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Ich kannte mal ein Mädchen, das wartete auf mich nach der Schule auf der Bushaltestelle mit einem Grashalm im Mund. Nachdem ich sie begrüßt hatte, sog sie den Grashalm ein, zerkaute ihn gründlich und ausdauernd und schien mich mit ihrem Blick fragen zu wollen, was ich denn für ein Problem hätte(, ey Alter). Ich hatte durchaus keins. Allein, diese Frage hatte mir zum wiederholten Male bestätigt, dass es den direkten Blickkontakt zu unzurechnungsfähigen Jugendlichen zu vermeiden gilt. Mit Okta Logue hat das alles zugegebenermaßen nur am Rande etwas zu tun. „Bright Lights“ wäre einfach eine recht passende musikalische Untermalung, um mit einem Grashalm im Mund im Sommer auf der Wiese zu liegen. Leider ist nicht Sommer. Und leider bin ich die falsche Person für diese Art von Musik. Hier ist ein großer Teil des Endsechziger-Stilrepertoires dabei, ein verhalten countryesker Einstieg, bluesige Geschmeidigkeit, das psychedelisch irisierende Gitarrendelay, Hammondorgeln, ein Solo. Der Sänger klingt dazu ein bisschen zu selbstbewusst und ein bisschen zu näselnd, ist aber kein massiver Störfaktor. Vielleicht würde mir dieser abgeschliffene Retro-Psychrock besser gefallen, wenn er strukturell und vom Zeitlimit her nicht so zurechtgestutzt wäre und sein rhythmisches Rückgrat nicht ständig motivationslos zusammensacken würde. Vielleicht sollte ich auch, wie mir erst neulich ein aufgeregter Obdachloser empfohlen hatte, mehr kiffen. Und vielleicht hätte ich nicht zu breit ausgewalzten Anekdoten aus meinem langweiligen Leben abschweifen müssen, hätte ich tatsächlich eine Meinung zu dem Song, habe ich aber nicht. In dem Sinne (frei nach S.Y.P.H.): Zurück zum Beton.
Keinen Beton, aber zumindest Musik für geschlossene Räume gibt es bei Jess and the Ancient Ones und „The Devil In G-Minor„. Zur optimalen Effektausreizung sollte besagter Raum abgedunkelt und voll mit Rauch und zigfach ein- und wieder ausgeatmeter Luft sein und Partikeln, die faul und langsam durch die weißen Lichtkegel der Scheinwerfer schweben, in denen die Band steht. Im Sinne der Ästhetik ruht der hellste auf der Sängerin, und im Sinne der Ästhetik sieht diese hoffentlich aus wie sie klingt. Also wie Janis Joplin mit ausgewaschener schwarzer Haartönung und mit den Beinen und der Bühnenoutfitkürze von Tina Turner. Der klavierdominiert eingängige, gut abgehangene und angenehm stadionambitionslose Bar-Bluesrock auf „The Devil in G-Minor“ präsentiert mir ein wesentlich besseres Bild von Jess and the Ancient Ones als zunächst befürchtet, denn anhand von Berichten und Gesamtpräsentation hatte ich sie eigentlich schon in die ungeliebte Schublade der Spiegel Online-Retrofetischismus-Faschingskapellen mit Frontmiezen eingeordnet. Gut, da schafft die Band es auch nicht raus, statt sich voll auf ihren Sexappeal zu verlassen, übergehen sie ihn lieber mit mit Teufelshuldigungen genährt aus der christlichen Angst von vor 50-40 Jahren. Weniger davon, mehr und größere Auftritte für die Sängerin, mehr Klaviersoli nach dem Vorbild von Sting’schem Popjazz-Alibieinlagen und hoffentlich nicht zu viele pappige Protometal-Gitarren und wir sind Freunde, Jess, The Ancient Ones und ich. Ansonsten höre ich halt weiter Rykarda Parasol.
