Re: Eddies Plattenkiste: Millenium

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palez

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SlothropPost-Millenium-Werke? Bist du ne Klärwojant, oder wat?:haha:

Bloß nicht so ganz bei der Sache, ist noch so früh am Morgen…

Hauptaussage war ja eh, dass „Watershed“ besser als „Blackwater Park“ ist, was kümmert da der dämliche Wortwahlfehler. :haha:

Youtube-Links können bei mir böse enden. Ich lasse das Forum ausnahmsweise (weitgehend) heil und betreibe Attention-Whoring:

The Angelic Process – Weighing Souls With Sand

Bei keinem anderen Album aus meiner Top 46 fiel es mir so schwer, was zu Papier (bzw. ins Word-Dokument) zu bringen, obgleich mir die Worte doch so zahlreich im Kopf rumschwirren. Einigermaßen sachliche musikalische Bewertungskriterien sind hier völlig unangebracht und werden dem Album genauso wenig gerecht, wie es ihnen gerecht wird; bei keinem anderen Album wird es dem unbedarften Leser vermutlich so schwer fallen, meine Begeisterung nachvollziehen zu können, da die Gründe so persönlich und vollends subjektiv sind (in ähnlichem Maße höchstens noch bei meiner Nr. 1), wie bei „Weighing Souls With Sand“, The Angelic Process‘ emotionaler Torture de Force von 2007.

Die Atemzüge werden allmählich ruhiger, langsam versucht sie, ihre fest zugekniffenen Augen wieder zu öffnen. Der Wind streicht ihr sanft durch die Haare und übers Gesicht; es ist eines der seltenen Male, dass sie das genießen kann. Die Welt spielt sich zunächst noch ab hinter einem schummrigen, warmen roten Schleier.

Aber dann: Übermächtige Kriegstrommeln setzen ein, von allen Seiten wird der Hall eines Klangs zurückgeworfen, der die Grenzen der menschlichen Fantasie übersteigt, ein rauschendes, doch strukturiertes Inferno. Die Augen werden weit aufgerissen, eine Schrecksekunde, als ob sich unter einem plötzlich eine Falltür öffnet. „Weighing Souls With Sand“ setzt mit seinem Konzept ungefähr da, vielleicht etwas später an, wo „Coma Waering“ vor vier Jahren noch aufgehört hat. Im thematischen Zentrum steht die Einsamkeit und Trauer der hinterbliebenen Witwe, ihr Leben, nachdem sie mit dem Tod ihres Ehemannes ihren einzigen Halt verloren hat, ihre Reaktion und Verarbeitung, hier in Form einer stetig in den Abgrund führenden Spirale. „Weighing Souls With Sand“ ist ein Album mit zahlreichen Lichtblicken, aber ohne wirkliche Hoffnung. Das Album lässt Verzweiflung beinahe schon körperlich spürbar werden, es erzählt eine unglaublich erschütternde und tragische Geschichte vom psychischen Zerfall; und das ziemlich wortkarg. Die Stücke sind teilweise onomatopoetisch gesungen, die Texte, falls es welche gibt, zu 99% unverständlich. The Angelic Process wählten die viel direktere Sprache der Töne und parallel dazu im Kopf entstehenden Bilder.

Die Gesichter der Unbekannten verbinden sich zu undefinierten flackernden Lichtern, ihre bloße Anwesenheit verursacht Atemnot und wirkt beengend. Die umgebende Welt, sie sieht sie in Schallgeschwindigkeit an sich vorbeiziehen, während ihr Bewusstsein im Stillstand verharrt. Ihr Körper funktioniert, aber fremd und kaum noch spürbar wirkt, der Boden unter ihren Füßen seine harte, verlässliche Stabilität verliert. Ihr Leben rinnt ihr durch die Finger. Sie wurde zurückgelassen; mit den Füßen im Herbstlaub scharrend, den Blick in die Leere gerichtet, still darauf wartend, dort etwas zu sehen, das ihr Orientierung geben könnte. „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“

Die Musik von The Angelic Process klingt immer noch so (oder so ähnlich), wie sie vermutlich zahlreiche Bands bereits vor Augen hatten, oder es sich zumindest wünschten, letztendlich aber nie in dieser Form realisieren konnten. Die mit Cellobögen gespielten, übereinander geschichteten Gitarren klingen immer noch schwärzer als das tiefste Schwarz, die elysischen, sehnsuchtsvollen Melodien und die extrem verfremdete Stimme thronen immer noch über den Bergen aus Vulkan-Schwefelwolken, der Sound ist immer noch beinahe komplett undurchsichtig, aber beeindruckend massiv. Die einzelnen Elemente bauen auf einander und dem eigenen Hall auf, werden viel größer als die Summe ihrer Teile und brechen zusammen unter ihrer eigenen Last. Shoegaze 2.0. Drone Doom mal GANZ anders; „Weighing Souls With Sand“ nimmt all jenen den Wind aus den Segeln, die hinter dem kargen, finsteren Minimalismus von Bands wie Sunn O))) und frühen Earth keine durchdachte Komposition/Idee erkennen (möchten) und ihr Urteil dann auf das ganze Genre beziehen. The Angelic Process arbeiten mit gar nicht mal so ausdrücklich im Doom Metal verwurzeltem Drumming, zeitlich relativ kompakten Stücken, meist übergeordneten Melodien und vor allem sehr viel Dynamik.

