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Da meine rechte Hand nun endlich wieder halbwegs funktioniert und es aktuell genug Sachen gibt, von denen ich mich ablenken will, dachte ich mir, es wäre an der Zeit, den Thread mit Reviews zum – soviel sei schonmal verraten – meiner Meinung nach besten Song-Viererpack deines Samplers wiederzubeleben. Zudem möchte ich dich in diesem Zusammenhang einmal fragen, was genau du dir eigentlich bei der Songabfolge gedacht hast, denn vor allem der Übergang von The Modern Jazz Quartet – Angel Eyes zu Return to Forever – Captain Señor Mouse gerät (was allerdings eigentlich nicht so sehr ins Gewicht fällt, da ich ja an dieser Stelle eine Reviewpause gemacht habe) recht, ähm, abenteuerlich. Jedenfalls gibt es in meiner Welt keine plausible Erklärung dafür, weshalb die Kamera vom Pariser Café plötzlich zu einer leeren – fast leeren – Autobahn irgendwo in Amerika und vom Spätherbst wieder zu Hochsommer schwenkt (was allerdings auch daran liegen könnte, dass es in meiner Welt keine plausible Erklärung für irgendwas gibt). Genau in dieser Umgebung finden wir uns aber wieder: es ist heiß, am Himmel ist keine einzige Wolke, die Straße ist zwecks eines Marathonlaufs gesperrt. Drums und Bass geben einen ziemlich schnellen Rhythmus vor, darüber werden fröhliche Melodien von irgendwelchen 70er-Klimperinstrumenten gestreut. Aus der Luft nähert sich die Kamera dem einzigen Läufer im Umkreis von einigen hundert Meter, er ist groß und drahtig und lächelt, als würde das Laufen ihn überhaupt keine Anstrengung kosten. Von knapp zwei bis drei Minuten geschieht dann aber etwas, was ich überhaupt nicht einordnen kann: Return to Forever streuen immer wieder (übrigens wirklich großartige, machen die das auf dem Album, von mir aus auch auf anderen, öfters?) Latin Jazz-Parts ein. Das ist allerdings auch der Punkt, ab dem der Song beginnt, richtig interessant zu werden. Wenn man für die nächsten beiden Songdrittel irgendeine halbwegs nachvollziehbare Erklärung finden will, muss man davon ausgehen, dass hinter jedem Colgate-Lächeln (übrigens Kolgäit und nicht Kolgate ausgesprochen…eine Herzensangelegenheit) ein Mindestmaß an Größenwahn steckt und sowohl dieses Lächeln als auch der gewaltige Vorsprung des Läufers Resultat von, äh, chemischem Motivationstraining sind. Nach diesem kleinen Latin-Tanzbär-Intermezzo ist das Stück plötzlich im Verschwinden begriffen, alles wird leiser und befindet sich in angespannter Zurückhaltung, das 70er-Klimperzeug tropft nur noch vereinzelt dazwischen und das Drumming hat nebenbei noch seinen eigenen Kram zu erledigen. Er rennt weiter, er lächelt noch immer, aber die Autobahn hat sich langsam in ein schwarzes Nichts jenseits von Raum und Zeit verwandelt. Egal wo sein Kopf gerade ist, mit seinen willenlos weiterlaufenden Füßen läuft er gerade Gefahr, über einen Stein zu stolpern, es wird eine Melodie gespielt, die so klingt wie die Musik, die immer in 70er-Serien gespielt wird, wenn jeden Moment etwas richtig Dramatisches geschehen soll. Im Moment des Strauchelns und des Hängens in der Luft gibt es in den Nervenbahnen Milliarden kleiner Explosionen, er reißt die Augen weit auf, schließt sie und öffnet sie wieder und – ja, was? Das letzte Songdrittel wird eingeleitet von irgendeiner kleinen Spielerei, die mich Medienopfer an Klingeltonwerbung erinnert und sich irgendwann in einer entfesselt solierenden Gitarre verliert. Er ist jetzt irgendwo im Vakuum zwischen entstehenden und vergehenden Galaxien, scheint (den Umständen entsprechend) zu begreifen, was gerade mit ihm passiert, seine Beine imitieren aber immer noch eine Laufbewegung, für die es aber mittlerweile keinen geraden, festen Asphaltweg mehr gibt. Die Anziehungskraft mehrerer schwarzer Löcher gleichzeitiig scheint an ihm zu zerren, er stolpert über seine eigenen Füße, schon wieder Nuklearexplosionen im Synapsenspalt, Feuerwerke vor den Augen, dann – höhere Daseinsstufe, hinduistische Mystik jetzt oder sowas (in diesem Zusammenhang mus ich den Drummer mal ausdrücklich lobend erwähnen, Wahnsinn, was der da abzieht)? Keine Ahnung, hauptsache weg von hier.
