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Facetten der Nacht – The Reh-Wjü
„Urbanes Nachtleben“
1. Killing Joke – Darkness Before Dawn
Ich schaute aus dem Fenster und sah die untergehende Sonne. Das Licht der Abenddämmerung würde bald von den aufziehenden Gewitterwolken und der Nacht verschluckt werden. Ich warf meine Jacke über, lief schnell die Treppen runter, warf einen Blick auf das tristgraue Hochhaus, in dem ich wohnte und folgte dem kleinen Grüppchen meiner Freunde, die sich angeregt über die Abendplanung unterhielten. Einer von ihnen zog im Vorbeigehen einen tiefen, langen Kratzer durch die Tür eines Autos, ich zündete mir eine Zigarette an (im Übrigen rauche ich selbst nicht, sondern nur mein Sampler-Ich ^^) und folgte nun nicht mehr ihren Gesprächen, doch ich spürte den leichten Hauch Elektrizität, der in der Luft lag.
Einer der zwei Songs vom Sampler, die ich schon vorher kannte, haha. Im Gegensatz zum rhythmisch geprägten, lärmigen, monotonen Industrial Rock späterer Alben wird hier schummriger, melodischer Dark Wave/Gothic Rock mit prägnanten Basslines geboten, gewissermaßen durchaus am Puls seiner Zeit („Night Time“ erschien 1985). Auch Jaz Colemans Stimme klingt hier nicht annähernd so kaputt wie auf beispielsweise „Hosannas From The Basement of Hell“, aber durchaus recht ausdrucksstark. Guter Einstieg!
2. Autechre – Clipper
Ich blendete das leise wummernde Autoradio aus und ignorierte ihre Gespräche, irgendwie war ich etwas müde und lustlos an dem Abend. Draußen war es inzwischen so dunkel, dass ich im Fenster nur mein eigenes, nerviges Spiegelbild sehen konnte. Wir fuhren auf einer kaum wirklich befahrenen Landstraße, es bot sich, sofern man die Innenbeleuchtung ausschaltete und sich ans Fenster lehnte, ein ziemlich monotones Landschaftsbild. Aus der kontinuierlich zunehmenden Zahl kleiner Erhebungen, Bäume und Häuser setzte sich in meinen Gedanken langsam ein Bild zusammen. Ich schätzte die ungefähre Entfernung zur Innenstadt, lehnte mich wieder ans Fenster und wurde zunehmend müder.
(An dieser Stelle sei noch gesagt, dass Moloch selbst meinte, eine Autofahrt gar nicht mit in die Sampler-Dramaturgie eingeplant zu haben. Aber was soll’s, ich mach‘ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.)
Nach anfänglichen seltsamen Soundeffekten tritt hier zunächst ein stetig pulsierender Beat in den Vordergrund. Um ihn herum wogen elektronische Wellen und Synthie-Effekte, trotzdem besitzt das Stück eine Art beruhigende, Ambient-nahe Repetitivität. Die hypnotisch-melancholischen, sich schnell wieder verflüchtigenden Melodien laden dazu ein, sich in den Variationen dieser Monotonie zu verlieren. Schönes Stück, nur der viel zu lange Fade-Out hätte nicht sein müssen.
3. The Tiger Lillies – Whore
Wir machten Rast neben einem älteren, etwas versifften Lokal, bereits in der Innenstadt, aber in einem weniger belebten Teil davon. Ich hatte nicht wirklich Hunger und, nachdem ich mich aus der Hypnose immer nur leicht variierender Landschaftsbilder befreit hatte, auch kein Bedürfnis nach Kaffee. Meine relativ geringe Motivation war jedoch nicht verflogen, und so schlich ich mich zum Rauchen raus und genoss ein paar Minuten Einsamkeit. Aus Entfernung drangen Akkordeonmelodien an mein Ohr und an einer Straßenecke sah ich eine Prostituierte, eine schlecht toupierte welke Blüte von einer Bordsteinschwalbe, auf Kundschaft warten. Es war eine fast schon zu kühle Sommernacht und gerade als ich mich fragte, wo meine Kollegen so lange bleiben, stupste mich etwas an der Schulter an.
