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NovocaineKurze Frage: Was meinst du mit Leuten wie mir? Klingt so, als wäre da eine konkretere Bezeichnung unterbunden worden.
Zum Thema: Natürlich ist Abgrenzung bei jeder Form kollektiver Identitäten gegeben. Woher glaubst du zu wissen, dass mir das nicht bewusst nicht? Soweit ich mich erinnere, habe dazu auch über Gewalt unter Fussballfans etwas geschrieben. Dass ich von Solidarisierung durch Nationalismus nichts schreibe, liegt einfach daran, dass diese Solidarisierung schon abgeschlossen ist. Ja, die heutige Gesellschaft ist durch ein Zusammenspiel von Nationalisierungs- und Industrialisierungsprozessen entstanden. Aber die starken Abgrenzungseffekte sind halt nach wie vor aktiv und nach den Konflikten des vergangenen Jahrhunderts, in welchen eben diese Abgrenzungen Gewaltakte legitimieren konnten, ist es meiner Auffassung nach berechtigt, diese infrage zu stellen.
Natürlich darf man “Abgrenzungseffekte“ infrage stellen – wenn man nichts besseres zu tun hat. Und ich finde es schon ein wenig merkwürdig, dass du meine Argumente vollständig ignorierst. Ich habe die von dir kritisierten Abgrenzungsprozesse in Verbindung gebracht mit den kulturellen Leistungen des Nationalismus (erneut: Sozialkapital; lest Collier und Putnam!), die in deiner Argumentation überhaupt nicht vorkommen. Diese im heutigen linken und liberalen Denken verbreitete Einäugigkeit ist grotesk und führt zwangsläufig zu verkehrten Schlüssen. (Damit dürfte auch deine Eingangsfrage beantwortet sein.)
Es muss kein Europa gegen die „Völker“ sein, aber solange sich Bewohner der Mitgliedsstaaten als Konkurrenten oder Feinde wahrnehmen, und das tun sie nun mal aufgrund ihrer nationalistischen Entstehungsgeschichte, wird bei jeder Krise das Kartenhaus Europa kräftig wackeln. Nur falls es nicht ganz klar ist, natürlich gibt es auch zahllose Positionen innerhalb der Bevölkerungen, aber der Großteil sieht sich nun mal als Deutscher, Franzose, Spanier, Pole etc., wenn es um eine Europawahl geht.
Ich hätte ja am liebsten eine der nichtdeutschen Parteien gewählt, aber das nur am Rande.
Natürlich nehmen sich die europäischen Völker aktuell als Konkurrenten war – weil sie das auch sind. Innerhalb der supranationalen Instution “EU“ konkurrieren sie um politische Gestaltungsmacht und insbesondere finanzielle Ressourcen. Von der Politik der Europäischen Union sind die Franzosen, Spanier und Polen daher in der Tat überwiegend gerade als Franzosen, Spanier und Polen betroffen. Die Interessengegensätze sind real und nicht einfach in irgendeiner intellektuell überhöhten EU-Bürgerschaft aufgehoben oder aufzuheben. Wenn der Einzelmensch dies begreift, dass also sein Geschick mit dem seines Volkes verwoben ist, dann ist das in meinen Augen Klugheit und nichts anderes.
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