Re: Moshcore?

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palez

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xkillwithpowerxKommen noch die Kommentare von Tooli und Pali? Ab wann gehts mit Toni weiter? Hab den Zeitplan nicht so auf dem Schirm…

Jajajaja. Entschuldigung. Meinen Teil der Buchstabensuppe gibt es hier und jetzt, und live und in Farbe:

Drei Christina Perri-Reviews, alle sagen im Wesentlichen das gleiche. Was macht man da? Man erinnert sich an seinen letzten Frankreich-Schüleraustausch, und man erinnert sich an Sophie. Sophie war nicht meine erste große Liebe, und vielleicht war Sophie auch gar keine Liebe, aber Sophie war, sie saß da, balancierte die Hand auf dem Knie und hielt eine rauchende Zigarette. Ich hatte gerade eine Flasche lauwarmen Lambrusco getrunken, ich hatte das Interesse am Durchbrechen der Sprachbarriere verloren, und da sah ich sie, in diesem Café. Die hagere, kleine Sophie mit dünnem, graublondem Haar, alles an ihr schien irgendwie spitz, das Kinn, die Lippen, die Wangenknochen, die Schulterblätter, die aus ihrem Cocktailkleid hervorschauten. Ja, diese verschwindende Erscheinung konnte auf dem ersten Blick leicht unterschätzt werden, aber sie kämpfte dagegen, kämpfte mit Kleidern und Lippenstift und falschen Wimpern dagegen, aber auch auf der Bühne, wo sie die Stella in „A Streetcar Named Desire“ spielte wie die letzte Rolle, die sie je wieder spielen wird, an ihrer letzten Vorstellung. Ihr unbedingter Willen war größer als sie selbst, aber hinter geschlossenen Türen wurde sie ganz klein und gebrochen, wie sie mir erzählte, während sie mich mit ihren großen, von dunklen Rändern umgebenen Drogenaugen anschaute. Wir lagen auf einem alten Sofa, ich an die Lehne geschmiegt, und ich drückte ihren kleinen, kalten Körper eng an mich und küsste ihren Nacken, während irgendetwas sie durchschüttelte. Am nächsten Tag ging ich wieder in die Vorstellung und klatschte und versuchte, ihren Blick aufzufangen. Auf der Gala danach sollten wir uns treffen, sie stellte mich ihren Freunden vor. Ich saß auf dem Sofa und schwieg sie an, die gestandenen, reichen Männer in maßgeschneiderten Auszügen, und mit einem von ihnen verschwand sie dann. Ich wartete, dann ging ich, ich ging auf die Frauentoilette, schaute lange in den Spiegel, bis sich hinter mir eine Kabine öffnete. Mit Tränen in den Augen schaute ich sie und ihren Begleiter an, Sophie, meine Hure, meinen Engel. Who do you think you are, run around leaving scars, collecting your jar of hearts, tearing love apart.

Es muss mindestens vier Jahre her sein, dass ich mein letztes Rush-Album gehört habe. Das ist möglicherweise nicht gut. „The Garden“ hat mich allerdings nicht auf diesen Gedanken gebracht. Flirrende Sonnenaufgangsstreicher im Hintergrund weisen in eine interessantere Richtung, als das Stück in der ersten Strophe dann nimmt – Hügelwanderung mit der fitten Seniorentruppe statt Himalaya-Besteigung. Dazu tragen die sonnigen Akustikgitarren und ebensolche Melodieführung bei, vor allem aber Geddy Lees Gesang. Bestimmt gab es vor der Gründung Rushs in den späten 60ern Leute auf der Welt, die es immer dringend interessiert hatte, wie eine Mischung aus dem vierzehnjährigen Sohn des türkischen Obsthändlers von nebenan und ihrer eigenen Großtante wohl klingen würde. Tja, ihnen kann nun schon seit 44 Jahren geholfen werden. So gut die Strophen einen auf einen Berggipfelgesangsmoment vorbereitet, im Refrain stößt der Song dann doch mit dem Kopf an eine Reisebusdecke. Aber wie die meisten anderen wissen Rush, dass der Schlüssel zum Lernerfolg in der Wiederholung liegt, und so darf der Refrain nach einer zugegebenermaßen ganz schönen Unterbrechung durch Keyboardtupfer und wolkiges Gitarrensolo wieder ran. Wenn das Stück mit süßlichen Streichern outfadet, fühlt man sich dementsprechend, als wäre man weit gereist, obwohl man ja keinen Fuß aus seinem Bezirk gesetzt hatte. Das ist ziemlich wenig, wenn der Weg das Ziel ist, aber hey – immerhin etwas. Und durch die zusammengeflickten Philosophie-Kalendersprüchlein, die den Text darstellen, lässt sich bei Leuten, die auf Texte nicht achten, sicherlich Anspruch vortäuschen. In der Theorie reicht hier auch die eingeschränkte Aussicht und Bewegungsfreiheit für kleine Glücksmomente. In der Praxis ist „The Garden“ für mich einfach Musik für restlos zufriedene Menschen. Rockmusik muss wieder nüchterner werden.

