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3. Weakling – Dead As Dreams
Der Name „Weakling“ wird in BM-Kreisen mit einer gewissen Ehrfurcht ausgesprochen. „Dead As Dreams“ gilt als Kult, als nachwievor heißer Insidertipp, kann gemessen an seinem Status jedoch nicht an populäre Vorzeigeklassiker der Marke „Dark Medieval Times“, „Bergtatt“ und „A Blaze In The Northern Sky“ heranreichen. Dennoch; „Dead As Dreams“ besitzt diese ganz spezielle Aura, schon beim Einsetzen der Gitarren von „Cut Their Grain And Place Fire Therein“ hat man das Gefühl, an etwas Großem, Bedeutendem teilzuhaben. Tonspur legt sich über Tonspur, die Wespenschwarm-Gitarren bilden zusammen mit dezent eingesetzten Keyboards und auf Blastbeat-Fundament eine undurchdringliche Wall of Sound, der Vokalist setzt sich angenehm vom Genre-Standard ab, sein hysterisches, dabei eher in den Hintergrund gemischtes Kreischen ist wohl eher Vikernes-Schule. So ein wenig klingen die ersten sechs Minuten vom über zehnmitütigen Opener (und damit kürzesten Song des Albums!) nach Emperors „In The Nightside Eclipse“, nur mit weniger Bodenhaftung. So typisch das Soundbild zunächst auch anmutet, so sehr offenbaren sich im weiteren Verlauf des Stückes immer mehr Details. Der Sound ist zwar genretypisch lärmig und lo-fi, bietet aber dennoch einen halbwegs angemessenen Rahmen für das musikalische Spektakel. Die Musiker spielen mit einer erstaunlichen technischen Präzision, vor allem aber mit einer aggressiven Vehemenz, die ihresgleichen sucht. Die Band spielt sich immer mehr in einen instrumentalen Rausch, bis der Song unvermittelt kippt. Ein schweres, majestätisch schreitendes Doom-Riff setzt ein, das Stück baut sich zu einer Größe auf, die sich kaum noch überblicken lässt und gipfelt schließlich in einem von aufheulendem Feedback durchsetzten Solo.
„Cut Their Grain And Place Fire Therein“ ist ein absolut beeindruckendes Monument gleich zu Anfang und ein gekonnt platzierter Türöffner zu „Dead As Dreams“, somit aber auch nicht nur der kürzeste, sondern auch der am simpelsten aufgebaute Song des Albums. Der knapp über 20 Minuten lange Titeltrack zeigt in der Hinsicht schon anderes Niveau. Das Stück beginnt mit einem immer lauter und durchdringender werdenden Feedback-Rauschen, das einen fast zu erdrücken droht, bis es von einer tieftraurigen Melodie der Gitarren und Keyboards unvermittelt abgelöst wird. Die Drums setzen ein, „Dead As Dreams“ wird zum schleppenden, gebrochenen Trauermarsch dem Ende entgegen. Ab ca. vier Minuten wird die Melancholie-erfüllte Epik abgelöst von urplötzlich einbrechenden Drums, schrillem Feedback und manisch-vehementem Riffing, das den Song stetig spiralförmig in den Abgrund treibt. Immer neue hypnotische Melodiebögen werden aus dem Grundmotiv gesponnen, nebeneinander schlängeln sie sich um das unbeirrt treibende Drumming. Ab ca. 8 Minuten schließlich nimmt das Drumming eine etwas andere Richtung weg vom gradlinigen Sturzflug, die Melodieführung bekommt nun eine cineastisch-epische Note. Immer mehr schwingt sich das Stück hinauf, steuert auf ein Grande Finale zu, welches dann kommt, die mühsam aufgebaute Stimmung wieder hinab in die Finsternis reißt. Nach einem kurzen Break bahnt sich das Drumming erneut einen Weg in die Szenerie, mündet vom Spannungsaufbau in einen Blastbeat. Zunächst noch begleitet von einem markerschütterndem Schrei, Gitarren und Keyboards, lösen sich diese immer mehr vom Gerüst, treten in den Hintergrund, um diesem unnachgiebigem Spiel, dieser zielgerichteten, bohrenden, schier wahnsinnigen Energie Platz einzuräumen, bis sich auch dieses im Rauschen auflöst.