In Sachen Songwriting hat man im Vergleich zum Vorgänger „Coma Waering“ einen neuen Level erreicht; waren die Stücke einst noch in relativ schlichten Strukturen verwurzelt, machte sich nach gewisser Zeit noch bei einigen Songs eine gewisse Berechenbarkeit bemerkbar, so sind die Kompositionen von „Weighing Souls With Sand“ wesentlich komplexer angelegt. Es steckt viel Detailarbeit hinter einem zunächst noch so groß und plump scheinenden musikalischen Monolithen, hinter Musik, deren höchste Ambition es scheinbar ist, den Hörer in ihrer unüberblickbar gewaltigen Ästhetik einfach zu plätten, ohne Fragen, Interpretationsansätze oder Widerworte zuzulassen, hinter Musik, die sich mit den hübschen beiden Wörtchen „Lärm“ und „Melodie“ doch offenbar so einfach erfassen lässt. Tatsächlich bezieht WSWS seinen Reiz vor allem aus dem, was hinter dem Offensichtlichen verborgen liegt; einer Filigranarbeit, Feingliedrigkeit und Subtilität sondergleichen, einer, die man diesem Monstrum nach den ersten Durchläufen gar nicht zugetraut hätte, die eine unheimliche Fragilität vermittelt und die „Weighing Souls With Sand“ die Chance gibt, sich stetig (bei mir nun unaufhaltsam seit über zwei Jahren) zu entwickeln und immer wieder neue Details und Nebenbedeutungen offenbart. Gerade „Dying In A-Minor“, der zitternde, schwache, gebrochene Ruhepol des Albums, aber auch „Burning In The Undertow of God“, ein brillantes Wechselbad der Gefühle, bestätigen, wie viel emotionale Ausdruckskraft hinter der Soundwand steckt.

In ihrem Zusammenwirken klingen der noisige Unterbau zwar wahnsinnig brutal, aber nie stumpf und die Melodiebögen episch und absolut ergreifend, aber nie auch nur annähernd kitschig. The Angelic Process spielen mit den Empfindungen des Hörers; die Musik stützt sich nicht auf eine klare Rollenverteilung, die wie vereinzelte, grelle Sonnenstrahlen durch das Dickicht aus Schwefel scheinenden Melodien und betörend harmonischen Momente sind eher noch zusätzlich folternd denn erlösend in ihrer Unerreichbarkeit. Ihre gewaltige Faszinationskraft bezieht die Band nicht aus dem Kontrast der beiden Elemente, sondern aus ihrer Verschmelzung.

Warmes Blut strömt ihre Wangen, Arme, Hände hinab, warmes Blut und Tränen. Immer mehr breiten sich das Fieber und die pochenden Kopfschmerzen aus, vernebeln die Sinne, schneiden die Gedankenströme ab, lassen im Wust von Abertausenden von flimmernden Wortfetzen nur noch eine vehemente, einsilbige Verneinung zu. Ein undurchsichtiges Zusammenspiel aus Glutrot und Schwarz, sie zittert, atmet schwer, beschleunigt ihren Schritt, rennt. Sie schlägt mit ihren Fäusten gegen die Wände ihres Bewusstseins, kratzt, zerbricht. Langsam, doch gnadenlos und unaufhaltsam kommen die Wände näher.

In den zwei Jahren, in denen ich die Band nun kenne, hat sich „Weighing Souls With Sand“ entwickelt, wie es eigentlich kein anderes Album vermochte; begonnen als eine angenehm besondere und originelle Randerscheinung im Wust neuer und älterer Veröffentlichungen, denen ich mich noch widmen wollte, übte das Album einen eigenartigen Reiz auf mich aus. Mit jedem Hören wurde ich mehr und mehr eingesogen, mit jedem Hören wuchs die Faszination, nach jedem Hören folgte der Trugschluss, ich hätte das Album nun verinnerlicht, jeden einzelnen Winkel kennengelernt. Mit der Zeit hat sich WSWS zu dem Album entwickelt, welches ich ohne schlechtes Gewissen und ohne jedes Zögern als das wohl beste des Jahrzehnts bezeichnen würde. Selten klang Musik derart erbarmungslos, gleichsam resignativ und aufbegehrend, in ihrer emotionalen Ausdruckskraft derart niederschmetternd und unmittelbar, selten hat mich ein Album dermaßen berührt und erschüttert, selten wurde ein solch überirdisch hoher Intensitätslevel so eindrucksvoll über die Spielzeit von ungefähr einer Stunde gehalten. Ich hätte dem ambitionierten Duo dabei sogar noch mehr zugetraut; letztes Jahr fand die Geschichte von The Angelic Process ein jähes, tragisches, angesichts des Albumkonzepts irgendwie morbides Ende. Nachdem seine gebrochene Hand nach einem Unfall nicht vollständig heilen konnte, weswegen er als Musiker wohl für immer stark eingeschränkt gewesen wäre, nahm sich der an Depressionen leidende Kris Angylus im April 2008 das Leben.

