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Nevermore – Dreaming Neon Black
Nevermore haben auf den drei Alben, die sie in den neunzigern veröffentlich haben, etwa wie drei verschiedene Bands geklungen. Nach dem verhaltenen und recht Powermetal lastigem Debut hauten sie den progressiven und völlig abgefahrenen Vorschlagshammer „Politics Of Ecstasy“ raus, der teilweise so klingt, als ob wirklich ein bisschen der im Titel genannten Substanz im Spiel gewesen ist. 1999 dann kam die dritte Veröffentlichung, die wiederum in eine völlig andere Richtung tendierte. „Dreaming Neon Black“ war nämlich weder eingängig noch richtig verfrickelt. „Dreaming Neon Black“ ist ein pechschwarzer und zutiefst emotionaler Diamant, der sich zwar erst nach mehrmaligem Hören richtig offenbart, aber beiweitem nicht so abgedreht und frickelig wie sein Vorgänger ist. „Dreaming Neon Black“ ist im Endeffekt nur eines: emotional bis zum geht-nicht-mehr.
Nach dem kurzen Intro ballert schon „Beyond Within“ los, der wohl groovigste und auch „unpersönlichste“ Song des Album. Und doch ist der Einstieg so gelungen, ein neues Jahrhundert steht an doch die Verzweiflung wird bleiben. Mit „Beyond Within“ wird in die Zukunft geschaut, in eine Zukunft, welche später das ganze Album hindurch beschrieben werden wird. Und so werfen Nevermore mit „The Death Of Passion“ den Hörer schon ein erstes Mal völlig aus der Bahn. Resigniert und verzweifelt, Optimismus als Fremdwort sehend ist der Song zwar schon weitaus vertrackter, und doch zieht er einem schon die erste Gänsehaut über den Rücken. Mit „I Am The Dog“ wird man dann immer tiefer in die dunkle Verzweiflung des Herrn Dane hinabgezogen, man beginnt darin zu versinken, bevor mit dem Titeltrack der emotionale Overkill überhaupt kommt. Der Song beginnt gemächlich, leicht verträumt und doch so völlig hoffnungslos und niedergeschlagen. Warrel Dane gelingt ein vollends ehrlicher und gnadenlose Seelenstrip, hier wird nichts ausgelassen. Und wenn dann gegen Ende des Songs noch die Fraunstimme einsetzt ists endültig vorbei mit der guten Laune, und man wird von der Leere, die perfekt durch den Gesang wiedergegeben wird, mitgerissen, verschlungen und findet sich in einem schwarzen See aus Verzweiflung wieder. Der damaligen Seelenwelt des Herrn Warrel Dane.
Mit „Deconstruction“ wird dann ein leicht anderer Weg eingeschlagen, hier herrscht wieder die Frustration, die Wut. Dies wird konsequent in forgesetzt. Und doch schimmert in der Hasstirade gegen die Menschheit namens „The Fault Of Flesh“ wieder diese dunkle und verschlingende Seite durch. An dieser Stelle muss ich einfach mal das perfekte Gitarrenspiel vom Jeff Loomis erwähnene. Egal ob Soli oder einnehmende, vertrackte Riffs, der Mann kann einfach ALLES an seinem 7-Saiter.
„Please God why can’t you hear us?
Please God why aren’t you listening?“
Nach diesen beiden Groove-Monstern schlagen Nevermore wieder völlig um und es folgt mit „The Lotus Eaters“ eine herzzerreissende Ballade. Hier thront natürlich der absolut geniale Gesang Warrel Danes überallem. Vorallem der oben zitierte Refrain zieht einem eine meterdicke Gänsehaut über den ganzen Körper. Kalt, verlassen und völlig verständnislos zeigt sich der Song. Dass Nevermore schon immer ein Händchen für Balladen hatten, merkt man wiederum auch hier, auch wenn es nicht eine Ballade im eigentlichen Sinne ist. Mit dem darauffolgenden „The Poison Godmachine“ schlägt die Stimmung wieder in Wut um. Und genau diese Wechsel machen dieses Album so speziell. Wo hört man sonst nach so einer ergreifenden Ballade einen Stampfer allererster Güte, der die Atmosphäre dennoch perfekt aufrechterhält?
