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@eddie1975: Wäre nett, wenn du die Reviews im Anfangsposting verlinken würdest.
Damenriege Pt. I: Soap&Skin – Lovetune for Vacuum
Der Opener „Sleep“ vollbringt gleich mit den ersten Tönen etwas, was andere Bands/Künstler bei ihren Alben eigentlich möglichst zu vermeiden versuchen; der Hörer fühlt sich sogleich wenig willkommen und fehl am Platz, als hätte er etwas Wesentliches bereits verpasst. I lay on the floor, they asked me what I do tonight, it answers: „Search for the moon“.
Leicht macht sie es einem zu Beginn ja eigentlich nicht, diese Anja Plaschg. Auch beim seltsam positiv gestimmten Akkordeon-Schlaflied „Cry Wolf“ erlangt der Hörer noch kein Gefühl der Sicherheit und Orientierung. Und auch nicht, als „Thanatos“ plötzlich so zielgerichtet und unvermittelt in eine schwarze Leere fällt. Das Stück strahlt eine durchgehende sakrale Dramatik aus, das Donnergrollen des Klaviers hämmert ins Bodenlose, Plaschg erhebt sich immer wieder zum eindringlichen Klagegesang. Nun findet man sich schon halbwegs im Album zurecht, die Pupille hat sich den Lichtverhältnissen entsprechend geweitet. Soap&Skin versteht es nur allzu gut, jede Fußnote und jedes Nebengeräusch nach Schmerz, ihre Klavierläufe regelrecht erlitten klingen zu lassen. Die junge Österreicherin hat dabei noch ein weiteres Ass im Ärmel: die elektronischen Einflüsse sind nach der ersten EP mit einem Remix von Fennesz geblieben. Sie klingen dabei selten wirklich angenehm und harmonisch, sondern oftmals bewusst störend; beim Opener „Sleep“, vor allem aber beim Instrumental „Turbine Womb“ schafft ihr industrialisierter, ratternder Klang im Klanggebilde einen Kontrast, der die vermittelte Anmut kreissägenartig aufschneidet. Der das ängstlich, unentschlossen stolpernde „Fall Foliage“ gleichsam zerstört und ihm ein stabiles Fundament bietet. Der neben der eigenartigen, rein elektronisch gehaltenen Klangcollage „DDMMYYYY“ in der Beziehung wohl wirkungsvollste Song ist das äußerst treffend betitelte „Marche Funebre“. Das Klangbild aus kalten, abgehackt wirkenden elektronischen Streichersequenzen und sakralem, entferntem Gesang lässt in der Form fast an eine Grabesversion von Portishead denken, immer wieder vernimmt man im inszenierten Industriekomplex zwischen Maschinenrattern auch leidvolle Schreie, die sofort von Stille verschluckt werden.
In diesem Aquarellbild, vornehmlich bestehend aus ineinander verlaufenden Blau-, Schwarz- und Grautönen, wirkt „Spiracle“ wie ein dunkler Tintenfleck. Eher rhythmisch ausgerichtetes Spiel, eine sehr simple, aufgeräumte Nummer, und doch; dieser Schrei, dieses leise, gebrochene „Please help me…“ als sowas-wie-Refrain – Atemstocken, unweigerlich.
Soap&Skin beweist, dass sie es vorzüglich draufhat, dem Hörer mitleidslos ein Nadelkissen ins Herz zu rammen. Doch sie kann auch anders; ganz sanft, tröstend, einlullend. Zumindest der Anfang von „Turbine Womb“, „Extinguish Me“, vor allem aber auch „Mr. Gaunt Pt 1000“ vermitteln diese Atmosphäre und können einen ganz wunderbar auffangen, wenn man gerade kurz davor war, den Kopf gegen die Wand zu schlagen. Perfekte, malerisch schöne Klavierläufe und eine fragile Stimme, die in dieser musikalischen Kulisse ganz wundervoll zur Geltung kommt, ein Gefühl, als falle man in den kalten, weichen frischgefallenen Schnee.
Wenn man an ähnlich gelagerter Musik (also wohl Singer-Songwriter) auch nur ansatzweise Interesse zeigt, nein, es reichte eigentlich schon ein flüchtiger Blick Richtung SpOn oder einer beliebigen allgemeinen Musikwebsite oder entsprechenden Zeitschrift, so gab es an Soap&Skins Debütalbum 2009 kein Vorbeikommen. Als neue Sensation wurde sie allerorts gefeiert, so oft als „Wunderkind“ (ob ihres Alters; zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war sie gerade mal 18) betitelt, dass wohl niemand mehr mitzählen könnte. Irgendwo zwischen Nicos „The Marble Index“ und PJ Harveys „White Chalk“ sind ihre überwiegend klavierbasierten Kompositionen angelegt. Meist um die drei Minuten lang, manchmal sogar kürzer, nicht selten hat man den Eindruck, Plaschg hätte den Stücken die Luftzufuhr abgewürgt, bevor sie ein letztes Mal nach Luft schnappen konnten. Trauermärsche und Totenlieder, ernste, tiefdunkle Musik, die man, wäre mit dem Begriff nicht ein gewisser musikhistorischer Kontext und viel aktuellerer Mist verbunden, wohl als „Gothic“ bezeichnen würde. Dieser eigentlich schon leicht groteske Hype um ihre Person und auch der überdeutlich zur Schau gestellte künstlerische Anspruch verführen geradezu dazu, „Lovetune for Vacuum“ wie einen riesigen Luftballon mit einem gezielten Nadelstich einfach platzen zu lassen, eine angebliche Substanzlosigkeit und Überambition hinter der artsy-fartsy-Fassade zu entlarven. Und doch; Plaschg greift die Hand mit der Nadel und lässt eine Tiefe, bzw. eher noch einen regelrechten Abgrund erblicken, in den man als Hören nicht schauen und von dem man sich nicht in die Seele blicken lassen will – zumindest nicht in jeder Lebenslage. Hat „Lovetune for Vacuum“ einen aber in der richtigen Lebenslage erwischt, hatte man ein bestimmtes Schlüsselerlebnis, so gibt es eigentlich kein Halten mehr für die Nadelkissen und den Pulverschnee. Und schließlich erwischt man sich dabei, in den Hype-Kanon einzustimmen und überschwängliche Reviews zu verfassen…hach ja.
http://www.youtube.com/watch?v=GmJqdISO9Bk
http://www.youtube.com/watch?v=7AdrGXyy54s
http://www.youtube.com/watch?v=Rd7arhHEUl8
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]