Jahr nach den „Holy Money“/“A Screw“ (auf der sich übrigens eine frühere, etwas längere Version des zärtlich-schönen Schlafliedes „Blackmail“ befindet)-Singles durchlebten die Schwäne einen ersten (und bei weitem nicht letzten) wirklich gravierenden Stilwechsel – gewiss vor allem auch der Verdienst der seit den eben genannten Veröffentlichungen hinzugekommenen Chanteuse Jarboe.
Schon diese hatte sie mit entrücktem Keyboardspiel und sanftem Gesang veredelt, durchaus interessanten, doch fremd wirkenden Elementen inmitten von immer noch zermürbend monotonem und langsamem Industrial. Jarboes Präsenz war wenig mehr als ein „schöner“, nur gelegentlich eingesetzter Gegenpol zur sonstigen Hässlichkeit, auf „Children of God“ ist sie integraler, bisweilen klar dominierender Bestandteil. Bereits im zweiten Titel, „In My Garden“, und der Kontrast zum Opener könnte vordergründig stärker kaum ausfallen, wird dies deutlich; bestehend aus sehr leiser, zurückgenommener und harmonischer Instrumentierung und dem hier sehr zarten, hohen Gesang mutet der Song oberflächlich harmlos an, doch in der Stille ist der Hörer seiner Fantasie überlassen, leise Angst breitet sich aus. In „Our Love Lies“ dient ihr Gesang wieder als betörend-perfider Kontrapunkt, in „Like A Drug“ bauen die verlaufenden (Dis-)Harmonien des „Sha La La La“ in Verbindung mit den nervenzerrenden Streichern eine geradezu Horror-esque Stimmung auf. Doch nicht nur als aus dem Kontext gerissenes Fragment von Schönheit und Unschuld tritt Jarboe hier in Erscheinung; „Blood and Honey“ ist gewissermaßen vielleicht sogar böser und gruseliger als viele frühere Stücke der Swans. Über einem dezenten, orientalisch anmutenden Akustikgitarrenspiel erhebt sich ihre Stimme aus schwärzesten Untiefen; dräuend, innerlich brodelnd, lässt tief im Herzen Furcht entstehen.
Im Vergleich zum strikten instrumentalen Purismus von „Filth“ und „Cop“ und den zaghaften ersten Schritten der ersten Veröffentlichungen mit Jarboe ist auch die Vielfalt in den Arrangements und Ideen deutlich gestiegen. So werden auf dem Album auch Cellos, Flöten, Oboen und Violinen verwendet. „Children of God“ sprengt die relativ engen stilistischen Grenzen der Frühwerke; ein Stück wie „In My Garden“ oder „Blood and Honey“ wäre dort nicht denkbar gewesen. Die neue Experimentierfreude zieht sich durch alle Stücke des Albums, bisweilen rücken sich die Swans damit sogar ein wenig in Richtung von Bands wie Dead Can Dance. Vieles auf „Children of God“ klingt wie die bandeigene Interpretation von Folk, worin sich durchaus bereits die stilistische Ausrichtung der Folgealben abzeichnet. Der einsame, durch den Einsatz einer Mundharmonika zusätzlich aufgewertete Gothic-Westernblues von „Real Love“ mit seinem trostlosen Gitarrenklang und den industrialisiert hallenden Drums stellte auf CoG zwar eine stilistische Ausnahme dar, erwies sich jedoch rückblickend als richtungsweisend. Man verabschiedet sich jedoch auch nicht von alten Trademarks. Neben „New Mind“ ist vor allem auch „Beautiful Child“ ein Zeugnis bandtypischer Boshaftigkeit und Gewalt. Über das ohrenbetäubende Hämmern der Drums legen sich Keyboardfanfaren, die die pure Wut nun geradezu kriegerisch machen. Michael Gira schreit völlig in Rage einen allumfassenden Hass hinaus. Die schädelspaltende Gewalt von „Beautiful Child“ richtet sich gegen die Welt, ist obsessiv, abgründig und mörderisch, aber auch aus der eigenen tiefen Agonie genährt. This ist my only regret, that I ever was born, this is my sacrifice. Die Dornen werden nach außen und innen gerichtet. Die schiere Wucht und Vehemenz des Songs ist bis heute beispiellos und unerreicht, im Schatten dieser Kanalisierung und Konzentration aller negativen Emotionen stehen immer noch alle – ja, ausnahmslos alle – Bands, die den Anspruch haben, aggressive/dunkle/bösartige Musik zu machen.