…nach dem hellen Aufleuchten und Brennen liegt noch Rauch in der Luft, der Wind trägt die Asche hinfort…

http://www.myspace.com/theangelicprocess

Weakling – Dead As Dreams

Der Name „Weakling“ wird in BM-Kreisen mit einer gewissen Ehrfurcht ausgesprochen. „Dead As Dreams“ gilt als Kult, als nachwievor heißer Insidertipp, kann gemessen an seinem Status jedoch nicht an populäre Vorzeigeklassiker der Marke „Dark Medieval Times“, „Bergtatt“ und „A Blaze In The Northern Sky“ heranreichen. Dennoch; „Dead As Dreams“ besitzt diese ganz spezielle Aura, schon beim Einsetzen der Gitarren von „Cut Their Grain And Place Fire Therein“ hat man das Gefühl, an etwas Großem, Bedeutendem teilzuhaben. Tonspur legt sich über Tonspur, die Wespenschwarm-Gitarren bilden zusammen mit dezent eingesetzten Keyboards und auf Blastbeat-Fundament eine undurchdringliche Wall of Sound, der Vokalist setzt sich angenehm vom Genre-Standard ab, sein hysterisches, dabei eher in den Hintergrund gemischtes Kreischen ist wohl eher Vikernes-Schule. So ein wenig klingen die ersten sechs Minuten vom über zehnmitütigen Opener (und damit kürzesten Song des Albums!) nach Emperors „In The Nightside Eclipse“, nur mit weniger Bodenhaftung. So typisch das Soundbild zunächst auch anmutet, so sehr offenbaren sich im weiteren Verlauf des Stückes immer mehr Details. Der Sound ist zwar genretypisch lärmig und lo-fi, bietet aber dennoch einen halbwegs angemessenen Rahmen für das musikalische Spektakel. Die Musiker spielen mit einer erstaunlichen technischen Präzision, vor allem aber mit einer aggressiven Vehemenz, die ihresgleichen sucht. Die Band spielt sich immer mehr in einen instrumentalen Rausch, bis der Song unvermittelt kippt. Ein schweres, majestätisch schreitendes Doom-Riff setzt ein, das Stück baut sich zu einer Größe auf, die sich kaum noch überblicken lässt und gipfelt schließlich in einem von aufheulendem Feedback durchsetzten Solo.

„Cut Their Grain And Place Fire Therein“ ist ein absolut beeindruckendes Monument gleich zu Anfang und ein gekonnt platzierter Türöffner zu „Dead As Dreams“, somit aber auch nicht nur der kürzeste, sondern auch der am simpelsten aufgebaute Song des Albums. Der knapp über 20 Minuten lange Titeltrack zeigt in der Hinsicht schon anderes Niveau. Das Stück beginnt mit einem immer lauter und durchdringender werdenden Feedback-Rauschen, das einen fast zu erdrücken droht, bis es von einer tieftraurigen Melodie der Gitarren und Keyboards unvermittelt abgelöst wird. Die Drums setzen ein, „Dead As Dreams“ wird zum schleppenden, gebrochenen Trauermarsch dem Ende entgegen. Ab ca. vier Minuten wird die Melancholie-erfüllte Epik abgelöst von urplötzlich einbrechenden Drums, schrillem Feedback und manisch-vehementem Riffing, das den Song stetig spiralförmig in den Abgrund treibt. Immer neue hypnotische Melodiebögen werden aus dem Grundmotiv gesponnen, nebeneinander schlängeln sie sich um das unbeirrt treibende Drumming. Ab ca. 8 Minuten schließlich nimmt das Drumming eine etwas andere Richtung weg vom gradlinigen Sturzflug, die Melodieführung bekommt nun eine cineastisch-epische Note. Immer mehr schwingt sich das Stück hinauf, steuert auf ein Grande Finale zu, welches dann kommt, die mühsam aufgebaute Stimmung wieder hinab in die Finsternis reißt. Nach einem kurzen Break bahnt sich das Drumming erneut einen Weg in die Szenerie, mündet vom Spannungsaufbau in einen Blastbeat. Zunächst noch begleitet von einem markerschütterndem Schrei, Gitarren und Keyboards, lösen sich diese immer mehr vom Gerüst, treten in den Hintergrund, um diesem unnachgiebigem Spiel, dieser zielgerichteten, bohrenden, schier wahnsinnigen Energie Platz einzuräumen, bis sich auch dieses im Rauschen auflöst.

„Dead As Dreams“ ist ein Monstrum von einem Song, das einen verschluckt, zermalmt, die Gehörknochen neu ordnet und schließlich ausgelaugt, niedergerungen, doch seltsam euphorisiert wieder ausspuckt. Die weitgreifend epische Melodie am Anfang von „This Entire Fucking Battlefield“ mutet in dem Kontext, trotz bekannter Weakling-Trademarks, fast schon wie eine Verschnaufpause an, bis nach kaum drei Minuten plötzlich ein kriechendes, giftiges Doom-Riff wieder hinunter zerrt, in einen pechschwarzen, tödlichen Abgrund, aus dem dann wieder ein Sturm aus sich überrennendem Drumming, Gitarren und getriebenem Kreischen entwächst. Der Geschwindigkeitsrausch mündet in ein zermürbend-hypnotisches Riffing, nach einem kurzen Übergang setzen Weakling zum weit ausholenden Finale. Eine große, pathetische Geste, ein epischer, wunderschöner Moment, wie er wohl im Buche zu stehen scheint, um diese ausgelutschte Redewendung mal aufzugreifen, wie ihn aber weder spätere Bathory noch frühe In The Woods…, die von John Gossard in einem Interview als wichtigste Inspirationsquelle bezeichnet wurden, auf dem Intensitätslevel jemals vertont haben.

