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Hä, ich dachte, der Moshcorania-Bürokratieapparat hätte es so geregelt, dass wir die Dinger immer erst am Wochenende reviewen? Wie dem auch sei, hier kommt das mutmaßlich einzige halbwegs positive Reh-Wüü zu Angies Sampler, und ich entschuldige mich im Voraus dafür, dass meine Buchstabensuppe-Rationen teilweise genauso knapp bemessen und stream of consciousness-mäßig ausgefallen sind wie die entsprechende Lala:
1. Mr. Bungle – Quote Unquote
Herzlich willkommen zu einer neuen Folge der beliebten Mittwochnachmittagssitcom „Neues aus der Moshcore-Anstalt“, das Erste, was wir hören, ist:…ein Mensch beim Heiabubu machen. Ich als erfahrene Samplerhure habe eine böse Vorahnung und halte mir schonmal vorsorglich die Ohren zu, nachdem die Schwester erstmal ein paar Spritzen fallen gelassen hat, klingt der eigentliche Anfang aber eigentlich recht moderat. Muss wohl was vom Debüt sein…so merkwürdig nasal, wie Mike Patton da singt, kann es das nur sein, und siehe da, lust.sm gibt mir recht. Ausgesprochen fies klingt ja diese dissonante, fehlgeleitete Zirkus-Drehorgel, das verursacht schon dann aua aua Zahnweh, wenn der Song noch recht eingängig und wenig bedrohlich klingt. Das Rockgerüst drunter, muss ich konstatieren, klingt (für mich) überraschend stark nach dem damals zeitgeistigen Crossover, wenn auch an dessen kaputterem und sperrigerem Ende. Das hat auch alles Flair, ohne dabei wirklich ein Angriff auf die Gehörnerven zu sein, aber das kommt wohl noch, oder? Ab so 2:45 legen mir diese schief grinsenden, schielenden Drehorgeln für einige Sekunden nahe, dass es nun durchaus angebracht wäre, Angst zu bekommen, der Song fällt dann aber recht schnell wieder in sein erstaunlich eingängiges Muster zurück…also fast. Eine quasi-Rap-Einlage, ach, dass das aus den tiefsten 90ern ist, weiß ich doch auch so. Zum Ende hin scheint man sich den großen Schockeffekt zu schenken, Kellerratten zerfressen die Überreste und ganz zum Schluss kommt noch so etwas wie eine Freejazz-Parodie. Joah, cool!
2. Gaza – I Don’t Care When I Go When I Die
I Don’t Care When I Go When I Die. Sanft, kraftlos ausgesprochen, ihr letztes Aushauchen wird überlagert von Quietschen und Lärm, aufeinanderfallenden Küchenmessern. Blut auf der toten Handfläche. Silhouette des Peinigers noch halb erkennbar, Hammerschlag. Die Schmerzen können sich nicht lösen im Schrei, sie versuchen, den Körper zu durchbrechen. Geschmack von Blut im Mund. Grimmiges Rifffragment irgendwo. Rost zerfrisst die alte Säge, ein Weg führt durch das blutige, pochende Fleich. Tausende von Bildern in der Sekunde, keine Bewegung mehr, nur flimmerndes Grau. In den Venen einzelne Brände, Blut verklebt die in fatalistischer Gewissheit geschlossenen Augenlider. Dann nichts.
Die schwärzeste Gratwanderung zwischen Nervenzusammenbruch und Nahtoderfahrung, radikal und sogar mit genau der richtigen Länge. Chapeau!
3. Kickback – Deathlust
Wenn sich die Augen wieder öffnen, findet über dem eigenen Kopf gerade ein Krieg statt. Der Übergang ist fast nahtlos, strukturell lassen Kickback den Gaza-Song fast wie ein Intro wirken. Typen wie dem da sollte man nicht das Lenken eines Panzers überlassen, ansonsten (für mich auch wieder recht überraschend) straight geratener Hardcore, Bombendetonation, Groovepart, Beatdown, krawumm. Fällt mir nichts zu ein.
