Re: Inglorious Bastards – neuer Tarantino *SPOILERWARNUNG ab Seite 4*

Home Foren METAL HAMMER’s Ballroom Mediapit Filme, Serien, Videos Inglorious Bastards – neuer Tarantino *SPOILERWARNUNG ab Seite 4* Re: Inglorious Bastards – neuer Tarantino *SPOILERWARNUNG ab Seite 4*

#4927531  | PERMALINK

Slothrop

Registriert seit: 07.07.2008

Beiträge: 844

Ok, Mr. Shaft hat hier schön ausführlich aufgetextet, vielen Dank für die Mühe. Seine Kritik verzerrt den Film allerdings an entscheidenden Punkten – es hört sich so an, als ob man es hier mit einer ähnlich spielerischen Coolness wie bei „Pulp Fiction“ zu tun hätte, nur eben mit Nazis statt mit Gangstern. Eine solche plakative Verflachung, die auf den bloßen Oberflächeneffekt abzielt, wäre dann jedoch eine kaum zu akzeptierende Verhöhnung der Opfer. Genau so operiert der IG aber eben NICHT. Nun ja: Sorry für die folgende Klugscheißerei, aber ich habe den Verdacht, dass Mr. Shaft essenzielle Motivlagen des Films null geblickt hat.

Shaft2 Landa wird von Christoph Waltz gespielt und das Wirklich Hervorragend, Er spielt Landa so Zynisch und Böse das es wirklich spass macht ihn zu Beobachten.

Was genau hat dir hier „Spaß gemacht“? Zu einer solchen Reaktion kann es nur kommen, wenn man seinen Denkapparat an der Kasse gegen fünf Liter Popcorn eingetauscht hat – mindless pleasures. Landa ist eben nicht „böse“, sondern eine Figur der Ambivalenz: kultiviert UND grausam. Er ist der Agent, der die Filmhandlung vorantreibt und in dem sich so etwas wie Schicksal manifestiert. Das macht ihn fast schon zu einer tragischen Figur: Seine Uneindeutigkeit verhindert jede mythische Vernebelung des archetypischen Nazi, wie sie beispielsweise in „Der Untergang“ praktiziert wurde. Und wie Waltz diese Ambivalenz darstellt, da hast du recht, ist wirklich unglaublich. Aber diese intensive Performance „spaßig“ zu finden, das kann ich null nachvollziehen. Mir gefriert da das Blut in den Adern…

Shaft2Doch im Finale gibt es eine MontageZu einem David Bowie Song was vielleicht etwas Deplaziert wirken könnte.

Nö. Passt perfekt. Was singt Bowie denn überhaupt? Diese Zeilen: „You’ve been so long / well, it’s been so long / and I’ve been putting out fire / with gasoline.“ Na, klingelt’s?

Shaft2Der Film ist schon fast eine Parodie auf das 3. Reich

Niemalsnie! Einzelne Protagonisten (Hitler allen voran) werden mit Mitteln der Parodie dargestellt. Das heißt aber noch lange nicht, dass der ganze Film als Parodie (und vor allem nicht als Parodie auf das 3. Reich) verstanden werden kann. Vielmehr ist „Inglourious Basterds“ in Form einer kontrafaktischen Geschichtsschreibung erzählt (Google hilft hier weiter). Das bedeutet: Die Umschrift der Ereignisse ist wichtiger als die Überzeichnung der Charaktere. Und diese Verfahrensweise geht über die reine Parodie weit hinaus.

Shaft2Der Film ist wirklich das Highlight des Kinojahres und kann kaum noch getopt werden.

Richtig. Aber aus anderen Gründen als den von dir genannten.

Shaft2Inglourious Basterds ist ein Huldigung an das Alte Kino und den Film ansich, eine Homage an den Kriegsfilm der 70ger und all seinen Berreichen. Wer Tarantino und Kino liebt wird seine Pure Freude an dem Film haben alle anderen sollten sich vielleicht etwas anderes anschauen.

+++Achtung: Spoileralarm! Aber nur minimal+++

Wenn der Film nur eine Huldigung an das Kino und eine Genrehommage wäre, würde er in derselben Sackgasse landen wie das Grindhouse-Desaster. Außerdem wäre es eine Respektlosigkeit gegenüber den Opfern des Holocaust. Ist es aber nicht: Denn durch die Umschrift der Geschichte berührt der Film einen neuralgischen Punkt: die Möglichkeit, die Katastrophe ungeschehen zu machen. Dafür, und das zeigt der Schluss so überwältigend wie anrührend, opfert Tarantino sogar das, was er am meisten liebt: das Kino. Am Schluss steht ein Brandopfer, im Zuge dessen sich das Dispositiv selbst vertilgt (was brennt denn da? Filmrollen!). Tarantino gibt hier den Opfern (pars pro toto: Shosanna) ihre Würde zurück, indem er sie aus der Agonie der Geworfenheit in ihr Schicksal herausreißt und zu handelnden Subjekten macht. Und dass dieses Kino, welches allein als Illusionsmedium par excellence zu dieser Umschrift fähig ist, kein reiner Zitatekarneval mehr ist, sondern zum Agenten der Veränderung wird, dass es seine Bilder real in die Köpfe der Menschen einbrennt anstatt sich in nerdigen Genreallusionen zu verausgaben: all dies markiert einen Wendepunkt im Werk Tarantinos. Kurz: IG ist sein bester, reifster, nachdenklichster und – trotz der krassen Gewaltszenen – menschlichster Film geworden. Ab und an, mein lieber Shaft, lohnt es sich durchaus, wenn man mal bisschen über das Gesehene nachdenkt. Da kommt dann auch meistens mehr bei rum als – wie in diesem Fall – „Spaß“ und „typisch Tarantino‘. Nix für ungut…

--

"Out in a bloody rain to feed our fields Amid the Maenad roar of nitre's song And sulfur's cantus firmus." Richard Wharfinger: The Courier's Tragedy http://www.lastfm.de/user/mossmoon