„No One Can Be Called As a Man While He’ll Die“ klingt im Riffing dann zunächst deutlich gradliniger, in der Melodik greifbarer. Doch auch hier sind jene Merkmale zu vernehmen, die sich als charakteristisch für Weakling herausgebildet haben: die tief im Black Metal verwurzelte, doch kreative und inspirierte Melodieführung, das wahnsinnig druckvolle Spiel, das den Eindruck erweckt, als ginge es hier um das Leben der Musiker. Und nicht zuletzt auch die Unberechenbarkeit; nach einem unvermittelten Break nach ca. viereinhalb Minuten, einem in der Luft hängen danach, setzen Weakling zum größten emotionalen Showdown eines Albums an, das an solchen durchaus nicht arm ist. Es ist ein minutenlanger freier Fall, schreiende Verzweiflung, die Melodie und das erneut schier erdrückend intensive Gitarrenspiel von einer dringlichen, unmittelbaren, ergreifenden Dramatik, wie ich es in dem Genre schlicht nie zuvor oder danach erlebt habe. Nach ca. 9:20 Minuten bleiben nervenzerrende Gitarren und nervöses Drumming übrig, nach einer weiteren Minute kehrt das Stück zum Anfangsmotiv zurück, der Hörer indes bleibt vom zuvor Geschehenen immer noch vollkommen eingenommen und überrannt.

Mit „Disasters in the Sun“ wird der Hörer gleich zu Anfang in einem Höllenschlund von einem Song geworfen, der sich in seiner Herangehensweise wesentlich von den anderen vier Stücken von „Dead As Dreams“ unterscheidet. Wurde auf diesen noch eine zwar aggressive, experimentelle, dabei aber recht melodische Form des BM geboten, gibt es hier zwischen Funeral Doom und rasendem Black Metal keine Verschnaufpause, keinen epischen Moment als Rettungsanker. Nachdem zwischen Rauschen, Blastbeats und Lärm aber auch immer mal eine dieser bandtypischen Melodien gesponnen wurde, löst sich das Stück allmählich auf in grell dröhnendem Feedback.

Eigentlich war „Dead As Dreams“ bereits 1998 fertig aufgenommen, wurde aber erst zwei Jahre später vom amerikanischen Indie tUMULt veröffentlicht. Zu dem Zeitpunkt hatten sich Weakling bereits aufgelöst, nachdem der anfänglichen Euphorie recht schnell Ernüchterung und Enttäuschung über mangelndes Interesse seitens der Labels folgte, vor allem hatten sich aber auch die Interessen der beteiligten Musiker verlagert. „Dead As Dreams“ ist somit ein Werk des Moments, ein Überbleibsel einer ziemlich kurzweiligen, dennoch aber sehr tiefen Begeisterung. Die Beteiligten sollten dabei später den Black Metal nicht mal mehr streifen, in diesem Bereich hinterließ man jedoch ein Meisterwerk, das viele inspiriert hat (Drautran, Wolves In The Throne Room, Krallice…), dabei in seiner Klasse aber von niemandem erreicht werden konnte. Das kompositorische Niveau von „Dead As Dreams“ kennen zahllose Bands nicht mal vom Hörensagen; Die Songstrukturen muten auf dem ersten Blick chaotisch an, sind jedoch so faszinierend, komplex und raffiniert, dass einem die 76 Minuten deutlich zu kurz vorkommen. Die fünf überlangen Epen klingen geradezu symphonisch in ihrer mitreißenden Dynamik, ihrer zu jedem Zeitpunkt extremen Spannung, ihrer durchaus schlüssigen Unberechenbarkeit. Hier werden rasende Wut, himmelschreiende Verzweiflung, tiefe Trauer, ausufernde Epik und lichtabsorbierende Finsternis in geradezu spielerischer Selbstverständlichkeit kombiniert, die Schauplätze lauten Gebirgsmassiv, Schlachtfeld, Hölle und die eigenen psychischen Abgründe. Weakling ist mit „Dead As Dreams“ ein Album gelungen – und der folgende Satzabschnitt ist wohlüberlegt und vollkommen ernst gemeint – mit welchem eigentlich alles gesagt wurde, was man im Black Metal sagen kann.

http://www.myspace.com/weakling66

Converge – Jane Doe

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I want out
Out of the burdening nightsweats
Out of the rising seas of blood
Lost in you like saturday nights
Searching the streets with bedroom eyes
Just dying to be saved
Run on girl, run on

Jeder Musiknerd wird dieses ganz spezielle Gefühl kennen. Das Gefühl, welches ein musikalischer Orkan beim ersten Mal hören hinterlässt, wenn vielleicht ein einziger Song die eigenen musikalischen Ideale nicht nur infrage stellt, sondern sie schlichtweg pulverisiert und man sich um ein neues musikalisches Weltbild kümmern muss. Der Grund, weshalb man überhaupt zum Musiknerd geworden ist. Das vielleicht einschneidendste Erlebnis dieser Art war für mich meine erste Begegnung mit Converge.