4. Magrudergrind („Mardu…Merde…Mardugadagrind?“) – Heavier Bombing
Wie Mr. Bungle uns eben schon bewiesen haben, war Anfang der 90er noch alles viel besser. An einer Ziegelwand lehnend, hört man sich gerade aus der Ferne die ersten Gehversuche von Cypress Hill an und lächelt leicht benommen. Die Realität sieht anders aus, Glassplitter bleiben in der Haut stecken, sein beschissenes Lächeln will aber nur langsam einem schmerzverzerrten Ausdruck weichen. Er kippt auf die Seite. Konzert zu Ende, der Film vor den Augen löst sich auf.
Im Samplerzusammenhang ergibt das schon Sinn, aber mehr will ich von der Band, glaube ich, nicht hören.
5. The Locust – Identity Exchange Program Rectum Return Policy
Zum Glück habe ich den Titel hingeschrieben, bevor ich den Song eingeschaltet habe, haha. Extrem seltsam und in diesem Falle somit extrem anziehend wirkt diese…äh…elektronische Verfremdung, dieser sich durch den ganzen Song ziehende Effekt…you know what I mean. Wenn man sich nicht von der Songlänge und dem recht panischen Geschrei beeindrucken lässt, merkt man, dass das hier im Rahmen seiner subgenrebedingten Möglichkeiten sogar recht melodisch und tanzbar ist, aber auch erst auf dem zweiten Blick. So als kleiner zwischendurch-Freakout war das ganz unterhaltsam, aber ich glaube, mehr will ich von der Band auch nicht kennen…
6. The Number 12 Looks Like You – Paper Weight Pigs
Ein bekannter Name (haben die nicht auch mal diese Coverversion von The Knacks „My Sharona“ gemacht?), hätte beinahe Gefallen daran gefunden, als ich für so etwas noch offener war. Auf die ganzen Tempowechsel gehe ich jetzt nicht im Einzelnen ein, was man aber aus einer gewissen Distanz merkt, ist, dass die ihre Eingängigkeit doch nicht ganz unter den Teppich kehren können…die kleine Wölbung sieht man ja doch, kann ich als erfahrene Hausfrau sagen. Ist zwischendurch ganz unterhaltsam, vor allem dieser sehr seltsame Akustikgitarren-Part, aber die eine fauchende Furie ist bei diesem Sampler eigentlich die erste hinter einem Mikrophon stehende Person, die mir auf die Nerven geht. Allgemein klingt das zwar ziemlich nervös, leider aber nie zu einem erlösenden Freakout bereit…als ob die Band den Song auf Nadelkissen sitzend eingespielt hätte. Oder dringend auf die Toilette müsste…ich schmeiße dem Schlagzeuger den Schlüssel in die Hand und konstatiere: ein typischer Fall von *schulterzuck*.
7. PsyOpus – Boogeyman
Deren „Insects“ klang ganz lustig, wenn man gerade schlimme Kopfschmerzen hatte. Hat von allen mir bekannten Mosh…ääh, Mathcore-Bands zwar bei weitem am wenigsten Sinn ergeben, aber vielleicht auch gerade deswegen. Die Sprachsamples sind, wie Realnazi bereits festgestellt hat, ganz amüsant und sonst…ja, sonst, Mathcore. Ob Versinnbildlichung, Klischee oder Satire, wird irgendwie nicht ganz klar, aber im Zweifel für den Angeklangten, ne? Die Gitarren klingen teilweise schmerzhaft spitz, beim Rest fällt mir aufgrund schlimmster Abstumpfung nicht so recht was auf. Ist eigentlich schon mein unliebster Song auf dem Sampler, PsyOpus klingen von den ganzen hier versammelten Core-Nerds am meisten prätentiös und technikfixiert (dabei kommt es doch nicht auf die Technik an, sondern auf die Größe!), und einen genießbaren Freakout gab es irgendwie auch nicht an diesem bedeutungsausgehöhlten Cut-Up-Comic (was natürlich nicht immer schief gehen muss, aber hier läuft es mir irgendwie nicht rein). Naja. :/
8. Ion Dissonance – The Girl Next Door Is Always Screaming
Die Band wird ja teilweise sogar von nicht völlig inkompetenten Leuten in höchsten Worten gelobt, darum hatte ich bisher immer Angst, da reinzuhören, aber nicht halb so viel Angst, wie ich jetzt davor habe, auch noch ein Reh-Wüü schreiben zu müssen. Und diese Arschlöcher machen es mir auch nicht gerade leicht mit meinen blumigen Metaphern…das Einzige, was mir dazu einfällt, ist eigentlich der Begriff „abstoßend“. Alles an diesem Stück ist abstoßend. Der Sound, der klingt wie vier Tage in der Wüste ohne alles, also nicht nach Kyuss, sondern nach todesnaher Trockenheit. Der Gitarrensound, als ob die Band einen am Schopf packen und den Kopf unablässig gegen eine Betonwand donnern würde. Die nervenzersägende Leadgitarre. Die Breaks im Sekundentakt. Die strenge, aber undurchschaubare Struktur. Bei anderen Bands würden einige Parts in der zweiten Hälfte nach Groove oder einem kathartischen Ausbruch klingen, hier fügen sie sich ins Bild ein.