Das, was mich gerade noch an Klingeltonwerbung erinnert hat, klingt am Ende von „Captain Señor Mouse“ eher nach der Einleitungsmelodie einer Nachrichtensendung, in der die süße junge Sprecherin mit der doofen Frisur von Dopingskandalen und dem ungeklärten Verschwinden eines jungen Marathonläufers berichtet.
Das ist so ungefähr das, was ich mir, ohne es wirklich zu wissen, versprochen habe, als ich dich im Vorfeld des Samplertausches nach Fusion gefragt habe. Neun von zehn bunten Smarties für meine neue Lieblingshintergrundbeschallung beim Joggen um den Block. Jetzt müsstest du mir nur noch verraten, ob es ein Fehler war, „Romantic Warrior“ (von dem dieser Song nicht ist) neulich im Laden stehen gelassen zu haben, um mir ein Live-Album von Swans zu kaufen, obwohl ich Live-Alben eigentlich doof finde.
Da solche Sampler-Geschichten immer auch ein Anlass sind, sich fortzubilden, ein paar neue Namen zu lernen und die über einen längeren Zeitraum nicht zu vergessen, weiß ich nun, dass Billy Cobham auf „The Inner Mounting Flame“ von Mahavishnu Orchestra, die ich, da „Meeting Of The Spirits“ ja so toll war, nun mein Eigen nennen kann, die Drums eingespielt hat. Dass ich das erst herausgefunden habe, nachdem ich „Crosswind“ zum ersten Mal gehört habe, hat mich glücklicherweise vor einer mittelschweren Enttäuschung bewahrt, denn so ekstatisch wie bei Mahavishnu Orchestra geht es hier lange nicht zu. Vom Sexappeal her ist es allerdings in etwa das gleiche Niveau. Den Großteil der Spielzeit macht alles einen sehr aufgeräumten Eindruck, Drumrhythmus und Bassline sowie das sich bis dahin wie ein roter Faden durch den Song ziehende Klimpermotiv bleiben ungefähr zwei Minuten lang völlig gleich, der Bläsereinsatz klingt nach einem sich öffnenden Vorhang. Eine Gitarre, die hoffentlich von John McLaughlin gespielt wird (dann habe ich wenigstens einen vernünftigen Grund, mich vom Drumming ablenken zu lassen), betritt die ziemlich schäbige kleine Stripclub-Bühne, schmiegt sich an den bisher noch stangengeraden Rhythmus. Wie der Gitarrist die Töne teilweise überdehnt, glühen und zerlaufen lässt, lässt mir da Wasser im Munde zusammenlaufen und mich wünschen, ich wäre mit dieser rockverbunden, aber kitschfrei solierenden Gitarre alleine ohne Stange, Scheinwerferlicht und die beobachtenden Gäste, denn die – beziehungsweise die ständige Anwesenheit dieses rhythmischen Gerüstes – können durchaus etwas störend und penetrant werden, auch wenn man sich nach zwei Minuten sichtlich um Abschweifung und Abwechslung bemüht. Beendet wird das Stück dann wieder von diesen Showbläsern.