In irgendeinem Forum wurde diese Band also mit großen Worten umworben, ich hörte rein aus Interesse mal rein und war regelrecht fassungslos. Es lief „The Broken Vow“ und mir kam es vor, als stünde ich unter einem Glassplitterhagel. Der erste Schock ob dieser schieren Gewalt war kaum überwunden, da drängte sich Klargesang in die Szenerie; eine unheimliche emotionale Wucht. Ein infernales Chaos mit kaum greifbarer Struktur, das ich jedoch nicht bloß als solches wahrnahm; nein, „The Broken Vow“ war viel mehr, war der Beginn einer großen Liebe. Die Faszinationskraft dieser Musik war nach dem ersten Durchgang von „Jane Doe“ enorm und hat auch nach Jahren nicht abgenommen. Converge spielen eine Art modernen, chaotischen Noisecore und klingen doch anders als das, was man sich darunter vorstellt. Die Musik ist für sich genommen absolut erstklassig, doch sollte und darf man „Jane Doe“ nicht mit einer solch pragmatischen Herangehensweise begegnen. Die Drums überrennen sich selber, die Gitarrenfraktion spielt entstellte und vernarbte Riffs, Jacob Bannon kreischt seine poetischen Texte in einer Panik und Hysterie heraus, als stünde er in Flammen. Die großartige Produktion passt sich an: der Klang ist roh, lärmbetont, aber durchaus transparent. Die ersten drei Songs sind vertonte Zerstörung, ein erfrischender Blutregen, ein mit weit aufgerissenen Augen beobachteter und miterlebter Weltuntergang. Auch die musikalische Dampfwalze „Hell to Pay“ und das relativ punkig-straighte „Homewrecker“ atmen diese manische Energie. Es klingt nicht so, als hätten die Musiker noch unter Kontrolle, was sie hier entfesselt haben.

Doch damit wäre die Atmosphäre von „Jane Doe“ keinesfalls zureichend umrissen. Nicht aus dieser Offensivität schöpfen Converge ihre Faszinationskraft, sondern aus einer omnipräsenten, beinahe unerträglichen Ambivalenz. Die Stücke zersplittern und explodieren um ein Gerüst herum, das jeden Moment zusammenstürzen könnte, es manchmal auch tatsächlich tut; gerade in solchen Momenten, die auch in den ersten drei Stücken aufflackern, klingen Converge am erbarmungslosesten, wenn in „Heaven in Her Arms“ zum Beispiel subtil melancholische Melodien angedeutet werden. Wenn man die Fremde auf dem Cover ebenso erschöpft wie man selbst und zugleich vollstreckergleich sich vor einem aufbäumen und doch auch zersplittern sieht, wenn man ihren von oben herabschauenden Augen nicht standhält. Wenn sich nebst der vordergründigen Angriffslust auch Verwundbarkeit offenbart. Wenn man von der sich vor den eigenen Augen abspielenden Apokalypse weggezerrt und vor den persönlichen Untergang geworfen wird. Wenn der Phoenix in Flight mit schmerzenden gebrochenen Flügeln taumelt und danach in Flammen aufgeht; wenn eben genannte, nicht einmal einminütige Eruption in ihrer Hysterie nicht den Boden unter den Füßen zu fassen bekommt. Und wenn sich im Scherbenhagel manchmal das Licht spiegelt, wenn der Sound von Converge plötzlich eine ausgefranste, gebeutelte, doch in ihren feinen, fragilen Grundzügen erkennbare Art von Anmut und Schönheit entwickelt. So geschehen vor allem im epochalen Titelstück. Nervenzerrende Schallwellen von Feedback hallen durch den Raum, irgendwo entfernt im Hintergrund: flehender Klargesang. Der Song stürzt, atmet schwer, sammelt seine Kräfte, bäumt sich wieder auf und setzt final zum großen Crescendo an. Das gesamte Gerüst stürzt ein, dieses Ende ist nun absolut. In den letzten Atemzügen dieser Welt greift ein blutiger Arm noch ein letztes Mal in die Leere, bevor der in sich zusammensinkende Berg aus Trümmern und Gliedmaßen, den Schreien Gepeinigter auch ihn unter sich begräbt. Ein finales verzweifeltes „Wieso?!“ schallt noch über die Szenerie und bleibt unbeantwortet. Auch nach Jahren durchfährt mich „Jane Doe“ immer noch regelrecht. Converge klingen hier epischer und schöner, als es handelsübliche Brusthaartoupet-Metaller, Post Rock-Posterboys und Projekt-Darkwave-Waldelfen jemals könnten.

„Jane Doe“ ist keinesfalls ein Album für jede Lebenslage, in gewissen Momenten aber das einzige in meinem Universum. In Momenten, wenn es im eigenen Kopf grässlich eng und überfüllt und gleichzeitig erdrückend leer und einsam ist, wenn man sich vor Schmerz selbst nicht mehr fühlt, in Momenten, in denen man gegen die näherrückenden Wände des eigenen Bewusstseins hämmert, diese scheinbar durchbricht, die Augen öffnet und sich erschöpft, atemlos und mit blutigen Fäusten vorfindet, ist „Jane Doe“ das perfekte Ventil, die tongewordene Katharsis (es gibt für mich nur eine Band, die auf einem ähnlich hohen Intensitätslevel agiert und atmosphärisch, nicht jedoch musikalisch in eine ähnliche Kerbe schlägt, dazu später mehr). So sehr die Musik von Converge bei vielen zunächst auch bloße Hilflosigkeit provozieren mag, so sehr man im falschen Moment auch denkt, einer mit Grafitti beschmierten Wand gegenüberzustehen und auf dieser keinen Spruch und kein Bild mehr erkennen zu können, so sehr offenbaren sich im richtigen Moment die Geschichten und Hintergründe (kennt man hier das ARTE Tracks-Interview?). Die metaphorische Wand von Converge hat mehr zu sagen, als ich jemals über sie sagen können werde.

