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Nachdem sich nun die letzten Kölschnebel des Karnevals verzogen haben und ich wieder klarer denken kann, mal mein Senf zum Thema:
1. Die EU hat als politische Macht wieder einmal versagt: Statt die Ukraine mit einer abgestimmten Strategie politisch, gesellschaftlich und militärisch langfristig an das europäische Bündnis heranzuführen, hat man sich einseitig auf die rein wirtschaftliche Komponente versteift, die Ukraine vor allem als weiteren Absatzmarkt betrachtet und die besonderen politischen, etnischen und gesellschaftlichen Konfliktlinien in dem Land ignoriert. Das führte dann dazu, dass hierzulande plötzlich Leute wie Klitschko als ernstzunehmende Politiker gelten und ultranationalistische Parteien als regierungsfähig wahrgenommen werden. Von der totalen Ignoranz gegenüber den russischen Interessen und Befindlichkeiten in der ganzen Angelegenheit ganz zu schweigen. Im Grunde ist dieses Versagen symptomatisch für die ganze EU: Es fehlt an einer einheitlichen politischen Linie, einer gemeinsamen Strategie, einem verbindlichen Wertekanon – es reicht eben nicht, die Krümmung von Bananen oder das Vorhandensein von Olivenöl-Kännchen in Restaurants einheitlich zu regeln, um ein gemeinsames Europa zu schaffen.
2. Russland steht mit dem Rücken zur Wand und ist schon jetzt der große Verlierer dieser Krise. Seit dem Zerfall der russisch dominierten und geprägten Sowjetunion hat das Land nicht nur in Europa, aber vor allem da, militärisch, wirtschaftlich und politisch massiv an Einfluss und Bedeutung verloren und steht heute im Grunde schlechter da, als zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Im Osten steht ein immer stärker werdendes China, an den südlichen Grenzen nagt der radikale Islam und im Westen wenden sich immer mehr ehemalige Satelliten-Staaten der NATO zu, praktizieren zunehmend libertäre und demokratische Gesellschaftsmodelle und denken gar nicht daran, vor Russland zu kuschen. Ein „Abgleiten“ der Ukraine nach Westen mit der Krim, dem Donezk-Becken und der Hauptstadt Kiew, wo mit der Kiewer Rus praktisch die Wiege der russischen Kultur stand, wäre für die ohnehin schon gedemütigte russische Gesellschaft eine Katastrophe. Die massive Reaktion der Russen ist daher nicht nur verständlich, sie ist auch Symptom einer tief sitzenden Verunsicherung und Angst vor weiterem Bedeutungsverlust. Genau der wird sich aber fortsetzen, da sich Russland mit seiner aggressiven Vorgehensweise international endgültig zum Pariah gemacht hat und „unbotmäßige“ Nachbarländer nun noch eher geneigt sein werden, sich anderen Bündnissystemen anzunähern. Hinzu kommen noch die Folgen scharfer Sanktionen für die ohnehin schon nur auf den Export von Rohstoffen gestützte russische Wirtschaft.
3. Die USA brauchen Europa nicht mehr. Allem diplomatischen Getöse, dass derzeit aus Washington zu vernehmen ist, zum Trotz ist doch jetzt eines schon klar: Im Zweifel machen die Amerikaner für die Regelung europäischer Probleme keinen Finger mehr krumm. Sofern die Russen nicht plötzlich anfangen aufBerlin zu marschieren, wird es seitens der USA bei diplomatischen Drohgebärden bleiben. Bereits im Fall Lybien war das militärische Engagement der USA stark reduziert, im Fall Syrien sogar unzureichend. Und das ist ein echtes Problem, wenn es doch nötig sein sollte, russischen Irrationalitäten mit einer robusten, militärischen Option zu begegnen. Europa ist hierzu allein nicht imstande. Letztendlich ist das eine absehbare Entwicklung: Der Fokus der USA richtet sich immer mehr auf den pazifischen Raum, der große Gegenspieler ist nun China, nicht mehr Russland.
4. Die Ukraine hat als Staat keine Zukunft. Ein Zerfall des Staates ist mMn unvermeidbar und angesichts der Umstände vielleicht sogar das kleinste aller möglichen Übel. Ich denke, die Krim und die Ost-Ukraine werden als von Russland abhängige Teilrepubliken weiterbestehen, während für die West-Ukraine vielleicht sogar ein Anschluss an Polen, bzw. Rumänien sinnvoll sein könnte. Im Augenblick habe ich jedenfalls nur wenig Hoffnung, dass den Ukrainern so etwas wie ein nationaler Einigungsprozeß gelingt.
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