Re: Eddies Plattenkiste: Die 90er Jahre

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tonitasten

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Tom Waits- Bone Machine (1992)

Nach Beendigung der Albentrilogie „Swordfishtrombones“, „Rain Dogs“ und „Frank´s Wild Years“ wurde es für Tom Waits Ende der 80er Zeit für einen Umbruch (wieder mal). Es standen Theaterarbeiten mit Robert Wilson auf den Programm, etwa „The Black Rider“ (ein Jahr später erschienen) oder „Alice“ (sogar erst zehn Jahre später erschienen), für Jim Jarmuschs „Night On Earth“ schrieb er den Soundtrack und versuchte sich als Schauspieler in kleineren Nebenrollen. Auch ist seine Ehefrau Kathleen Brennan am Produktionsprozess spürbar beteiligt und eine unentbehrliche Ideengeberin seit „Swordfishtrombones“ geworden. Düsterer denn je kommt Waits daher. Er wähnt sich als Sezierer und Knochenschäler, entblößt sich bis aufs Skelett. Und vielleicht war dieser Schritt der entscheidendste seines Lebens.

Auf „The Earth Died Screaming“ klappern die Knochen. Waits gibt einen klagenden, apokalyptischen Gospel in all seiner Direktheit. Anschließend tönt wie in einen Trauermarsch das tiefe Saxophon in „Dirt In The Ground“. Waits wirkt brüchig und ängstlich. Was für ein großartiger Einstieg für ein Album. Der weitere Verlauf des Albums bleibt unruhig und garstig. „Such A Scream“ ist eine experimentelle Bluesrocknummer. „Who Are You This Time“ offenbart countryeske Züge, ist ein unendlich trauriges, flehendes Gebet. Auch im späteren Verlauf ist der Bezug zu Gott deutlich spürbar. Auch klanglich wendet sich das Album traditionelleren Formen zu. In „Jesus Gonna Be Here“ kehrt er zum Blues zurück. Der Song wird jedoch nur durch Schlagwerk und einer staubigen Gitarre begleitet, bleibt so minimal wie möglich. „A Little Rain“ entfaltet dagegen ein Panorama. Man befindet sich irgendwo auf einer einsamen Highway. Eine luftige Countrygitarre wähnt einen für kurze Zeit in Sicherheit. Es soll in einen entsetzlichen Drama enden. Der Rest gestaltet sich weiterhin bedrohlich. „In The Colloseum“ wirkt durch sein industrielles Schlagwerk wie aus einen heftigen Gruselfilm in Schwarz/Weiß entsprungen. In „Goin´ Out West“ fährt Waits seine Krallen aus, klingt gefährlich nah am Gesang eines Lemmy Kilmister. Es ist Heavy- Rock auf Waits Art. Ebenso großartig! In „Murder In The Red Barn“ wartet der Ripper. Das Szenario gestaltet sich schleppend, wirkt bedrohlich und ungewiss. Man findet sich in den dunklen Straßen Londons Ende des 19. Jahrhunderts oder in irgend einen Schauerroman Edgar Allen Poes wieder. Als Gegenpol zum religiös- spirituellen lässt sich ebenso eine heftige Mord- und Totschlagsthematik finden. Ähnliches hörte man schon von Nick Cave. Nur weicht das Pathetische dem morbiden, abgründigen. „Whistle Down The Wind“ ist einer seiner besten Balladen. Auch hier offenbart sich Waits Nähe zum Country. Das Pianomotiv wird durch allerlei traditionelles Instrumentarium begleitet. Verbittert gibt er die Rolle eines Mannes, der keine Hoffnung mehr hat. In „I Don´t Wanna Grow Up“ wildert Waits wie ein gequälter Hund gegen seine eigenen Dämonen. „That Feel“ ist ein erlösender, religiöser Gesang auf die Menschlichkeit. Ironischerweise gastiert hier Keith Richards als trinkfreudiger Gastsänger. Dagegen stand Waits aber schon längst vor einen entscheidenden Umbruch, der sein Leben nachhaltig verändern sollte. Eigentlich markiert dieser Kampf in „I Don´t Wanna Grow Up“ seinen persönlichen Wendepunkt.

Ein Jahr später wendete er sich den Alkoholkonsum völlig ab. „Bone Machine“ ist ein Zeugnis dieses Kampfes. Brüchig sind Waits Knochen, doch seine Seele wähnt sich in Unsterblichkeit. Seinen erfolgreichen Lebenswandel dokumentierte er erst sieben Jahre später auf „Mule Variations“.

Anspieltipps: Dirt In The Ground/ A Little Rain/ Goin´ Out West/ Whistle Down The Wind

Goin´ Out West

http://vimeo.com/10626100

Dirt In The Ground (vom Livealbum Glitter & Doom, 2009)

http://www.youtube.com/watch?v=6Ll_OqSfhd0

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