„Dead As Dreams“ ist ein Monstrum von einem Song, das einen verschluckt, zermalmt, die Gehörknochen neu ordnet und schließlich ausgelaugt, niedergerungen, doch seltsam euphorisiert wieder ausspuckt. Die weitgreifend epische Melodie am Anfang von „This Entire Fucking Battlefield“ mutet in dem Kontext, trotz bekannter Weakling-Trademarks, fast schon wie eine Verschnaufpause an, bis nach kaum drei Minuten plötzlich ein kriechendes, giftiges Doom-Riff wieder hinunter zerrt, in einen pechschwarzen, tödlichen Abgrund, aus dem dann wieder ein Sturm aus sich überrennendem Drumming, Gitarren und getriebenem Kreischen entwächst. Der Geschwindigkeitsrausch mündet in ein zermürbend-hypnotisches Riffing, nach einem kurzen Übergang setzen Weakling zum weit ausholenden Finale. Eine große, pathetische Geste, ein epischer, wunderschöner Moment, wie er wohl im Buche zu stehen scheint, um diese ausgelutschte Redewendung mal aufzugreifen, wie ihn aber weder spätere Bathory noch frühe In The Woods…, die von John Gossard in einem Interview als wichtigste Inspirationsquelle bezeichnet wurden, auf dem Intensitätslevel jemals vertont haben.
„No One Can Be Called As a Man While He’ll Die“ klingt im Riffing dann zunächst deutlich gradliniger, in der Melodik greifbarer. Doch auch hier sind jene Merkmale zu vernehmen, die sich als charakteristisch für Weakling herausgebildet haben: die tief im Black Metal verwurzelte, doch kreative und inspirierte Melodieführung, das wahnsinnig druckvolle Spiel, das den Eindruck erweckt, als ginge es hier um das Leben der Musiker. Und nicht zuletzt auch die Unberechenbarkeit; nach einem unvermittelten Break nach ca. viereinhalb Minuten, einem in der Luft hängen danach, setzen Weakling zum größten emotionalen Showdown eines Albums an, das an solchen durchaus nicht arm ist. Es ist ein minutenlanger freier Fall, schreiende Verzweiflung, die Melodie und das erneut schier erdrückend intensive Gitarrenspiel von einer dringlichen, unmittelbaren, ergreifenden Dramatik, wie ich es in dem Genre schlicht nie zuvor oder danach erlebt habe. Nach ca. 9:20 Minuten bleiben nervenzerrende Gitarren und nervöses Drumming übrig, nach einer weiteren Minute kehrt das Stück zum Anfangsmotiv zurück, der Hörer indes bleibt vom zuvor Geschehenen immer noch vollkommen eingenommen und überrannt.
Mit „Disasters in the Sun“ wird der Hörer gleich zu Anfang in einem Höllenschlund von einem Song geworfen, der sich in seiner Herangehensweise wesentlich von den anderen vier Stücken von „Dead As Dreams“ unterscheidet. Wurde auf diesen noch eine zwar aggressive, experimentelle, dabei aber recht melodische Form des BM geboten, gibt es hier zwischen Funeral Doom und rasendem Black Metal keine Verschnaufpause, keinen epischen Moment als Rettungsanker. Nachdem zwischen Rauschen, Blastbeats und Lärm aber auch immer mal eine dieser bandtypischen Melodien gesponnen wurde, löst sich das Stück allmählich auf in grell dröhnendem Feedback.
Eigentlich war „Dead As Dreams“ bereits 1998 fertig aufgenommen, wurde aber erst zwei Jahre später vom amerikanischen Indie tUMULt veröffentlicht. Zu dem Zeitpunkt hatten sich Weakling bereits aufgelöst, nachdem der anfänglichen Euphorie recht schnell Ernüchterung und Enttäuschung über mangelndes Interesse seitens der Labels folgte, vor allem hatten sich aber auch die Interessen der beteiligten Musiker verlagert. „Dead As Dreams“ ist somit ein Werk des Moments, ein Überbleibsel einer ziemlich kurzweiligen, dennoch aber sehr tiefen Begeisterung. Die Beteiligten sollten dabei später den Black Metal nicht mal mehr streifen, in diesem Bereich hinterließ man jedoch ein Meisterwerk, das viele inspiriert hat (Drautran, Wolves In The Throne Room, Krallice…), dabei in seiner Klasse aber von niemandem erreicht werden konnte. Das kompositorische Niveau von „Dead As Dreams“ kennen zahllose Bands nicht mal vom Hörensagen; Die Songstrukturen muten auf dem ersten Blick chaotisch an, sind jedoch so faszinierend, komplex und raffiniert, dass einem die 76 Minuten deutlich zu kurz vorkommen. Die fünf überlangen Epen klingen geradezu symphonisch in ihrer mitreißenden Dynamik, ihrer zu jedem Zeitpunkt extremen Spannung, ihrer durchaus schlüssigen Unberechenbarkeit. Hier werden rasende Wut, himmelschreiende Verzweiflung, tiefe Trauer, ausufernde Epik und lichtabsorbierende Finsternis in geradezu spielerischer Selbstverständlichkeit kombiniert, die Schauplätze lauten Gebirgsmassiv, Schlachtfeld, Hölle und die eigenen psychischen Abgründe. Weakling ist mit „Dead As Dreams“ ein Album gelungen – und der folgende Satzabschnitt ist wohlüberlegt und vollkommen ernst gemeint – mit welchem eigentlich alles gesagt wurde, was man im Black Metal sagen kann.
http://www.myspace.com/weakling66
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]