http://www.myspace.com/converge

Katatonia – The Great Cold Distance

Mit ihrem Zweitwerk von 1996 haben Katatonia es sich vergleichsweise leicht gemacht: „Brave Murder Day“ lebte von seiner gewissermaßen typisch jugendlichen emotionalen Unmittelbarkeit, von seiner höchst effektiven Simplizität. Imperfektion war damals nicht nur unmöglich zu vermeiden, sondern sogar vonnöten. Es ist erstaunlich, wie weit sich Katatonia von diesem Ideal mit „The Great Cold Distance“ entfernt haben. Der karge Midtempo-Deathdoom (sic!) wich einem recht kopflastigen, modernen, sehr eigenständigen Sound im weiten Spannungsfeld von Alternative Rock und Dark Metal. Zugegeben, zwischen den Alben liegen zehn Jahre, Jahre der Experimente und der Selbstfindung, und doch ist es bei näherer Betrachtung faszinierend, dass Katatonia an ihren Klassiker herankommen, ihn eigentlich sogar übertreffen konnten, mit einem Album, das mit BMD wenig bis gar nichts gemeinsam hat.

Mit „Viva Emptiness“ entdeckten Katatonia komplexere Arrangements und Songmuster, erst mit TGCD den zur Ausführung und Einbindung dieser nötigen Perfektionismus. Jedes Break und jedes Riff ist perfekt auf einander abgestimmt, jedes Detail, das man sonst, um das Flair und die Spontanität des ersten Takes zu wahren, im Songgebilde untergehen ließ, wurde nun mit fast krankhafter Präzision ausgearbeitet. Im glasklaren Sound hört man selbst noch das tiefste Basswummern. Zwar entfernte man sich auch auf „The Great Cold Distance“ nicht wesentlich mehr als auf „Viva Emptiness“ von einem konventionellen Songaufbau, doch innerhalb dessen erreicht die Verspieltheit des Drummings fast schon Tool’sche Ausmaße. Nun soll das aber nicht heißen, „The Great Cold Distance“ ließe die Emotionalität und Atmosphäre früherer Alben missen – ganz im Gegenteil. Während die Vorgängerwerke von geradezu zufälligen Treffern dieser Art lebten, zielen Katatonia nun mit bemerkenswerter, fast mathematischer Konzentration und Präzision auf den wunden Punkt des Hörers. Die Band operiert hier mit einem über die Jahre geschliffenen, infolgedessen aber auch äußerst scharfen Seziermesser. Man muss auch ob dieser sehr berechnenden Herangehensweise nicht unbedingt auf die obligatorischen Seelenwärmer-Melodien verzichten: die Singleauskopplung „My Twin“ schmiegt sich sofort an die Gehörgänge. Das erschöpft taumelnde „Journey Through Pressure“ fängt einen wunderbar sanft wieder auf und ist ein perfekt gesetzter Schlusstrack. „In The White“ hat einen schlichtweg brillanten Refrain, der selbst Kuschelkatatonia auf „Last Fair Deal Gone Down“ in der Form nicht gelungen ist.

Doch sind es nicht diese Momente, die „The Great Cold Distance“ ausmachen, es ist eher die kalte, entmenschlichte Atmosphäre, unter der sich „Deliberation“ nicht frei entfalten kann und die „Follower“ zum Ideal erklärt, es ist eher die erstaunliche, doch diesmal fast mechanische Härte, mit der „Consternation“, „Increase“ und „The Itch“ vorgehen. Es sind nicht die wärmenden, tröstenden Momente, oder zumindest nicht ganz unterdrückte Ausbrüche von Verzweiflung, von denen das Album lebt, sondern die monochrome Trostlosigkeit, das inszenierte Dystopia aus fremden, ausdruckslosen Gesichtern und Beton, die große kalte zwischenmenschliche Distanz, an der nicht zuletzt auch das sehr gelungene Artwork und die sowohl abstrakten als auch klar formulierten Lyrics von Jonas Renkse einen großen Anteil tragen. Man überwindet vielleicht die abweisende Distanziertheit von „The Great Cold Distance“, man dringt an sein zerbrechliches, flehendes, hilfloses Inneres und stößt schlussendlich auf einen resignierten, erkalteten, leblosen Kern. Letztendlich hat man der unüberbrückbaren Unnahbarkeit und Apathie der modernen Welt nichts entgegenzusetzen. Kaum eine Band hat diese Stimmung so gut vermittelt wie Katatonia auf „The Great Cold Distance“.

http://www.youtube.com/watch?v=6ow7rqkY-jI
(tolles Video auch, das die auf dem Album vermittelte Atmosphäre visuell
sehr gut einfängt)
http://www.youtube.com/watch?v=sCYPUgb370I
http://www.youtube.com/watch?v=qNPKRYovvi8