In der Theorie war dein Sampler ja der bestaussehendste, lieber Blobfisch, und dies vor allem auch wegen des großen Namens Patti Smith, dessen Größe mir nun aber so ziemlich gar nichts bringt. Der Anfang ist ja noch relativ harmlos, das ist so ein lustiger und etwas sehr überkandidelter Berggipfelmoment mit akzentiuerenden Trommelschlägen und cheesy Windrauschen, in die Frau Smith mit ihren mit brüchiger Srtimme vorgetragenen Beschwörungsformeln reinschneidet. Ähnlich wie unser Sternwartenandy habe ich mir vom Songtext die einfache Reclam-Ausgabe für 2,60€ anstatt der Studienausgabe für 3,40€ besorgt, vielleicht hätte mir diese ja geholfen und ich wäre etwas mehr begeistert. Aber auch die hätte mich ganz sicher nicht vor dem Schockmoment bewahrt, der mich nach einer knappen Minute so hart und unvorbereitet trifft wie eine in mein Gesicht katapultierte Wassermelone. Was mir da entgegenschallt, das ist zum einen ein dämlich stumpfer, breitbeiniger Rhythmus, zum anderen eine helle, klare Gitarre, beide unangenehm stadionambitioniert, also genau das Gegenteil von der Jessy da oben. Aber mein ganzes Entsetzen, mein inneres Sperren und die in die Sessellehnen gebohrten Fingernägel lassen sich tatsächlich auf einen einzigen Moment zurückführen, und zwar auf diesen übermotivierten, juvenilen „Hey!“-Zwischenruf bei Sekunde 59. Das ist die zusammengeschrumpelte Kirsche auf dem ranzigen Sahnehäubchen, der frühe Tiefpunkt dieser unaushaltbaren Middle of the Road-Musik, dieses Sheryl Crow-„Rocks“, in dessen Kulisse aus strahlend blauem Leinwandhimmel, fotogener Prairie und allesverschlingendem Blau-Orange-Farbfilter die charakteristische Zitterstimme von Patti Smith so ganz und gar falsch und verloren wirkt. Egal, was sie damit sagen wollte, es ist ihr nicht gelungen. Und seine ganzen 4:12 Minuten geht und geht der Song nicht vorbei, und ich sitze im Wohnwagen auf dieser sinnfreien Kaffeefahrt auf der Suche nach Erleuchtung in Blechdosen, schaue aus dem Fenster auf Tumbleweed und ausgedörrte Böden und eine strafend grinsende Sonne und verstehe nun, wie sich hier einige beim ersten Austausch bei Rush gefühlt haben müssen, und denke mir nur ich muss hier raus ich muss hier raus ICH. MUSS. HIER. RAUS.
Puh. Anstrengend. Hiernach brauche ich erstmal eine akustische Ohrendrahtbürste. Diese Funktion kann Jazz- und improvisationsverwurzelte Musik oft am besten übernehmen, wie mir auffällt, während ich mir etwas zu „Too Tough To Die“ von Neneh Cherry & The Thing aus den Fingern zu saugen versuche. Sein Rhythmus, sperrig und tückisch einerseits, körperlich andererseits, ist optimal sexy, ebenso wie die Instrumentalarbeit, die lange genug verbissen repetitiv, in den richtigen Momenten aber auch stachelig und nicht-kooperativ ist. Der Song wuchert und windet sich und ist eigentlich schon fast zu kurz für sein Potential, das Einzige, was ihm einen Riegel vorsetzt, ist wahrscheinlich der Gesang. Dieser stört mich trotzdem überhaupt nicht so sehr wie die anderen hier, auch wenn ich die Kritikpunkte im einzelnen nachvollziehen kann. Denn ja, eigentlich ist er zu weit nach vorne gemischt, aber es läuft hier weniger auf eine rundgelutschte Popproduktion hinaus als auf ein heilloses Chaos, in dem sich jeder Klangerzeuger konstant in den Vordergrund zu drängen versucht und alles ständig zu nah am Mikro ist. Ich weiß nicht, ob das beabsichtigt ist, aber es stört mich nicht genug, um die Band sofort abzuschreiben.
