Re: Eddies Plattenkiste: Die 90er Jahre

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palez

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*Thread lieber wieder entführ* *g*

Schlicht und ergreifend: LOW – I COULD LIVE IN HOPE (1994)

Slow-/Sadcore (irreführende Stilbezeichnung, hat mit Hardcore Punk Nullkommagarnix am Hut…) gehört sicherlich zu den für mich interessantesten Entwicklungen der 90er. Zwar wurde schon Einiges, wofür das Genre heute steht, bereits in den früher 80ern von der Post-Punk-Bewegung vorweggenommen, jedoch ist Slowcore eine durchaus eigenständige Strömung. Die Grenzen zwischen den parallel entstandenen Genres Shoegaze und Post-Rock sind fließend, wie Bands wie Mazzy Star, Slint und Mogwai eindrucksvoll zeigen; auch die Dark/Ethereal Wave-Formation Lycia hatte auf den ersten 2-3 Veröffentlichungen aufgrund des LoFi-Sounds und der darauf zelebrierten Trostlosigkeit und Monotonie Nähe zum Slowcore, auf „Cold“ gelang ihnen gar der Brückenschlag zum eigentlich ziemlich gegensätzlichem, da durchaus soundperfektionistischem und effektgeladenem Shoegaze. Das Debüt von Low zählt dabei, neben „Down Colorful Hill“ von Red House Painters und Codeine – The White Birch, zu den wichtigsten und bekanntesten Veröffentlichungen des Genres. Das Trio zelebriert auf „I Could Live in Hope“ einen Sound, der am ehesten mit einer ihrer letzten Energie beraubten Variante von The Cure – Faith vergleichbar wäre. Oder auch beide Joy Division-Alben ohne den blechern-harten Klang oder auch skelettiertem Folk. Die Musik ist auf fast weniger als das Nötigste reduziert. Low brauchen keine großen Gesten, um Tragik auszudrücken, die Songs sind sanft und leise, geradezu lethargisch. Mehr als eine spärlich eingesetzte Instrumentierung von Gesang (männlichen und weiblichen), Gitarre, Bass und leiser, tragender Perkussion brauchen die zwischen langsam und sehr langsam pendelnden Songs nicht zur Entfaltung. Weniger kann manchmal so viel mehr sein. Es ist die Vertonung von Einsamkeit und Depression, jedoch immer mit einem fragilen Schimmer Hoffnung, der dem Album jedoch nach und nach abhanden kommt. She said it’s not enough for two…Sarah you’re lazy. Benommen und hypnotisch in seiner Monotonie taumelt der Song, verharrt in seinem desolaten und lethargischen Zustand. Der Song danach ist das klare Herzstück des Albums und einer der traurigsten Songs, die ich jemals gehört habe: „Lullaby“ wird in seinen ersten Minuten nur von tieftraurigen, zaghaften Akkorden und dem herzzerreißenden Gesang Mimi Parkers getragen, bis sich nach einer Weile Perkussion hinzugesellt und der Gitarre mehr Platz eingeräumt wird. Über die Länge von knapp 10 Minuten steigert sich der in den letzten zwei Dritteln rein instrumentale Song, das filigrane Schrammel-Solo lässt sogar den Nachhall von „New Dawn Fades“ vermuten. Das Stück endet mit den gleichen traurigen Akkorden, mit denen es angefangen hat. Ein Kleinod der Melancholie. Dieses überirdische Intensitätslevel kann von den folgenden Songs nicht ganz gehalten werden, doch auch die zweite Hälfte des Albums befindet sich in Höhen, in denen die Luft dünn wird. Dabei sind „Down“ und „Drag“ noch minimaler arrangiert als die Vorgängerstücke, jedem der wenigen Töne wird Raum zur Entfaltung gelassen. Die Arrangements sind perfekt akzentuiert, doch die Musik lebt durchaus auch von der Stille zwischen den Tönen. „Rope“ könnte eigentlich der perfekte letzte Song sein; triste Gitarrenakkorde hallen durch die Leere, irgendwann vernimmt man auch die gequälte Stimme von Alan Sparhawk. You’re gonna need more. Don’t ask me to kick any chairs out from under you. Die ganze Atmosphäre ist unheimlich desolat. Ein perfekter Abschluss eines großartigen Albums

…wäre da nicht noch dieses blöde „(You Are My) Sunshine“. Bei weitem kein schlechter Song, eigentlich eine sehr schöne und stimmige Interpretation, aber am Ende des Albums wirkt es einfach wie ein Fremdkörper. 🙁

http://www.lastfm.de/music/Low/I+Could+Live+in+Hope