Habe ich schon einmal erwähnt, wie sehr mich der aktuelle Retrotrend in Metalzusammenhängen nervt? Nein? Dann tue ich es jetzt: Er nervt mich sehr sehr. So sehr, wie es mich immer nervt, wenn sich in eine verklärte Vergangenheit geflüchtet wird, anstatt eine bessere Gegenwart mitzuentwerfen, aber auch und vor allem, weil Metal in den Kinderschuhen zu den Sachen gehört, die ich kaum bis gar nicht hören kann. Metal in den (frühen) 80ern und späten 70ern war oft eine Verkleidung, eine Jugendsünde, ein okkult verquastes Camp-Vergnügen ungeachtet der intendierten Ernsthaftigkeit, was umso stärker auffällt, wenn man den künstlerischen und intellektuellen Entwiclklungsstand der restlichen Gitarrenmusik um diese Zeit als Vergleich heranzieht. Christian Mistress sind bei der Restaurierung dieser ungelenken Frühphase des Metal überaus sorgfältig und gewissenhaft, was schon mal in sich nicht zusammenpasst. Anno 2012 ist jede Rückkehr zum Naiven und Primitiven eine Sache von großem Rückerlernungsaufwand, man ist schnell verleitet, nur auf Lebensechtheit und Ausstattung zu achten. In den frühen 80ern und späten 70ern war sie es eben nicht. Die Musiker hatten vielleicht die Plattensammlung ihrer Väter durchforstet, aber sie wollten es anders machen. Christian Mistress wollen es offenbar genauso machen. Die Produktion klingt danach, das nervenaufreibend schludrige Drumming klingt danach, das leerstellenreiche und überharmonische Gitarrenspiel klingt danach, nach einer vorgetäuschten Schneekugelexistenz jenseits aller künstlerischen und technischen Errungenschaften nach 1983. Daran könnte jetzt vielleicht noch die Sängerin etwas retten, weil Sängerinnen in Metalbands bei mir oft etwas retten können, solange es sich nicht um Gothic Metal handelt, aber stattdessen macht sie alles nur noch schlimmer. Mit Wurstthekentimbre hangelt sie sich an den harmonietechnisch verlangten Tönen entlang, so atemlos, als ob sie eben erst mit zwei vollen Einkaufstüten die Treppe zum 11. Stock hochgegangen wäre. Früher war alles scheiße. Rockmusik muss wieder nüchterner werden.

Fast wäre ich verleitet zu sagen, mit Japandroids würde eine weitere Nostalgieveranstaltung des Gitarrenmusik folgen, aber erstens haben die glücklicherweise keinen Metalbezug, zweitens waren ihre Väter jünger und drittens hatten diese eine stilistisch abwechslungsreichere Plattensammlung. Die Melodieführung in den Strophen würde, glaube ich, Bruce Springsteen sich auch nicht anders ausdenken, der übersteuerte Sound geht dann eher Richtung Hüsker Dü und The Jesus and Mary Chain (wobei sie auch schon weniger sauber klangen), der Gesang/die Gangshouts und überhaupt die ganze Attitüde sind dann eher Pop-Punk. Mit „Attitüde“ lässt sich auch das Hauptproblem dieses überschätzten YOLO-Eskapistenrocks umreißen: das ist mehr damit beschäftigt, Euphorie darzustellen, als euphorisch zu sein. Textlich ist das ein reines Stationenabhaken, halt die Vorstellung von Jugend, die Leute anspricht, die sich nächtelang durch tumblr-Blogs klicken und darauf warten, dass ihre Jugend anfängt, obwohl sie längst schon vorbei ist. Für mich klingt „Adrenaline Nightshift“ nach Pose, auch und vor allem, weil wirklich an alles gedacht wurde. Rockmusik muss wieder nüchterner (!) werden.