Vor Motorpsycho hatte ich mich ja bisher recht erfolgreich gedrückt. Und von Stale Sorlakken gar nicht erst etwas gehört außerhalb des aktuell gegebenen Motorpsycho-Zusammenhanges. Keine Erwartungen => kein galanter Einleitungssatz, aber auch: keine Enttäuschung, sogar eine angenehme Überraschung. Der Einstieg geht mit eher gemäßigter Beschleunigung von statten, zunächst etwas Trommeln und Kratzen gegen die instrumentale Leere vor dem Bläsereinsatz, aber man hat ja Zeit in „Through The Veil, Part I„, genauer gesagt 16 Minuten. Deswegen dürfen die ersten davon ohne brutzelnde Stonergitarren und Drumgalopp auskommen, aber die kommen immerhin genau im richtigen Moment. Beim Gesangseinsatz klingt’s dann so, als hätten sich „Dirt“-Ära-Alice in Chains seitens Kyuss doch noch von den zahlreichen Vorteilen von Drogensumm überzeugen lassen und rutschten nun mit ihnen zusammen pinke Cupcake-Wolken und Zuckergussregenbögen herunter. Gefährlicher wird’s ab ca. 3:45, wenn der Jazz die Zügel verstärkt an sich reißt und die ersten Schwindelgefühle auftreten. Aber erst im instrumentalen Mittelpart müssen sowohl die verstummten Alice in Chains als auch Kyuss ihre Einstellung zum ersten Mal wirklich überdenken. An einer schiefen Rhythmusfigur hangeln sich bisweilen sägend atonal die Bläser entlang, und wäre das Mahavishnu Orchestra seinerzeit geduldiger und weniger aufgeregt gewesen, man könnte diese pulsierende Jazzrock-Symbiose durchaus mit ihnen vergleichen. Seine mauleselhafte Starrköpfigkeit lässt den Part fast schon zu lang wirken, andererseits wird genug Druck aufgebaut, um meinen Widerstand zu brechen, und es passiert ja auch genug abseits des Grundgerüstes. Geradezu bewundernswert ist dann aber der fließende und dramaturgisch völlig sinnvolle Übergang zur Rockdominanz vom Anfang, in dem das Stonerriff und das Gesangsdoppel das Stück wieder in die Regenbogenachterbahn zurückführen. Schade nur, dass die letzten fünf Minuten recht ziellos vor sich her wogen, ein gradliniger Sprint zur Finalexplosion wäre ein besserer Abschluss gewesen. Aber vielleicht erklärt sich das alles, sobald man den zweiten Part von „Through The Veil“ gehört hat, oder besser noch das ganze Album. Als Visitenkarte hat das Stück insofern hervorragend funktioniert.
Aber ich krieg hier ja nie, was ich will. Weil wir wohl die Aufregung ansonsten nicht hätten verkraften können, verschreibt uns der Blobfisch sämige Langeweile in homöopathischen Dosen, wiederum in Form zweier großer Namen, die hier abgesehen vom groß sein nichts können. Steven Wilson und Michael Akerfeldt alias Storm Corrosion hatten auf „Ljudet Innan“ die nicht gute Idee, ein aufdringlich wohlklingendes Ambient- auf der Schwelle zum New Age-Stück aufzunehmen. Noch weniger gut war lediglich die Idee, den Anfang von Akerfeldt einsingen zu lassen, denn außerhalb der Extremmetal-Umgebung verklebt seine Honigstimme mir die Gehörgänge. Das sind schon bei Opeth die Momente zum bloßen Aussitzen, das ist hier nicht besser, dauert aber immerhin nicht so lange. Danach geht es relativ lange mit wabernder Räucherstäbchenmusik weiter, das könnte in der Theorie vielleicht nach Popol Vuh klingen, in der Praxis und ohne Werner Herzogs Sinn für Gefahr und Nichtigkeit aber lediglich nach Aromatherapie und Yogasitzungen. Mit Hinzukommen von einem gemächlich schlurfenden Rhythmus, einem kleinen Gitarrensolo und Wilsons anämischem Gesang bekommt die Sache etwas Form und wird dadurch zumindest unwesentlich besser, aber in dem Moment frage ich mich dann auch nur wieder, warum man nicht gleich Talk Talk oder Bark Psychosis hört.
Sei mal ehrlich, Rodelkönig: War das jetzt ein kalkulierter Schockmoment oder eine Verlegenheitslösung? Mit Meshuggah und „Break Those Bones Whose Sinews Gave It Motion“ landet der Schädel recht unsanft auf dem Kopfsteinpflaster, allein dafür sollte der Song eigentlich Pluspunkte von mir bekommen. Der Sound ist schmerzhaft klar, der distinktiv tiefergelegte Basseinsatz renkt einem effektvoll den Kiefer aus. Im Hintergrund bleibt bis zum Gebrülleinsatz das effektvoll dissonante Melodierudiment, welches dann erst später wieder auftaucht, wenn die Band offenbar merkt, dass der zu weit nach vorne gemischte Gesang die kompositorische Leere doch nicht ausfüllt. Wenn ich nicht genau darauf warten würde, fände ich diese hohle Malen nach Zahlen-Version von Meshuggah auch ziemlich einfallslos und langweilig. So aber, vor allem wenn der nervige Bass für einige Songsekunden still ist, muss ich den Kommentar von xkiwipox doch noch erweitern: ungefähr so stelle ich es mir vor, als Frau schlechten Sex zu haben, während das Bett auf der Spitze des Berliner Fernsehturms auf einem Stecknadelkopf balanciert.
Tut mir leid, ich hasse Musik.
Wer ist jetzt dran?
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]