„Whore“ wird geprägt von einem verhaltenen…tja, als was bezeichnet man das…Fast-Tangorhythmus und hübschnettem Akkordeon, was mich ein wenig an einige Stücke von Tom Waits – Rain Dogs erinnert. Das eigentlich Spektakuläre und Wahnwitzige an dem Stück ist zunächst einmal der Text, außerdem der Sänger, der diesen intoniert. Der eigentümliche Falsettgesang von Martyn Jaques lässt mich bisweilen an eine Kreuzung aus transsexueller Opernsängerin und Papagei denken.
Ich bin ja jetzt durchaus recht angetan und interessiert, nur irgendwie noch nicht so richtig überzeugt. Poste mal einen Song, nach dem ich mich sofort in die Band verliebe! :haha:
4. Computerjockeys – We Wasting
Das laute Hupen der Autos, die Konversationen der Leute um mich herum, die Straßenbeleuchtung und die grellen Leuchtreklametafeln vermischten sich in meiner Wahrnehmung zu einem schummrigen Ganzen. Ich hielt kurz inne und lauschte dem zunehmend lauter werdenden Hämmern in meinem Kopf, dann trottete ich wieder meinen Freunden hinterher. Ich versuchte, meinen Blick immer wieder auf irgendetwas ruhen zu lassen, einer Straßenlaterne oder einem Auto.
Um einen tief wummernden Beat herum wird mittels Sprach- und Geräusche-Samples eine eigene kleine Sound-Welt aufgebaut, gelegentlich huscht ein gesampletes Saxophon durch die Szenerie. Auch hier wird aufgrund der Beats eine gewisse Repetitivität beibehalten, doch im Vergleich zum Autechre-Song wirkt „We Wasting“ weniger Ambient-nah, irgendwie „lebendiger“ und urbaner.
5. Bloc Party – The Prayer
Wir gingen durch eine enge, dunkle Gasse und stiegen durch ein kleines Kellerfenster in einen Nachtclub, der mir vorher nicht bekannt war. Ich musste kurz innehalten, um die Umgebung auf mich einwirken zu lassen und um vom Geruch von unter anderem Schweiß und Alkohol nicht in Ohnmacht zu fallen, doch ich wurde von sich gegen- und miteinander bewegenden Menschenmassen mitgerissen. Es lag eine unbeschreibliche elektrische Spannung in der Luft. Ich kämpfte mich zur Theke vor, meine Freunde waren in dem Moment mein wohl einziger Anhaltspunkt. Nunmehr ganz vom Hämmern in meinem Schädel und der schier ohrenbetäubenden Lautstärke eingenommen, ließ ich mir einen Drink spendieren, und vielleicht noch einen. Ich musste einen Teil dieser Welt an mir vorbeiziehen lassen, um mich in ihr wieder einzufinden, doch dazu wurde mir keine Chance gelassen. Mir wurde zunehmend schwarz vor Augen, doch mein Körper wurde Teil dieser unermüdlich tosenden, unberechenbaren Masse.
Man wird begrüßt mit beschwörendem Klatschen und Summen, dann bricht die leicht verzweifelte Stimme des Sängers in die Szenerie. Um die verfremdeten Gitarren herum baut sich ein nervöser Beat auf, seine Anspannung entlädt sich im Refrain. Insektenschwarmartig rauschen Synthiewellen und untermalen die melancholische Melodie. Kontrolliert unkontrollierte Zuckungen, Chaos und verwirrende Wendungen im unwiderstehlichen Popsong-Format.
„Dunkle, Leere Straßen“
6. maudlin oft he Well – Rose Quartz Turning To Glass
Ich hatte meine, hach ja, Freunde im Getümmel aus den Augen verloren, oder sie mich, oder abgeschüttelt. Langsam realisierte ich, dass ich irgendwie aus diesem Nachtclub rausgekommen sein musste, irgendwie, ja…ich hatte keine einigermaßen logische Erklärung dafür und verwarf den Gedanken sofort wieder. Es goss wie aus Eimern, ich musste meine Jacke drüben im Getümmel verloren haben. Frierend und bis auf die Haut durchnässt fand ich mich in einer dunklen Gasse wieder, ich konnte mir nicht sicher sein, ob es die selbe Gasse war, in der sich der Eingang zum Nachtclub befand, denn ich hörte nur Regenprasseln. Ich suchte nach Anhaltspunkten, nach Orientierung, nach irgendwas, das mir einen Tipp geben könnte, in welche Richtung ich nun laufen müsste; da ich es nicht fand, lief ich in die Richtung, die ich für vorne hielt. In mir stieg ein flaues, unterdrücktes, aber nicht zu leugnendes Gefühl von Panik und Verzweiflung auf, ich lief weiter.
