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Verlorenes Glockengeläut ist das Erste, was man von den Swans nach 14 Jahren Sudio-Abstinenz hören kann. Die ersten Sekunden von „My Father Will Guide Me Up a Rope To The Sky“, dieses für die weitere Karriere und das künstlerische Selbstverständnis der Band so wichtigen Albums, wollen kein „Wir sind wieder da!“ und kein angemessener (Neu-)Anfang sein, sie entstehen aus einer verlorenen, unbestimmbaren Zeit heraus. Der fast zehnminütige Opener „No Words / No Thoughts“ kann in seinem Gestus, vor dem neugierigen Blick des Hörers die Pforten zum Album zu verriegeln und ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen, fast als Trotzreaktion verstanden werden. Die schweren, gegen ihre eigene Unbeweglichkeit rebellierenden Gitarren, die den Glockenklängen folgen, klingen bezeichnenderweise nach einem misslingenden Starten eines alten, kaputten und verrosteten Motors. Der Kapitulation folgt neue, ins neurotisch-Panische gleitende Nervosität, zitterndes Drumming, Glocken, „See that man – ego“, überall diese Glocken, Lärm. Dann schließlich der Zusammenbruch, kaum mehr erkennbare Gitarren mit nie verheilenden, entzündeten Wunden übersät, kollabierendes Drumming, Pfeifen, Kratzen, Lärm. Glockenläuten, betäubende Gefahr, ansatzweise Stille, nur noch der eigene Herzschlag. Atemnot, hämmernder Pulsschlag. Vorahnung bestätigt sich, wieder aufeinanderfallendes Blech, schrill verzerrte Sirenen, verhinderte Hilfeschreie. „To think is a sin. To think is a sin. Long may his world never begin.“ „No Words / No Thoughts“ ist eine einzige offene Wunde. Was tun mit etwas Atmendem, Röchelndem, Wucherndem, was vor dem Tod die Augen verschließt und sich gegen seinen bereits abgeschlossenen Verfallsprozess stemmt, bei seinem Zustand gar nicht mehr am Leben sein dürfte?
Schon das folgende „Reeling The Liars In“ ist ein vordergründig zutrauliches und übersichtliches Folk-Stück, seine Abgründigkeit in den Lyrics tragend, sein innerer Widerspruch am ehesten an „God Damn The Sun“ vom kurzen Major-Ausflug „The Burning World“ erinnernd. Das folgende „Jim“, lyrisch eine Verbeugung vor Foetus-(und wie auch immer seine zig anderen Projekte auch heißen)Kopf JG Thirlwell, ist musikalisch und atmosphärisch schon eher „Failure“ von „White Light From The Mouth Of Infinity“, adaptiert seine Grimmigkeit, hebt sie allerdings aus dem strikten Minimalismus des Songs und seiner Depression, stattet sie mit drängender Aggression und Zynismus aus und würzt sie mit Krach. „Inside Madeline“ zeigt den ausufernd-rätselhaften Psychedelic Folk des Folgealbums „Love of Life“ bei einer Wanderung über den dissonanten Industrial Doomrock der frühen Bandjahre, „Eden Prison“ die songorientierte Aufgeräumtheit von „The Great Annihilator“ in Kombination mit der apokalyptischen, stählernen Schwere von „Cop“. MFWGMUARTTS funktioniert so gesehen durchaus auch als Rückblick und Nabelschau für die Band, ist in dem Sinne sogar ansatzweise repräsentativ, betritt allerdings auch – alles andere wäre für die Band vor allem nach 14 Jahren ein immenser Integritätsverlust – Terrain, das einem, auch wenn man sich in der Diskographie bestens auszukennen meint, völlig fremd erscheint. „You Fucking People Make Me Sick“ ist so ein Song, der auf keinem früheren Album denkbar gewesen wäre, mit einem Duett von Devendra Banhart (den Michael Gira engagiert hat, weil er sich seiner Meinung nach beim ersten Take nach ihm angehört haben soll, der hier aber ironischerweise nach Michael Gira klingt) und Giras dreijähriger Tochter. Umgeben von melodischen Akustikgitarren etsteht hier ein perfider, zaghafter, fast vertrauenserweckener Dialog zwischen Trümmern und Ruinen, mit „now give me what is mine“ wird jede fälschlicherweise aufkeimende Hoffnung von Wellen von tiefem Klaviergrollen, Trombone, Teer und angespültem Metallschrott begraben.