…und sie wird es auch, denn der moderne Hardcore gehört vermutlich zu den Musikrichtungen, bei denen Nüchternheit geradezu ein eigenständiger Programmpunkt ist. So auch bei Everything Went Black. Der Klang der Gitarren ist fett und geschlossen, die Klangfarbe das Grau von vorbeiziehenden Betonmauern, ihre simple Moll-Melodie klingt nach Platzregen und Gegenwind. Die Drums peitschen das Stück tight und unnachgiebig durch, bis es zur Mitte hin mit dem Gesicht voran auf harten Asphalt fällt, die Schreihälse halten sich dezent im Hintergrund. Es gibt wirklich nicht viel dazu zu sagen. Da „Parades“ fünf Minuten dauert und damit zwei Minuten länger, als ich dem Stück zugetraut und als nötig empfunden hätte, braucht es offenbar noch ein groß angelegtes Finale. Die Grundmelodie wird ein bisschen ausgeschmückt, mit dem Drumming soll beharrlich der Eindruck von Größe vermittelt werden. Besser funktioniert das – und das wissen auch Everything Went Black – über die Wiederholung und die damit verbundene Implikation, dass der betreffende Part es absolut wert ist, wiederholt zu werden. Was da noch fehlt? Natürlich – Streicher. Streicher verleihen jeder behäbigen Melodie und jedem x-beliebigen modernen Hardcore-Song einen Hauch von Bedeutsamkeit.

Rise and Fall spielen auch modernen Hardcore, machen aber nicht den Fehler, „Breathe“ auf einer langweiligen Melodie aufzubauen. Nein, hier geht es eigentlich nur um Rhythmus, um das nackte Gerüst, um Stahlbetonträger ohne alles. Das Ganze klingt zunächst merkwürdig tonlos, auch das Geschrei, die Gitarren sorgen lediglich für tiefe Erschütterungen. Das Drumming ist eher rituell als tanzbar, und im Vergleich zu Everything Went Black lässt sich der Song auch nicht so gut über Boxfilm-Trainingsmontagen legen, was ein Kompliment ist. Im Refrain flacht diese einkreisende Stimmung leider immer ab, und auch in der Überleitung zum Finale hätte ich auf Melodieansätze ruhig verzichten können, besagtes Finale hat dafür aber Wucht. Joa, viel mehr gibt’s auch nicht zu sagen hierzu. Hat mich eher als Visitenkarte als als Einzelsong überzeugt, aber immerhin habe ich die Band jetzt wieder auf dem Schirm.

So wenig es auch zur ihrer Klangästhetik passt, Rise and Fall waren so etwas wie die Asphaltblume des Samplers. Rumpelstilzchen Faustcoven trampelt diese aber sogleich nieder mit Musik, die als Soundtrack zum Weintraubenstampfen in der gefrorenen Hölle fungieren könnte. Meine Abneigung gegen derlei zermürbend stumpfe Rhythmen habe ich bestimmt schon irgendwo artikuliert, und gegen dämlich-gutgelauntes, heavyeskes Riffing auch. Gleiches gilt für meine negative Einstellung gegenüber nachlässigem (Zusammen-)Spiel um der Geste willen, die ja in der Neuauflage naturgemäß immer anders klingen wird als bei den Vorbildern. Ja, Faustcoven hat stilistisch nichts mit Christian Mistress zu tun, ist aber ebenso retroaffin, nur dass hier der frühe, noch nicht ganz von den 80er-Venom-Wurzeln gelöste Black Metal das Klangideal darstellt. Mit den gelegentlichen Doom-Einschüben wird’s nicht besser. Würde mich der Songfluss überhaupt interessieren, dann würden sie mich stören. Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der „Geht mich nichts an“-Musik ist aber sicherlich der halletränkte Krümelmonstergesang. Nee, Leute. Das ist Geisterbahn. Das ist Trash. Rockmusik muss wieder nüchterner werden.

In der Schule wurde mir Mathe recht schnell zum sogenannten „Hassfach“. Spätestens in der Oberstufe wand ich mich nur noch unter Kopfschmerzen durch das Labyrinth der objektiven Richtigkeit, die für mich in ihrer Härte immer angsteinflößend, furchtbar, der Tod war. Deshalb lässt sich aus Mathematik für mich auch grundsätzlich größerer Horror ziehen als aus dem Verkleidungsgrusel von sowas wie Faustcoven. So ist das eigentlich Furchteinflößende und beinahe Bewundernswerte am Gleichzeitigkeitsterror von Dodecahedron auch die Ahnung, dass er ganz und gar nicht chaotisch ist. Die Ahnung, wie viel Anstrengung es gekostet haben muss, ein Stück wie „I, Chronocrator“ zu komponieren. Das macht das Ding nun aber nur unwesentlich hörbarer. Für die Ungenießbarkeit sorgt nach dem überladenen ersten Drittel im Folgenden noch der „Loudness War“-Sound. Überraschend ist, dass sich die Band für den zweiten Part so sehr zügeln konnte, dass er sich fast nach überlangem Ausklang anhört. Mit gutem Willen könnte ich ihn mir sogar auf einem älteren Blut aus Nord-Album vorstellen, in einer ansonsten reizüberflutenden und reizarmen Umgebung nützte er mir aber auch nichts.

Fazit: Tut mir leid, ich bin ekelhaft heute. Vielleicht muss ich aber auch nur betrunkener werden.