Endlich fand ich ein nettes kleines geschlossenes Restaurant, unter dessen Dachvorsprung ich Rast machen konnte. Ich lehnte mich gegen die Wand und ließ mich schwer atmend auf den Boden sinken.
Es dauerte eine Weile, bis ich mich traute, die Augen zu öffnen. Ich hörte merkwürdige Geräusche und machte den Fehler, mich nach ihrem Ursprung zu fragen. Als ich mich nach hinten umdrehte, sah ich, dass eine Art Mischung aus der Tigerkatze aus Alice in Wonderland, der Uhr von Dalis „The Persistence of Memory“ und einer Kröte für die Geräusche verantwortlich war. Bevor ich mich der Kreatur nähern konnte, entweidete diese sich selbst und aus ihren inneren Organen wuchsen wunderschöne, exotische Blumen, deren Blätter sich zu Tentakeln formten und nach mir griffen. Um diesen Drogenalbtraum zu entkommen, versuchte ich, meine Gedanken auf irgendwas Vertrautes zu lenken, zumindest meine reale Umgebung gedanklich zu rekonstruieren. Dies stellte sich alsbald als Problem heraus, denn ich hatte keine Ahnung, nicht einmal eine ungefähre Vorstellung davon, wo ich war, wie lange und wie viele. Im Bewusstsein der Tatsache, dass ich mir solche Fragen in einer solchen Situation gar nicht erst stellen sollte, rannte ich durch die Schwerelosigkeit, fast mit so etwas wie einem Ziel vor Augen.
Die eröffnenden Streicher sind voller Trauer, alsbald gesellt sich schweres Klavierspiel und nervöses Drumming hinzu. Der Song vermittelt eine geheimnisvolle, unangenehme Atmosphäre, skizziert einen Ort, an dem man nicht länger bleiben will. Ungefähr zur Mitte hin bleibt er zwischen gelegentlichen Streicher- und Gitarreneinsätzen und bizarren Stimmeneffekten in der Luft hängen, bis der Hörer von sanft waberndem Progrock aufgefangen wird. Der Song öffnet sich immer mehr und wird zum Ende hin geprägt von wunderhübschen Gitarren- und Gesangsharmonien.
7. Brendan Perry – Death Will Be My Bride
Langsam öffnete ich wieder meine Augen. Der Regen hatte fast aufgehört, nur vereinzelte Tropfen fielen auf meine Schultern. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich nun an dieser Straßenlaterne lehnte und mir fiel auf, dass ich nicht weit gekommen war; das Restaurant stand direkt gegenüber, ich hatte einzig die Straße überquert. Still und hämisch lächelte ich in mich hinein, nicht ohne ironischen Unterton fragte ich mich, wie zum Teufel ich es denn auf die andere Straßenseite geschafft habe. Die von einigen Straßenlaternen schwach erleuchtete Umgebung kam mir nun doch einigermaßen vertraut vor. Ich schlenderte durch die Straßen und hing sentimentalen Gedanken nach, ich ließ meinen Blick auf Schaufenstern von Antiquitätenläden ruhen und betrachtete die Schnörkel in der Architektur, die mir vorher nie aufgefallen waren.
Dead Can Dance gehören zu meinen absoluten Lieblingsbands, das hier ist nun mein Erstkontakt mit einem der Solowerke der beiden Hauptprotagonisten. Es entfaltet sich ein sehr entspannter, recht minimalistisch arrangierter, wabernder Soundteppich, über den sich Brendan Perrys charakteristische, warme Stimme erhebt. Schönes Stück, auch wenn mir hier im Vergleich zu Dead Can Dance (vermutlich ein ungerechtfertigter Vergleich, Mr. Perry will hier eine etwas andere Stimmung vermitteln) irgendwie etwas fehlt.
8. Alessandro Moreschi – Domine Salvum Fac
Der Nachthimmel hatte sich inzwischen aufgeklart. Ich saß auf dem Bordstein, hatte eine lieblich-melancholische Melodie unbekannten Ursprungs im Ohr klingeln und war unheimlich müde. Ohne den Gedanken zu Ende zu denken, wie ich jetzt möglichst schnell nach Hause komme, schloss ich meine Augen.
