Re: Eddies Plattenkiste: Die 90er Jahre

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palez

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NihilistZu folgenden Platten würde ich noch gerne ein […] Review sehen:

-Neurosis – wahlweise „Souls At Zero“ […]

Wird erledigt, Chef.

Neurosis – Souls At Zero (1992)

1. To Crawl Under One’s Skin
2. Souls at Zero
3. Zero
4. Flight
5. The Web
6. Sterile Vision
7. A Chronology for Survival
8. Stripped
9. Takeahnase
10. Empty

Wie kaum ein anderer Name steht „Neurosis“ in der heutigen Metalszene für musikalische Rücksichts- und Kompromisslosigkeit, für das Anstrengende, Unbequeme. Mit ihrem schleppenden, schroffen Sound, ihrer Beständigkeit und Eigentümlichkeit, auch wenn die Entwicklung innerhalb der eigenen Diskografie nach „Souls at Zero“ vergleichsweise gering ausfällt, hat sich die Band in der Szene mittlerweile einen hohen Status erspielt, ohne jemals kreative Zugeständnisse gemacht zu haben, hat wichtige Impulse gegeben und das (Sub-)Genre Post-Metal/Postcore/Sludge (jaja, ich weiß selbst nicht, wie man das heutzutage nennt, heißt ja fast überall anders…) (mit-)erfunden. Bands wie Isis, Cult of Luna und Pelican würden ohne „Vorarbeit“ von Neurosis, wenn überhaupt, ganz anders klingen. In einer immer mehr an ihre kreativen Barrieren stoßenden Strömung bleiben Neurosis ein beständiger Monolith. Doch den Ursprung dieser musikalischen Kraft findet man nicht schon im Debüt der Band, „Pain of Mind“. Und auch nicht mit dem Nachfolger „The World as Law“. Diese Alben boten schnellen, lärmigen, schlichten Crust-Punk, gut, um sich mit den Wurzeln der Band vertraut zu machen, aber eben auch nicht mehr und an und für sich bei weitem nicht essenziell. Das sollte sich mit dem Drittwerk „Souls at Zero“ schlagartig ändern: schon der Opener „To Crawl Under One’s Skin“ reißt einen mit sich in einen Mahlstrom aus Verzweiflung und Panik. Die Gitarren-Eruptionen, intensiviert durch akustische Einsprengsel, erinnern dabei durchaus noch an die Crust-Vergangenheit, doch haben sie erheblich an Schwere zugenommen. Die Drums schwanken zwischen Tribal-Einflüssen und Nervosität, lassen den Song sich um die eigenen Achse drehen. Kaum hat man sich erholt, zieht einen der Titelsong und sein Nachhall „Zero“ mit seiner psychedelisch-repetitiven Melodie in einen Strudel der Hypnose. Nach einem ähnlichen Strickmuster funktionieren auch die anderen Stücke; dabei kommt ihnen vor allem die Produktion zugute. Diese lässt allen Instrumenten genügend Freiraum und gibt ihnen einen unverwechselbaren Klang (Die Gitarren! Der Bass!), klingt natürlich, gleichsam rau und klar und für diese Art von Musik geradezu perfekt. Die Songs graben sich tief in die Erde, starren der Apokalypse ins Angesicht, sie klingen im besten Sinne spirituell. Ein weiterer Fortschritt gegenüber dem stumpfen Crust früherer Tage ist neben den gedehnten und ambitionierteren Songs und dem interessanteren Spiel (vor allem das Drumming) vor allem die Integration bis dahin stilfremder Instrumente wie Violinen, Flöten, Cellos und Trompeten. Besonders das Violinenspiel von Kris Force, die einige Jahre später mit einigen The Gault-/Weakling-Mitgliedern die sehr empfehlenswerte Formation Amber Asylum gründen sollte, verleiht der Musik noch zusätzlich Schwere und Dramatik, teilweise fast schon so was wie Anmut, am besten nachzuhören bei „A Chronology for Survival“ und „Stripped“; wenn dieses im erstgenannten Stück einsetzt, fühlt man sich von dessen monumentalen Trauer geradezu begraben, man möchte schreien, fliehen, um diesem tonnenschweren Druck zu enkommen. In dem Moment, als die Streicher im darauf folgenden Song einsetzen, starrte ich beim ersten Hören einfach nur fassungslos und mit weit aufgerissenen Augen in die Leere; der Himmel stürzt über dem eigenen Kopf zusammen, es ist ein Moment nackter vertonter Angst. Ich kann mich noch ziemlich genau daran erinnern, dass mich „Souls at Zero“ bei den ehemaligen allabendlichen Hörsessions geradezu erschöpft hat, es war eine für mich und meine musikalische Entwicklung prägende, kathartische Erschöpfung. Für viele mag es bessere Neurosis-Veröffentlichungen geben (für mich eigentlich auch…mein Favorit ist die Zusammenarbeit mit Jarboe), „Souls at Zero“ steht jedoch wie kein zweites Werk für den Neuanfang der Band und für ihre künstlerische Kompromisslosigkeit. Vor allem dank SaZ stehen Neurosis nun da, wo sie jetzt stehen. Wenn es in den 90ern nebst The God Machine noch eine weitere Band gab, die die Schwere und Brutalität früher Swans ansatzweise erreichen konnte, so waren es definitiv Neurosis.

http://www.youtube.com/watch?v=-lurmZamBoo
http://www.youtube.com/watch?v=U64kHFwKEjU
http://www.youtube.com/watch?v=PUslQZAD-t8
http://www.youtube.com/watch?v=SmhMfUVTUdc

Wie wäre es eigentlich damit, die Reviews im Anfangsposting zu verlinken?