Das Konzept von „My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky“ ist Zerrüttung, auch wenn oder gerade weil die Band einige Stücke bei ihrer Form belässt. Das Schlussstück „Little Mouth“ darf erschöpft, resigniert und kapitulierend Giras deprimierende Vorstellung von einem Lovesong sein, ohne im Nichts beginnen oder aufhören zu müssen, und an sein bisheriges Hauptbetätigungsfeld The Angels of Light erinnern, „Jim“ bei stringenter Todescountry-Struktur seinen Zorn unterdrücken, ausgerechnet die Albums-Brechstange „Eden Prison“ trotz des Abgrunds in der Mitte über den Hörer hinwegrollen, ohne selbst Kratzer zu bekommen. Von Songs wie dem Opener und „You Fucking People Make Me Sick“ geht jedoch die Bedrohlichkeit des dunklen Unbekannten aus, sie starten und enden unvermittelt in einem nicht näher definierbaren Irgendwo, kippen völlig unberechenbar und nehmen dem Hörer jegliche Orientierung. Gerade hier beweisen Swans im Umgang mit dem Stilmitel Noise eine Destruktivität und Gnadenlosigkeit, die in der heutigen Musiklandschaft auch heute noch selten ist und nachhaltig beeindruckt. Somit ist „My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky“ trotz relativ selten an Schmerzgrenzen stoßendem Klangbild und übersichtlichem Songwriting eines der schwierigeren Werke der eh nicht durch einladende Eingängigkeit bekannten Swans geworden. „Soundtracks For The Blind“, an dem es sich somit messen muss und das Gira in Interviews als Anknüpfungspunkt bezeichnete, hat MFWGMUARTTS dabei etwas Entscheidendes voraus; seine Uferlosigkeit barg Platz für allerlei Absonderlichkeiten, allerdings auch für momente von strahlender, transzendentaler Schönheit. Dass „My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky“ diese nicht hat, verhindert, dass es nicht bloß ein wirklich sehr gutes, sondern überragendes Album und diskographieinternder Klassiker wird. Trotz der großen Momente verbrannter Erde und zerstörter Fabriken von „No Words / No Thoughts“ und „You Fucking People Make Me Sick“ haben aber sonst gerade die vordergründig friedlicheren und folklastigen Stücke eine Schärfe an sich, die die brachialeren Songs des nunmehr sechsundfünfzigjährigen Michael Gira nicht mehr immer erreichen; „My Birth“ zeigt sich klanglich unangenehm verwaschen, schlägt auf seekrankem Rhythmusfundament ziellos um sich und fügt sich selbs mehr Schaden zu als dem, dem seine Wut gilt, will an „Beautiful Child“ von „Children of God“ anknüpfen, erreicht allerdings nicht seine Dringlichkeit. Diese Makel, die kein anderes Album der Swans seit „Children of God“ hatte, sind eventuell darauf zurückzuführen, dass Jarboe nicht mit von der Partie ist; ohne ihren Gesang, der je nach Instrumentierung Kontrast wie Betonung der Atmosphäre der Songs sein konnte, klingt die Band irgendwie lediglich neunzigprozentig.
Nun soll das alles jedoch auf keinen Fall heißen, der Band sei ihr Comeback nicht geglückt. Vielmehr zementieren Swans mit diesem Album ihren Status, zeigen, dass sie auch anno 2010 noch wichtig und wertvoll sind. Nach 14 und mehr Jahren ist es vielleicht nicht mehr die Innovation, die sie besonders macht, sondern mehr denn je die Tatsache, dass sie sich ein nach außen hin hermetisch abgeriegeltes musikalisches Paralleluniversum aufgebaut haben, dessen Noten- und Buchstabencodes wie ein surreal verzerrtes Spiegelbild der Musikwelt außerhalb wirken. Keine weitere Band zeichnete sich jemals durch solch eine atmosphärische Ambivalenz aus, keine ließ rohe Gewalt so sakral klingen, keine konnte Abgründigkeit, Obsession und mörderischen Hass in mal perfide, mit verdächtigen Rissen versehene, mal strahlend reine Schönheit übersetzen. Swans waren für mich bisher annähernd alles, was Musik sein kann. Mit dem neuen Album hat sich trotz kleinerer Fehler nichts daran geändert.
Hier noch ein Track-by-Track-Review von Mister Gira himself: http://thequietus.com/articles/04724-michael-gira-review-new-swans-album-my-father-will-guide-me-up-a-rope-to-the-sky
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