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Leo-suomiDas Problem ist halt einfach, dass von denen wohl keiner annähernd so viel Ahnung von Wirtschaft hat wie Lucke. Da kann eine Diskussion auf Augenhöhe doch gar nicht zustande kommen.
Gut, wer möchte schon eine Diskussion über Wirtschaftspolitik nur mit Wissenschaftlern, die meisten schalten dann (geistig oder gleich physisch) ab. Mit den meisten Politikern würde die Diskussion fachlich wohl sehr einseitig verlaufen – selbst mit Steinbrück, der VWL studiert hat. Man müsste Lucke also schon ein entsprechendes Pendant entgegensetzen, wie Hickel oder Flassbeck. Aber da würden wohl nur die wenigsten zuschauen wollen.
Der Euro hat nun mal ein paar Konstruktionsfehler; der gewichtigste: eine gemeinsame Währung, ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, aber keine koordinierte Lohn-/Wirtschafts-/Finanzpolitik. Und so hat es sich halt ergeben, dass manche Länder (z.B. Griechenland) überzogen haben, manche (z.B. Frankreich) haben sich an vereinbarte Ziele gehalten, manche (z.B. Deutschland) haben (wie man so schön sagt) unter ihren Verhältnissen gelebt, d.h. anhand seiner Wirtschaftskraft und Produktivität sind die Löhne zu wenig stark gestiegen. Folge: eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit (gegenüber den anderen).
Dadurch sind die meisten anderen Länder im Euro-Raum in Bedrängnis geraten und sollen nun ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Nun, wie geht das? Sparen und Lohnzurückhaltung, wird da immer gerne genannt, d.h. der Staat kürzt seine Ausgaben, entlässt Angestellte und die Arbeitnehmer verzichten auf Teile ihres Lohns. Wohin das volkswirtschaftlich führt, sieht man ja an Griechenland, Spanien usw.: direkt in die Rezession, da der Volkswirtschaft massiv Gelder entzogen werden. Dieser Anpassungsprozess dauert aber sehr lange (ggf. mehr als eine Dekade), weil das Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit ja schon seit Längerem läuft. Dasjenige Land verharrt erstmal lange in (je nachdem) Rezession/Depression/Stagnation, bis es sich irgendwann (hoffentlich) wieder aufrappelt.
Wettbewerbsfähigkeit (=WF) ist aber relativ: wenn ein Land an WF gewinnt, verliert ein anderes. Wenn Griechenland, Spanien usw. an WF gewinnen, verliert z.B. Deutschland an WF gegenüber diesen Ländern. Im dümmsten Falle heißt das für D, zusammen mit der wirtschaftlich schlechten Lage in den Südländern: der Export bricht ein bzw. geht merklich zurück. Und was bedeutet das für ein Land, das sich rel. stark auf seinen Export verlässt? Genau, Stagnation oder Rezession. Und dann geht das Spiel von vorne los: da D an WF verloren hat, muss es diese zurückgewinnen. Da Abwertung nicht möglich ist, bleibt nur das Senken von Staatsausgaben und Löhnen – was die Rezession aber nicht verbessert. Dann verlieren aber wieder die Südländer an WF, wodurch diese… und wir begeben uns in eine Spirale nach unten. So gehts also nicht.
Da obiger Weg fatal und eine Abwertung in den Südländern nicht möglich ist, bleibt ja eigentlich nur ein Euro-Austritt der betroffenen Länder. Wenn diese aber austreten, wertet deren neue Währung massiv ab bzw. der Rest-Euro entsprechend auf. Womit unsere Exporte in diese Länder verteuert werden, d.h. unsere Exportwirtschaft wird massiv darunter leiden. Langfristig mag sich das einpendeln, aber kurz- und mittelfristig wird das eine Rezession auslösen, gegen die die Wirtschaftskrise von 2008-2010 ein Klacks war. Lucke und seine Mitstreiter scheinen (wenigstens) das begriffen zu haben. Langfristig sollen diese Länder schon raus aus dem Euro bzw. dieser aufgelöst werden, aber man versucht, den Übergang dorthin so wenig schmerzhaft wie möglich zu gestalten. Stichworte: geordnete Auflösung des Euros, Parallelwährungen, die dann abgewertet werden können. Nur: wie soll das funktionieren? Wenn ich damit rechnen müsste, dass in meinem Land irgendwann eine Parallelwährung eingeführt wird, die dann massiv abwertet, würde ich mein Geld abziehen und in der Währung anlegen, die massiv aufwertet. Neigt sich der Abwertungsvorgang dem Ende zu, hole ich mein Geld zurück und habe z.B. bei einer 50%igen Abwertung doppelt so viel Geld, als wenn ich mein Geld in der Parallelwährung angelegt hätte. Wirtschaftlich landet man dann ebenfalls in einer Rezession, da der Volkswirtschaft (zeitweise) massiv Geld entzogen wird. Und es bräuchte strikte Kapitalverkehrskontrollen, die durchzusetzen ich mir ziemlich schwer vorstelle. Und da hakt es eben.
Es gibt natürlich auch noch andere Möglichkeiten, wie man die WF der betroffenen Länder verbessern könnte, aber die erwähnt die AfD natürlich nicht. Nicht weil sie die nicht kennen würden, sondern weil sie nicht in deren Wirtschaftsideologie passen. Da WF relativ ist, kann die weniger wettbewerbsfähige Volkswirtschaft ihre Löhne senken – die Alternative ist, dass diejenigen Länder mit einer hohen WF und Exportüberschüssen ihre WF verringern müssen. Und wie geht das? Überproportionale Lohnsteigerungen und Investitionen desjenigen Staates. Aber da das für die Dogmatiker der angebotsorientierten Schule (und die dominiert nun mal die Öffentlichkeit) Teufelszeug ist und absichtlich ausgeblendet wird, wird das grade in Deutschland nicht passieren. Die Eurokrise wird weiter vor sich hinschwelen, sich ggf. verschlimmern, Mutti wird nur das Allernötigste tun, damit der Euro nicht auseinanderfällt.
Uff, das war jetzt mehr als gedacht, und hoffentlich nicht zu wirr. 😐
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Auge um Auge lässt die Welt erblinden There's class warfare, all right, but it's my class, the rich class, that's making war, and we're winning.