Diese Wechsel wiederspiegeln die Gesamtstimmung des Albums perfekt. Verlassen, depressiv und auf Kriegsfuss mit der ganzen Welt. Nevermore gehen hier ihren eigenen Weg, und das gänzlich ohne Kompromisse. Und trotzdem ist das Album rund und fühlt sich nicht zerfahren an, nein, es trägt vielmehr zur Atmosphäre bei, dass Nevermore sich nicht nur auf ein Gefühl konzentrieren, dass Warrel Dane hier einfach alles rauslässt. Wie ich schon zu anfangs erwähnte: Seelenstrip pur!
Und mit „All Play Dead“ geht es genauso weiter wie beschrieben. Todtraurig, verlassen und pechschwarz ist dieser Song ein Juwel unter vielen auf dieser Scheibe. Vorallem der Text zeugt von schonungsloser Ehrlichkeit und ist allgemein unglaublich ergreifend. Der Songaufbau ist hingegen leicht untypisch, der Wechsel zwischen heavyien und luftig-leichten Passagen unterstützt aber die Atmosphäre des Songs, der nun einen dunklen, leeren Raum vor das innere Auge zeichnet. Ein Raum, der irgendwie keine Grenzen hat und doch völlig beengend erscheint. Grandios!
„Cenotaph“ zaubert dann mit der wabernden Gitarre wunderschöne, verzerrte Bilder vor das innere Auge, Bilder, die mit dem Cover wohl am besten ausgedrückt werden können. Der Song scheint auf seine eigene Art recht psychedelisch, was vorallem auf das „komische“ Drumming zurückzuführen ist. Allgemein ist der Song bei weitem nicht so beklemmend wieder die vorherigen. Man merkt, dass auf „All Play Dead“ wohl alle Hoffnung aufgegeben wurde, und nun gar nicht mehr an ebendiese geglaubt wird. Resignation und Verzweiflung regieren mittlerweile. Dies kommt dann auch perfekt mit dem zweitletzten Song zur Geltung, der den passenden Titel „No More Will“ trägt. Und es tönt auch genauso, hoffnungslos, selbstaufgegeben und zukunftslos. Der Song beginnt mit einer verspielten Akkustikgitarre und baut dadurch wunderbar Atmoshpäre auf, bevor man wieder in altbekannte Gefilde geworfen wird. Loomis zaubert hier im Hintergrund noch eine geniale, himmeltraurige Melodie, während die Lyric des Songs ebendiesen wohl am besten beschreiben:
„No more will to live, I see the world fade
No more hope inside, my life means nothing anyway
Just shades of gray, I slip away again“
Und wiederum ist Warrel Danes Stimme einfach über alle Zweifel erhaben. Der Song schlägt zwar darauf noch in eine musikalisch leicht aggressivere Richtung um, verliert aber nie seinen eindringlichen und hoffnungslosen Charakter, war vorallem sehr gut im Refrain gehört werden kann.
Mit „Forever“ folgt dann der letzte, 9-minütige Song, der de facto aber nur etwa zweieinhalb Minuten dauert. Doch es sind zweieinhalb Minuten, wie sie das Album nicht besser beenden könnten. Ruhig, mystisch und leicht verträumt trägt einen der Song in einen dunklen, undenkbar tiefen See, wie auf dem Cover abgebildet, und lässt einen langsam darin versinken. Und doch, man fühlt, dass es nicht negativ ist, es ist die logische Folge von allem, was auf dem Album besungen wurde. Man ergibt sich und lässt sich niedersinken, in eine ewige, neonschwarze Traumwelt.
„Dreaming Neon Black“ ist nicht nur das wohl ergreifendste Nevermore Album und zugleich ein unglaublich emotionales und todtrauriges Album, es stellt sowohl auch den Beginn von Nevermores Erfolg dar. Ich würde sagen, dass wenn „Dreaming Neon Black“ ein zweiter „Politics Of Ecstasy“ geworden wäre, wäre die Band nicht so genial und erfolgreich wie sie es heute ist. „Dreaming Neon Black“ ist nebenbei auch, wie alle anderen Nevermore Alben, ziemlich einzigartig in der Metalwelt, denn selten schafft es eine Platte auf diesem musikalischem Weg Verzweiflung und Wut so perfekt zu verbinden. Hut ab, zu einer genialen Platte einer der genialsten Bands aller Zeiten!