PJ Harvey – White Chalk

Immer war sie in gewisser Weise die Unnahbare, immer merkte man ihr die Distanz zu den auf den Alben erzählten Geschichten und aufgebauten Charakteren an. Auf „White Chalk“, ihrem 2007 erschienenen letzten regulären Studioalbum, ist dies nicht der Fall. Und das ist es, was „White Chalk“ selbst in einer solch abwechslungsreichen Diskographie wie der von PJ Harvey noch einen Sonderstatus verleiht: nicht bloß die ungewöhnliche Instrumentierung und ebensolcher Gesang, sondern eine grundsätzlich andere Atmosphäre. War sie auf allen anderen Alben noch eine wirklich begnadete Schauspielerin, die sich gewiss auch mit ihrer Rolle identifizierte, die Stimme anderer, so wirkt ihre seelische Entblößung auf „White Chalk“ beklemmend real. Trug sie auf den Vorgängerwerken selbst noch den größten Schicksalsschlag mit Fassung, zeigte sie selbst dann noch unberührbare Stärke, wenn sie am Boden lag, schien ihr Make-Up selbst dann nicht zu verlaufen, wenn sie bittere Tränen weinte, so offenbart sie auf „White Chalk“ tatsächlich Fragilität, Schwäche und Erschöpfung.

Polly Jean Harvey greift dabei auf spartanische, schlichte Instrumentierung zurück, die meisten Songs basieren auf simplen Klaviermotiven (sie hatte sich das Klavierspielen binnen kurzer Zeit selbst beigebracht, Virtuosität war weder zu erwarten, noch wirklich vonnöten). Die eigentliche Kraft ihrer Stimme offenbart sie nur kurz und andeutungsweise im bitteren „Grow Grow Grow“, ihr Gesang klingt erschöpft und geradezu kindlich hoch, meist singt sie mit Kopfstimme. Die Songs umgibt eine gewisse Intimität, es ist, als ob PJ Harvey sie in einem sehr kleinen, von einer Kerze nur schwach beleuchteten Raum ganz für sich alleine spielt. Sie spielt sie mit dem Bewusstsein, ihr Requiem zu spielen, außer Kraft, doch willens, sich noch etwas Wichtiges von der Seele zu singen. „White Chalk“ klingt wie am Totenbett aufgenommen. Farewell my friends, farewell my dear ones, farewell this world, forgive my weakness. Mit Wehmut und Reue blickt sie auf ihr bisheriges Leben zurück, haucht Entschuldigungen, die die, an die diese gerichtet sind, nicht mehr hören werden. Über den Songs liegt ein grauer Schleier. Man hat das Gefühl, den dumpfen, langsamer werdenden Herzschlägen der Songs zu horchen, in dem Bewusstsein, dass diese jeden Moment gänzlich verschwinden würden. Stützen sich die Stücke zu Beginn noch auf eine rhythmische Struktur, verlaufen die Konturen von „To Talk To You“ fast völlig, scheint Harvey kaum die Kraft aufbringen zu können, das unendlich traurige „Before Departure“ zu Ende zu bringen, wird „Broken Harp“ bereits nach weniger als zwei Minuten die Luft abgewürgt. Der schönste und berührendste Song des Albums ist indes „Silence“:

I freed myself from my family
I freed myself from work
I freed myself
I freed myself
And remained alone

Ein Song fürs Totenbett.
Ein Song, um das Leben am inneren Auge vorbeiziehen zu lassen.
Ein Song, um sich und der Welt zu verzeihen.
Freiheit und Leere.

Inmitten vieler mindestens guter, einiger absolut großartiger Alben, in denen sie sich stetig weiterentwickelte, ihren Geschichten eine beeindruckende stimmliche Präsenz verlieh und als Persönlichkeit stets undurchsichtig blieb, wirkt „White Chalk“ gewiss am authentischsten. Klar ihr bestes Album nach der Jahrtausendwende.

http://www.youtube.com/watch?v=9_3pBlHUEjM
http://www.youtube.com/watch?v=uphcFYUE0Dc
http://www.youtube.com/watch?v=alm5Wr_qYpA

The Gault – Even As All Before Us

The Gault war ein kurzlebiges Künstlerkollektiv mit Querverbindungen zu Mitgliedern von unter anderem der Black Metal-Formation Weakling, der Neoklassik-/Neofolk-Band Amber Asylum, der Funeral Doom-Gruppe Asunder und den Indie Rockern von The Fucking Champs. Das ist insofern gut zu wissen, als dass es die Rastlosigkeit und Umtriebigkeit der Mitwirkenden aufzeigt. Ähnlich wie bei Weakling war die Existenz der Band von kurzlebiger Natur, nach nur einem Album, dessen Veröffentlichung wie auch bei „Dead as Dreams“ etwaige Turbulenzen mit sich zog, löste man The Gault auf, da man der Meinung war, in dieser Stilistik bereits alles gesagt zu haben, was man zu sagen hatte. Ein musikalischer Vergleich verbietet sich jedoch von vornherein, The Gault projizieren ihre Visionen von Leere, Isolation, Depression und desolaten, tristgrauen Landschaften auf eine höchst eigenständige Leinwand aus Old School-/Proto-Darkwave und staubtrockenem, Stoner-angehauchtem Doom Metal. Die Gitarren wabern schummrig, undurchsichtig und monoton, das rhythmische Fundament verharrt in Trägheit. In dieser verlassenen, unwirtlichen Kulisse taumelt Sänger Ed Kunakemakorn in gleicher Hilflosigkeit und Verwirrung wie der Hörer. Man muss es einfach selbst gehört haben, um nachzuvollziehen, was mit diesem Gesang und schlichten, aber akzentuierten musikalischen Mitteln für eine Atmosphäre aufgebaut wird; wahrlich, in einigen der meist überlangen Stücke kotzt er Emotionen! Als besonders gutes Beispiel dafür dient „County Road, Six Miles In“; es wird in der ersten Hälfte eine bedrohliche, trübe Nebelwand aufgebaut, die Spannung wird angesichts der schmerzverzehrten Schreie von Ed Kunakemakorn und der gleichsam trägen und repetitiven wie verstörenden und vehementen Gitarren unerträglich, geradezu filmreif. Teilweise wird er gesanglich von Lorraine Rath unterstützt. Ihr Gesang hat die schöne Eigenschaft, ähnlich dem Jarboes, beim Hörer Schauer über den Rücken laufen zu lassen, bei denen man nicht genau bestimmen kann, ob diese angenehmer oder unangenehmer Natur sind. Exemplarisch dafür steht neben „County Road, Six Miles In“ „The Shore Becomes The Enemy“, der wohl metallischste Titel des Albums; das Stück ist von einer beispiellosen Weltabgewandtheit und einem starren Fatalismus gezeichnet. Getragen von schwerfällig wogenden Stoner Rock-Wellen segelt es in das Trübe, Graue, Endlose, in die Versenkung.