Mit dem Stück wusste ich zunächst nicht wirklich etwas anzufangen und auch nicht, was ich darüber groß schreiben sollte, außer dass es eine recht schöne Melodie hat. Mit dem Hintergrundwissen, dass es sich bei dieser von Klavier und Chorälen begleiteten, lieblichen, hohen Stimme um einen der letzten Kastraten handelte und dass diese Aufnahme nunmehr über 100 Jahre auf dem Buckel hat, strahlt dieses Stück auf mich durchaus einen gewisse Faszination aus.
9. Robert Rich & B. Lustmord – Undulating Terrain
Es war kein tiefer, erholsamer Schlaf, es war eigentlich überhaupt kein Schlaf, mehr ein in der Luft hängen zwischen Schlaf- und Wachzustand. Ich konnte nicht unterscheiden, ob die sich bedrohlich nähernden Geräusche real, paranoiagetränkte Wahnvorstellungen oder eine Nachwirkung der Drogen aus dem Nachtclub waren, wahrscheinlich alles und nichts davon. Erschrocken riss ich die Augen auf, nur um meine völlige Einsamkeit festzustellen, und kniff sie, so fest es nur geht, wieder zu. Zwecklos, meine Glieder fingen an zu schmerzen, ich war todmüde und würde in dieser Nacht vermutlich nicht mehr schlafen können.
Das musikalische Fundament bildet hier ein pulsloses, kaum variierendes, nicht wirklich lautes, aber unheimlich dichtes Rauschen. Das sich drüberlegende Dröhnen des, ähemm, Alphorns (?) klingt irgendwie tief und dumpf, aber gleichzeitig durchdringend. Es sind eigentlich scheinbar sehr einfache Mittel, mit denen Robert Rich und Dark Ambient-Legende Lustmord hier arbeiten. Minimalistische und doch cinemascopebreite, hochatmosphärische Musik, die alle grausamen Details der Fantasie überlässt.
10. Bohren & der Club of Gore – Midnight Walker
Nunmehr vollkommen resigniert stolperte ich in eine Jazzbar. Außer dem Barkeeper und ein paar zwielichtigen Gestalten, die man allerdings im gedimmten Licht leicht übersehen konnte, schien sich niemand in dieser Bar zu befinden. Es hatte wieder zu regnen angefangen, ich lauschte den Klängen eines einsamen Saxophons und meditierte eine Weile über meinem Kaffee.
Ha, nun sage und schreibe schon das zweite Stück vom Sampler, das ich bereits kannte :haha:. Nun, die Band wäre für einen solchen Sampler thematisch eigentlich die naheliegendste Wahl. Hier wird eine vom verhaltenen, mit Besen gespielten Schlagzeug spärlich ausgefüllte Stille inszeniert, die das Fundament für das melancholische, einsame Saxophon bildet. Für mich sehr stimmungsabhängige Musik, aber im Bereich des schummrigen, extrem verlangsamten Nacht-Jazz waren/sind Bohren & der Club of Gore gewiss Meister ihres Fachs.
„Seltsame Begegnungen Bei Nacht“
11. Coil – Things Happen
Nunmehr nicht mehr ganz so kaputt verließ ich das Lokal und wollte mir gerade Gedanken machen, was ich mit der Nacht noch anfangen wollte, als mich eine unangenehme Stimme nach einer Zigarette fragte. Ich erschrak und wollte gerade sagen, dass ich keine hätte, als die ganz schön besoffen und übern Dorn gezogen aussehende Dame schon ein neues Thema gefunden hatte. Offenbar hielt sie mich für eine Person aus ihrem Bekanntenkreis, sie legte den Arm um meine Schulter und erzählte zusammenhangsloses Zeugs, das sie wohl selbst nicht mehr verstand. Ich erhöhte die Geschwindigkeit meines Schrittes, Madame schien dies und meine gehässigen Bemerkungen nicht aufzufallen. Oh, und dann erinnerte sie sich wieder, womit das „Gespräch“ seinen Anfang nahm. Als ich meine Aggressionen kaum mehr unterdrücken konnte und in eine andere Straßenecke abbiegen wollte, verabschiedete Madam sich überraschenderweise und ging in die entgegengesetzte Richtung. Kopfkratzend schaute ich ihr eine Weile nach.