Nicht falsch verstehen: „abstoßend“ soll nicht wertend, eher beschreibend gemeint sein, es ist wahrscheinlich genau die Aura, die diese Band ausstrahlen möchte. Es ist auch gut, aber ich will es nie wieder hören. Dass der Song mit dreienhhalb Minuten zumindest zeitlich perfektes Popsongformat besitzt, wirkt da fast ironisch.
9. The Dillinger Escape Plan – I Wouldn’t If You Didn’t
Jau, das ist doch mal ein standesgemäßer Freakout! Der Vergleich verfälscht zwar das eigentliche Ergebnis, aber nach den letzten beiden Nummern ist diese Manie richtig befreiend zu hören. Ab und zu meine ich sogar, einen Groove zu erhaschen, an dem ich mich festhalten könnte, aber das löst sich so ab der Songmitte in Wohlgefallen auf, denn dann ist es an der Zeit, sich im roten seidenen Abendkleid auf dem Konzertflügel zu räkeln, Kinder! Der Cleangesang klingt nach einer kruden Mischung aus Emoboy xy und Mike Patton. Die Ruhe vor dem nächsten Freakout währt aber nicht allzu lange, in Sekundenbruchteilen ist die Hirnmasse auf den Tasten verteilt. Da möchte ich mich mit arrogantem Lächeln PsyOpus zuwenden und denen in einem nicht minder unausstehlichen Tonfall sagen: „So wird’s gemacht!“
10. Gospel – Tango
An die kann ich mich vom Blackdronoisegazing Postshoemetal-Battle her noch erinnern, und dass ich da vor allem den Drummer gelobt habe. Sein Spiel klingt auch hier wieder am auffälligsten und wie von der Gewissheit, dass es gerade um Leben und Tod geht, getrieben, fände ich vielleicht noch toller, wenn ich was von Technik verstehen würde. Dauerfreakout quasi. Der weder durch Lärm noch durch einen ironischen Unterton gebrochene Melodieanteil ist nach den anderen neun Songs erstaunlich hoch und auch für sich genommen teilweise recht spannend, nur dieses Keyboard klingt etwas seltsam (teilweise eben auf eher unangenehme Weise, aber auch wirklich nur teilweise). Bei diesem ruhigeren Part offenbart sich aber die größte Schwäche der Band: ihre Überambition. Gospel haben sehr viele, auch sehr gute Ideen, lassen ihnen aber teilweise nicht den nötigen Entfaltungsraum und machen damit einiges an Spannung sowie Momente, die erst von Stille umgeben richtig wirken können, doch leicht kaputt. Dieser Mangel an Selbstkontrolle mag zum Konzept gehören, lässt Gospel aber auch teilweise über die eigenen Füße stolpern. Da aber vor allem die traurige Note in den Melodien so in der zweiten Songhälfte ziemlich schön gemacht ist, bin ich im Großen und Ganzen durchaus recht angetan und gebe der Band einen Keks als Zeichen dafür, dass ich vermute, dass sie es eigentlich sogar noch besser können.
„Freakout“ ist Wort des Tages. Auf Punktevergaben hat man heute in der Waldorfschule keine Lust, ansonsten ziehe ich mir mal meine Tanz-Stilettos an und höre nun in Dauerschleife The Sisters of Mercy – Temple of Love, dank „Gegen die Wand“ und neben „I Feel You“ von Depeche Mode (ebenfalls Untermalung einiger toller Szenen) mein persönlicher Song der Woche.
http://www.youtube.com/watch?v=2Ve2YADhOxE
Und die Hauptdarsteller sind ja auch beide so hot, lechz!
Punk is not deaaaad!
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]