„Even As All Before Us“ orientiert sich in atmosphärischer Hinsicht an Vorzeige-Genreklassikern wie „Closer“ (Joy Division), „Virus Meadow“ (And Also the Trees) und „A Day In The Stark Corner“ (Lycia). Zwar ist die persönliche Bedeutung von genannten Klassikern (teilweise) noch etwas größer, doch so sehr wie EAABU in letzter Zeit in meiner Gunst gestiegen ist, könnte sich das bald ändern. Ein schwieriges, großflächig angelegtes, irgendwie anmutiges Werk, das Manifest der Tristesse und post-Weltuntergangsästhetik in diesem Jahrzehnt.

http://www.myspace.com/thegault

Menace Ruine – The Die Is Cast

Auf genau zwei farbenprächtig schimmernde Töne, zwei donnernde Paukenschläge stützt sich „One Too Many“, der Opener von „The Die Is Cast“. Starren Blickes und trägen Schrittes schleppt sich das Stück, angeführt von Sängerin Geneviéve, durch die Trümmer, die „Cult of Ruins“ hinterlassen hat. Die Entwicklung gegenüber dem Vorgänger ist bemerkenswert: War das ebenfalls 2008 erschienene „Cult of Ruins“ noch recht eindeutig als (experimenteller, sehr noisiger) Black Metal klassifizierbar, spielt das kanadische Duo auf dem fatalistisch betiteltem Nachfolger eine einzigartige Mischung aus mittelalterlich anmutendem (Neo)Folk und tonnenschwerem, monolithischem Drone Doom. Fast schon klingt es wie die Vision von Nico meets Nadja, Lisa Gerrard meets Sunn O))). Die Folk-Einflüsse sind teils auf die verwendeten Instrumente selbst („Utterly Destitute“), teils auf die Art, wie diese gespielt werden, zurückzuführen, vor allem aber auf die schlichten und ergreifenden, hymnischen Melodien, die Sängerin Geneviéve intoniert. Ihr wunderbarer, an Nico erinnernder Gesang steht auf „The Die Is Cast“ wesentlich weiter im Vordergrund als auf dem Vorgänger, trägt mal die Stücke, schwebt mal über ihnen.

Herzstück des Albums ist die fast 17-minütige Black Metal-Elegie „The Bosom of the Earth“. Selten wurden Instrumente so in den Dienst eines kaleidoskopartig schimmernden Klangs gestellt, selten wurden Schönheit und Brutalität, die Begriffe „zerstörend“ und „reinigend“ so nahe zusammengebracht, zur gegenseitigen Bedingung gemacht, höchstens noch von Wolves in the Throne Room…nein, eigentlich nicht einmal von denen. Wenn nach ca. 2:40 Minuten von beinahe gleichbleibend dröhnenden Melodiefetzen die an die Black Metal-Wurzeln des Duos erinnernden Drums einsetzen und sich im weiteren Songverlauf wolkenbruchartig entladen, gleicht das einer überwältigenden Naturgewalt. Dass dabei im Stück nur wenig Variation stattfindet, tut absolut nichts zur Sache, eher lädt die Struktur von „The Bosom of the Earth“ dazu ein, sich in dieser durchaus facettenreichen Monotonie zu verlieren. Nach ca. neuneinhalb Minuten bleibt nur noch ein Dröhnen übrig, die Gewitterwolken verziehen sich langsam, wie vereinzelte Sonnenstrahlen streicht der Gesang von Geneviéve über das verwüstete Land.

„The Die Is Cast“ ist ein stetig wachsendes und dabei immer fordernd bleibendes Album. Es ist, als ob man sich einem Berg nähert und sich dabei nicht der Tatsache, dass dieser im Grunde nicht zu erklimmen ist, sondern nur seiner eigentlichen Größe bewusst wird. Vor allem aber beweisen Menace Ruine mit „The Die Is Cast“ allen Zweiflern und Frustrierten, dass Originalität und Innovation auch anno 2008 noch möglich sind. Prädikat: besonders wertvoll.

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