Re: Eddies Plattenkiste: Die 90er Jahre

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MetalEschi

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Na da hab ich ja endlich auch mal einen Verwendungszweck für mein mühevoll verfasstes Review^^:

Tool – Aenima (1996)

Maynard James Keenan (v.)
Adam Jones (g.)
Danny Carey (dr.)
Justin Chancellor (b.)

Musik ist eine der ursprünglichsten Ausdrucksformen menschlicher Energie. Egal, was man persönlich bevorzugt, es gibt viele Formen der intonierten Kunst, die in ihrer wie auch immer gearteten Emotionalität das Herz des Hörers berührt, die Seele aufrüttelt und dem Leben eine vollkommen neue Wertigkeit gibt, die ohne Musik nicht möglich wäre. Und dann gibt es Bands wie TOOL, die vollkommen einzigartig sind, immer noch einen Schritt tiefer gehen, und in deren Vergleich selbst viele der besten Musiker nur lasch an der Oberfläche kratzen.

„Aenima“ in Worte zu fassen, ist beinahe unmöglich, da man jede Faser, jede Naht und jedes noch so kleine Detail dieser Scheibe im Grunde selbst spüren muss. TOOL sprengen die Ketten der menschlichen Verschlossenheit, bohren sich gnadenlos in das Seelenleben der Hörerschaft, werden letzten Endes aber nur denjenigen in die noch immer undefinierte Tiefe ihres Banns ziehen, der sich darauf einlässt. Kalt und leicht statisch wirkt die Musik noch zu Beginn, erst mit fortschreitender Dauer des Trips wird man feststellen, dass „Aenima“ exakt Körpertemperatur besitzt.

Die ersten Noten des Openers „Stinkfist“ versetzen zunächst in eine leichte Apathie, bevor das harte, durchdringende Riff mit seiner Intensität schon beinahe schmerzt. Sänger und kreativer Kopf Maynard James Keenan gibt dem noch etwas verdutzen Hörer jedoch mit seinem Gesangseinsatz ein oberflächlich wohliges Gefühl zurück, konfrontiert ihn aber, auch mit der Hilfe seiner Bandkollegen, die die ultimative Definition von Dynamik darstellen, mit immer mehr Fragen, ruft gnadenlos die gesamte Gefühlspalette ab, gibt aber zu verstehen, dass es für einen gewissen Zeitpunkt offenbar nichts gibt, was einen wirklich in Gefahr bringen kann.

Dies zieht sich durch das gesamte Werk. Nicht immer ist das Gefühl, dass den Hörer überkommt in Gänze wohlwollend und positiv, manchmal gar etwas beklemmend, in der Gesamtheit fühlt man sich aber aufgehoben, verstanden und erhaben. TOOL setzen mit „Aenima“ ungekannte Emotionen frei, ganz ohne Hilfsmittel und Zauberei, einzig und allein durch den bloßen Klang ihrer Musik. Die Breaks und die Detailverliebtheit von „Eulogy“, „Pushit“ oder „Third Eye“ beeindrucken und versetzen den Körper in einen Zustand der Selbsterfahrung. Textliche Konzepte sind bei TOOL kein schmückendes Beiwerk, die Erzählungen und Darstellungen erwachen mit den Songs zum Leben. Die Lyrics sollte man in seine Beschäftigung mit dieser Band unbedingt mit einbeziehen, da sie schlicht und ergreifend ein unabdingbarer Teil des Geamtkonzptes sind, da sie ähnliche Wege bestreiten wie es die Band mit der musikalischen Umsetzung tut. TOOL verwenden das Stimittel der Ironie, um den Hörer, beinahe schon frech, zwischenzeitlich immer wieder daran zu erinnern, dass es noch ein irdisches Leben gibt, wenn etwa bei „Intermission“ eine fröhliche Jahrmarktmelodie ertönt oder ein lauter, durchdringender Babyschrei die Versuchsperson (als die man sich im laufe der Scheibe immer mehr vorkommt) aus seinen bildhaften Gedanken reißt.

TOOL verarbeiten Ängste, philosophische Gedanken und innere Wut (wie etwa beim Titelsong) mit beängstigender Vehemenz, stellen Traurigkeit neben Hoffnung, Erleichterung und Freude, bauen in ihrer instrumentalen und gesanglichen Feinfühligkeit Gebilde, die höher reichen als alles, was man bisher zu sehen bekam, nur um sie im nächsten Moment wieder mit einem gewaltigen Aufschrei niederzureißen. Nicht jeder kann die Art und Weise der verwendeten Stilmittel gänzlich nachvollziehen, manch einer wird gar ahnungslos vor diesem wilden Geflecht der musikalischen Ausschüttung stehen. Wer aber einmal von der grenzenlosen Macht mitgerissen wurde, der wird sich noch lange daran erinnern – und in gewissen Situationen, ganz so, wie es der Albumtitel assoziieren soll, eine Art Seelenreinigung erleben.

Dass es TOOL darüber hinaus auch nicht an Humor mangelt, beweist „Die Eier von Satan“, eine leicht an Rammstein angelegte Nummer, die ein Rezept für Haschkekse in einer ans Dritte Reich erinnernden Tonlage vorträgt. Noch heute erkennen Amerkaner darin Nazi-Tendenzen, was eindeutig beweist, woaruf es die Band mit dieser Provokation angelegt hat.

Eine intensive Beschreibung jedes weiteren Moments von „Aenima“ macht wenig Sinn, da man diesen Trip selbst erlebt haben muss, um ihn zu verstehen, um zu wissen, wie sich die Band durch dreidimensionale Klangwelten zaubert und den Hörer mit erstaunten, ungläubigen Blicken zurücklässt. Die Perfketion, die in jedem einzelnen Ton dieser Scheibe steckt, versetzt auch die allerletzte Körperzelle in Rührung. TOOL haben die 90er sozusagen mit einer einzigen Scheibe geprägt (der Vorgänger „Undertow“ hatte noch nicht in Gänze diese Tiefsinnigkeit zu bieten), haben die Grenzen der harten Rockmusik im Alleingang verschoben, und dieses Meisterwerk mit dem Nachfolger aus meiner Sicht sogar noch einmal übertroffen – dies allerdings bereits in einem anderen Jahrzehnt, da TOOL natürlich ganz genau wussten, dass man ein Jahrhundertwerk wenn dann nur in einem neuen Jahrtausend übertreffen kann.

http://youtube.com/watch?v=07pLGIgyfjw

Stinkfist

http://youtube.com/watch?v=uCEeAn6_QJo

Aenima

http://youtube.com/watch?v=Tja6_h4lT6A&feature=related

Forty-Six and Two

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