Die nun extrem ausgefeilte kompositorische Herangehensweise der Swans steht ebenfalls im krassen Gegensatz zu rostigem Stahl wie „Filth“; die Band strebt mehr denn je nach Perfektion, nach einem größeren Ausdrucksspektrum, arbeitet gleichsam experimentell und zielgerichtet. Auf „Children of God“ befinden sich wohl die meisten Referenzsongs der Swans. Dieser stilistische Zwiespalt macht „Children of God“ gewissermaßen zu einem typischen Übergangsalbum, doch wirkt es ungleich makelloser und geschlossener, als es solche zwischen-den-Stühlen-Kandidaten gemeinhin tun.
Als zusammenhaltend erweist sich vor allem das lose thematische Konzept; neben dem radikal abgründigen psychische Verwahrlosungs-/Gewalt-Symbolismus früherer Werke liegt hier das Hauptaugenmerk vor allem auf einem Thema: Religion. In der unbefleckten Heiligenschein-Ästhetik offenbart sich der widerlichste Schmutz; Michael Gira nutzt das Stilmittel der Überidentifikation, karikiert mit bösartigem Vorschlaghammer-Zynismus. Stücke wie der Opener „New Mind“, das schwerfällige „Sex, God, Sex“ und „Beautiful Child“ zeichnen, von der typischen Brutalität früher Swans umrahmt, ein offensiv hässliches, groteskes Bild von organisierter Religion und Bigotterie und überfahren in schweren Panzern den amerikanischen Traum. Doch auch hier sind es die vordergründig leisen und harmlosen Töne und die neugewonnene Subtilität, die am effektivsten sind. Und diese gehen vor allem auf das Konto von Jarboe; in „Our Love Lies“ wiegt ihr ätherischer Hintergrundgesang einen in Sicherheit, bis das Misstrauen fast gänzlich schwindet. Den Gipfel der Intensität findet „Children of God“ aber schließlich im Titelstück. Man stolpert als ungeladener Gast in eine obskure Sektenzeremonie. Jarboes außerweltlicher Gesang hallt von allen Seiten und drängt den Hörer immer mehr in die Enge. Das Stück hypnotisiert und umgarnt das schutzlos ausgelieferte Bewusstsein mit einer erschreckenden Unnachgiebigkeit, strahlt eine grausame Schönheit aus, vor der man sich zu retten versucht, sich aber nicht losreißen kann. „Children of God“ ist hier somit das Paradebeispiel für das Swans’sche Konzept und die Atmosphäre des Albums; ein hochkonzentriertes Gift in Form von makelloser, einschmeichelnder Anmut, ein Stück, das gerade durch seine Harmonie und Grazie so derart verstörend und diabolisch wirkt.
In einer Diskographie wie dieser, so spannend und reich an Highlights und Stilwechseln, würde ich mich wohl (nicht ganz ohne schlechtes Gewissen) für „Children of God“ als Opus Magnum entscheiden. Ein Album, das auch nunmehr 22 Jahre nach seiner Veröffentlichung nichts von seiner faszinierenden Aura und Sprengkraft verloren hat.
http://www.myspace.com/drainland
http://www.myspace.com/swanschildrenofgod
Morgen kommt übrigens etwas, womit viele vielleicht gar nicht mehr gerechnet hätten: Schwarzblech.
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