Ha, ob der Mountain_King diesen Song wohl unbeschadet überlebt hat…:haha: 😉
Störgeräusche werden kombiniert mit nervenaufreibenden, Horror-esquen Streicher-Sequenzen, und um den Hörer endgültig in den Wahnsinn zu treiben, kommt auch eine mit enervierender Stimme irgendwelchen wirren Mist labernde Dame hinzu. Mit zunehmender Spielzeit verstärkt sich das nervöse Schauen Richtung Uhr und das ungeduldige Kauen auf den Fingernägeln; doch so, wie ich Coil von ihrer Herangehensweise her einschätze, war dieser Effekt wohl durchaus beabsichtigt.
12. Brian Eno – Passing Over
Nun schlenderte ich seit Minuten oder Stunden durch diese seltsame Umgebung und sah in meiner wieder aufsteigenden Müdigkeit alles wie durch eine Milchglasscheibe. Sie war nicht völlig menschenleer, doch irgendwie völlig isolierend. Ich versuchte, mir einzureden, dass mir die Gegend bekannt vorkam.
Vom Gesamtsound her geben sich der Song und der Sänger sehr apathisch, teilnahms- und regungslos, alles ist gehüllt in neblig-trübes Grauweiß. Zur Mitte hin findet man so was wie einen Puls. Die nun in einem langsamen Takt stolpernden Drums, das gedämpfte Klavier, die futuristischen Effekte und die durch einen Vocoder seltsam verfremdete Stimme bilden eine merkwürdige, fremde, in sich geschlossene Welt.
13. Current 93 – She Took Us To The Places Where The Sun Sets
Als ich mich nun in der Umgebung eingefunden hatte, hörte ich direkt hinter mir ziemlich lautes Geschrei. Ich hielt es für das Beste, einfach weiterzugehen und dem keine Beachtung zu schenken, doch da ich das Gefühl hatte, das Geschrei richtet sich an mich, drehte ich mich doch um. Ein alter, dürrer Mann war es, der mich rief, und weil er mir auf eine krude Art und Weise Leid tat in seinem Wahnsinn, setzte ich mich leicht benommen lächelnd zu ihm auf die Treppe seines Hauses. Es sprudelten fast völlig zusammenhangslose Wahnvorstellungen und Schaum aus seinem Munde, andauernd bot er mir an bzw. drängte mich dazu, doch das Gesöff, das er als Cognac bezeichnet hat, zu probieren und als er sich so völlig in Rage redete, setzte ich meiner geduldigen Höflichkeit so langsam ein Ende. Der Alte griff nach meiner Hand, als ich unauffällig wegzugehen versuchte, mir kam fast der angebliche Cognac wieder hoch und ich stolperte.
Das voller Bitternis hämmernde Klavier bildet einen angemessen bedrohlichen Einstieg, beim heiseren, irre lauten Schrei von David Tibet schrecke ich jedoch auch nach mehrfachem Hören immer wieder hoch. Die Instrumentierung ist hier etwas rockiger und lärmiger ausgelegt, als ich es von beispielsweise „Thunder Perfect Mind“ kenne. Mit hohl nachklingenden Beckenschlägen, dem immer noch präsenten Klavier, im Hintergrund dröhnknarzenden Gitarren und dem völlig entfesseltem Gesang von David Tibet rollt der Song voran; nicht wirklich fließend elegant und ohne Komplikationen, eher schwerfällig und mit der Anwendung roher Gewalt.
Hach ja, das wäre ja mal eine prima Gelegenheit, nachzufragen, was Monsieur Moloch denn von der Neuen von Current 93 hält… 🙂
14. Fleurety – Last Minute Lies
Der Schlag mit meinem Kopf gegen vermutlich ein Wasserrohr hätte mich fast wieder ins Reich der Fieberträume befördert, doch nun war ich leider ziemlich wach. Ich tastete die Umgebung ab, suchte mit meinen Augen nach irgendeinem Anhaltspunkt, wo ich gerade war und vor allem wie ich hier wieder rauskommen könnte, doch das Einzige, was ich fand, war mit absoluter Blindheit gleichzusetzende Schwärze. Ich richtete mich vorsichtig wieder auf, ging ein paar Schritte und musste ob eines Schweißausbruchs wieder kurz innehalten. Überall um mich herum arbeiteten Maschinen, ich hörte hastige Schritte und Stimmen. Glaubte ich jedenfalls. Dann sah ich endlich das Glänzen eines nach draußen führenden Kellerfensters, doch es entfernte sich immer mehr, je mehr ich mich darauf zubewegte. Nun war das einfallende schwache Licht der Sterne nicht genug, um hier irgendwas erkennen zu können, aber ich sah klar und deutlich Vogelspinnen an mir hochkrabbeln. Die Umgebung nahm eine neongrüne Farbe an und ich war im Begriff, entweder wahnsinnig zu werden oder gegen irgendwas zu laufen. Ich hatte mich für die zweite Möglichkeit entschieden und als mich irgendwelche unverständlich auf mich einredenden Leute hinausbeförderten, glaubte ich fast, zumindest das wäre real und verwarf den Gedanken gleich wieder. In einer solchen Situation ist es vielleicht das Vernünftigste, der reinen Vernunft und dem rationalen Denken zu entsagen. Zwei hoch fünfundsiebzigtausend zu eins, fallend.
