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palez

Registriert seit: 04.01.2007

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NikPuh, ich hoffe hier kann mir einer helfen. Ich wollt‘ mir demnächst mal wieder nen ordentliches Buch besorgen, dass mich richtig fesseln kann.

Schön fänd‘ ich irgendwas moderneres, Problematiken, die ich interessant fände, wären urbane Verwahrlosung oder Isolation, also gerne irgendwas dramatischeres/ trauriges.
Als Setting fänd‘ ich irgendeine große Stadt ansprechend, gerne mit unterschwelliger oder offener Kritik/ Herangehensweise an die Wohnorte der Charaktere oder der zwischenmenschlichen Beziehungen der Charaktere. Was asiatisches, vor allem japanisches, wäre da natürlich geradezu überragend.
Nicht zu flach, lieber komplexer, und dafür ordentlich geschrieben, mit gut gemachten Persönlichkeiten und so weiter und sofort. Irgendwie. Vor allem richtig schön bedrückend und mitreißend

Kennt da zufällig wer was, das er mit guten Gewissens ans Herz legen könnte? 😆

Optimal wäre natürlich sowas wie „Lost in Translation“, „Taxi Driver“ oder „Un homme qui dort“ in Buchform…ach, Letzteres existiert sogar:

http://www.amazon.de/Ein-Mann-schl%C3%A4ft-Georges-Perec/dp/3037342412/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1358962220&sr=1-1

Der Film gehört künstlerisch und emotional zum Härtesten und Radikalsten, was ich kenne.

Was mir ansonsten noch in den Sinn kommt: „Last Exit To Brooklyn“ von Hubert Selby Jr. (auf seiner Romanvorlage basiert übrigens „Requiem For A Dream“). Eine Warnung schon mal vorneweg: Mit Alltag, Menschenwürde oder Rücksichtsnahme auf physische und psychische Gesundheit haben die fünf Episoden plus Coda nichts zu tun, der Gewalt- und Drogenpegel ist extrem hoch. Könnte also von der Stimmung her etwas weiter entfernt von dem sein, was du suchst. Solltest du aber auch unabhängig von deiner Anfrage unbedingt lesen. Man könnte meinen, die Lebenswelten der Protagonisten seien zu vollgemüllt mit Armut, Dreck und Elend, als dass sie noch tiefer fallen könnten. Außerdem sind eigentlich alle von ihnen moralisch und emotional derart korrumpiert und permanent normalitätsentzogen, dass es bisweilen schwer fallen könnte, sie als Protagonisten/annähernd sympathisch anzunehmen. Hubert Selby Jr. gelingt jedoch das Kunststück, die Geschichten nicht zu einem unendlich ermüdenden Boulevard-Elendstourismus gerinnen zu lassen. Innerhalb des begrenzten Möglichen gibt es höchst effektiv gesetzte Hoffnungsmomente, was dann die unvermeidlich wiedereinbrechende Hoffnungslosigkeit umso schmerzhafter macht. Und seine Charaktere sind nicht (nur) Wracks oder Arschlöcher, sondern richtige, dreidimensionale Menschen, die in ihren menschenfeindlichen Umgebungen überlebt, sich aber nie vollends mit ihnen abgefunden haben. Das eigentliche Wunder ist hier aber die Sprache. Selby Jr. richtet nicht über seine Figuren (das machen sie untereinander), er hat nicht einmal eine Meinung über sie, aber er wühlt sich unfassbar tief in ihren Seelendreck ein, oft bis zur völligen Aufgabe seiner auktorialen Erzählerstimme. Das sind dann auch die atemberaubendsten Momente des Romans: Wenn man in den Schädeln der Figuren gefangen ist, wenn man den erhöhten Puls förmlich spüren kann, wenn die Zellhaut der Sätze platzt. Besonders aufwühlend ist das bei den Gewaltexzessen: seitenlange Reihungen ohne Punkt und Komma, es passiert zu viel zu schnell, als dass der Autor über das Geschehende reflektieren und es ordnen könnte. Tiefe Sprach- und Fassungslosigkeit spricht aus solchen Zeilen, nacktes Entsetzen.

Nicht ganz das, was du suchst, aber möglicherweise auch interessant: J.G. Ballards Kurzgeschichte „Die ultimate Stadt“, weil sie den Großstadtmythos gekonnt und mit großer gedanklicher Schärfe dekonstruiert.

NikIch würd ja schreiben, wäre ich nicht so unfähig

Was hat dir your own personal Karate-Opa nochmal über das Thema erzählt…