…und wie zum Teufel ich darauf nun komme? Tja, der Song könnte darüber Aufschluss geben. Die Band hat ein ziemlich krudes Verständnis von Groove, da kommen die Basslines aus den industrialisierten Vororten der Hölle, da klingt der Drumtakt in Verbindung mit einem beständigen, seltsamen Knarzen so, als würde man einen eckigen Baumstamm einen Hügel runterrollen, da kann ich den Gesang immer noch nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen. Es klingt, als wäre da permanent Sand im Getriebe, und sollte es mal ausgehen, wird rasch welches nachgeschüttet. Alles irgendwie sehr eigenartig und kaputt, aber, weiß der Geier wie, es funktioniert.
15. Tom Waits – Reeperbahn
Langsam trottete ich wieder aus der Gasse. Keine Ahnung, wie viel Zeit vom Rest meines Lebens ich nun schon wieder verpasst habe und wieso ich überhaupt noch lebe und einigermaßen wach bin, das waren Fragen, die ich mir eigentlich nicht stellen und beantworten wollte. Am Himmel sah ich das blasse Licht der bevorstehenden Morgendämmerung und – Halleluja – eine Bushaltestelle. Eine Bushaltestelle ist immer so was wie ein Pfeil Richtung Zivilisation, die Gewissheit, dass man doch nicht ganz irgendwo im Nirgendwo ist, über viele Umwege doch irgendwie auch ein Weg nach Hause, auch wenn die Bushaltestelle so mickrig und vergessen aussieht und auch wenn der Bus zu den Tiefseefischen nach Rock Bottom fährt. Ja, der öffentliche Nahverkehr ist eine tolle Sache, wenn man sich gerade verirrt hat. Ich mag den öffentlichen Nahverkehr. Dieser Stadtteil schien mindestens genauso müde wie ich, ein paar für ihren Beruf viel zu junge oder zu alte Bordsteinschwalben warteten an einer Straßenecke vergeblich auf Kundschaft, ein Obdachloser schlief einige Meter daneben und es verzogen sich irgendwelche zwielichtigen Gestalten aus der Nacht zurück in ihre Häuser. Ich schaute auf den Fahrplan und fragte einen ebenfalls durch die Nacht schleichenden Passanten nach der Urzeit. Der Bus würde in einer halben Stunde wohl kommen, ich lehnte mich gegen den Haltestellen-Pfahl und meine schweren Lider fielen zu.
Hm, in Sachen Tom Waits müsste ich ja so langsam mal was gegen meine frappanten Wissenslücken unternehmen…
Das Stück hat durchaus einen eigenen Sound und Charakter, sodass ich es mir nicht auf einem der mir bekannten Waits-Alben vorstellen könnte, und klingt doch irgendwie „typisch“: da ist die wohl bekannte Melancholie, da ist der knorrige und alte Klang der Instrumente und Meister Waits erzählt mit seiner typisch verkaterten, Whiskey-geschädigten Stimme gleichermaßen sentimentale wie zynische Geschichten von Pechvögeln und Sonderlingen. Well, what can I say…schönes Stück!
Le Fazit: 8,5-9/10. Bloc Party, maudlin of the Well und Robert Rich & B. Lustmord haben gewonnen.
Prima Musik und überwiegend schöne Dramaturgie; den Übergang von Track 5-8 fand ich toll. „Domine Salvum Fac“ ist zwar ein schönes Stück, das allerdings nicht ganz in den Samplerverlauf reingepasst hat und mit den letzten 5 Titeln hatte ich, nun ja, Schwierigkeiten. ^^
Sind aber insgesamt nur ganz kleine Wermutstropfen, deswegen: Thumbs up!
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]