Insgesamt fand ich dieses Stück Striptease-Jazzfunk trotzdem sehr lässig. Es geht mir zwar irgendwie gegen den Strich, in diesem Zusammenhang schon wieder Musik mit den niederen Instinkten zu bewerten (ebenso sehr, wie es mir leid tut, gerade am Drumming ein bisschen was auszusetzen gehabt zu haben), aber acht von zehn dicken Männern mit Geheimratsecken und zuckenden Augenbrauen (wie hier -> :twisted:) kann ich dafür schon zücken. So klappt’s auch mit den Frauen.
Bei „The Sleepwalkers“ von Van der Graaf Generator frage ich mich abermals, wie du darauf gekommen bist, dass das nach einem Stück wie „Crosswind“ Sinn ergeben könnte…vielleicht war dein Ziel ja der Schockeffekt. Den Anfang dieses Stücks würden Eisenpimmel wohl als Mischung aus dem Progressiv-Rock der Frühsiebziger Jahre und der luftigen Grazie des Spätbarocks beschreiben, ich würde diese sperrige Wortkonstruktion auf das feine kleine Schlagwort „Märchenprog“ herunterbrechen. Im weiteren Verlauf dieses Samplers werde ich mich noch zu Genüge mit dieser Art von Musik beschäftigen müssen, da freue ich mich an dieser Stelle mal darüber, dass Van der Graaf Generator es besser machen. Was sie von üblichen Märchenprog-Vertretern unterscheidet, ist einerseits, dass Peter Hammil auch im hübsch melodischen und harmonischen ersten Teil des Stücks nicht vollkommen zurechnungsfähig klingt und mit geweiteten Pupillen im philosophischen Garten umherwandelt, andererseits scheint alles hellwach und aufmerksam anstatt verträumt, unter Strom stehend, fast ein wenig paranoid. Da „The Sleepwalkers“ nach kaum drei Minuten wie erwartet langsam in den Wahnsinn kippt, war die Sorge zumindest nicht ganz unbegründet. Die Melodie, die dann gespielt wird, wechselt zwischen Zirkusflair und Karibikurlaub…ab 3:30 allerdings eher schon Karibikurlaub of Death, denn dann beginnt diese fies-alberne Melodie, später von einem mittlerweile sichtlich mies gelaunten Peter Hammill angetrieben, gegen Wände zu laufen und sich aus ihrer Zwangsjacke befreien zu wollen. Die Lage beruhigt sich mit einem wehmütig-verträumten „If I only had time, but now my time is ended“, alles löst sich für eine Weile in spacey Synthiegeblubber auf. Dann haben der Drummer und der Keyboarder plötzlich keinen Bock mehr auf den Scheiß und stimmen einen breitbeinigen und total geil und originell gemachten Instrumentalpart an. Der Takt ist stampfend, das Saxophon klingt irgendwie nach „Rocky“ und „Ghostbusters“ und spielt schließlich noch ein Solo, das auf der Gitarre nicht halb so cool geklungen hätte. Van der Graaf Generator haben zwar keinen Gitarristen im Line-Up, klingen aber teilweise fieser, gefährlicher und mehr nach Rock’n’Roll als viele vermeintliche Genrekollegen. Dass man mittendrin noch den Mikro-Exzentriker wieder von der Leine lässt, spricht für Mut (denn bei anderen Bands wäre dieses waghalsige Konstrukt spätestens an diesem Punkt zusammengestürzt) und ist der Grund, weshalb ich VdGG mittlerweile so toll finde. Zumindest kenne ich keine Prog Rock-Band aus dieser Dekade, die sich getraut hätte, einen Sänger vors Mikro zu stellen, der so viel Aufmerksamkeit für sich fordert, die Musik oftmals dominiert und ihr teilweise die Show stiehlt. Zum Ende hin kommen wieder diese schön psychotischen Zirkusmusik from Hell-Parts, irgendetwas, was bei anderen Bands mit anderem Sänger vermutlich feierlich und pathetisch klingen würde, dann wieder „…but now my time is ended“ und Synthiegeblubber, jetzt aber endgültig. Kann man so machen.
„Godbluff“ habe ich mir mittlerweile ja auch gekauft (Jetzt schau, was du angerichtet hast!) und bin mal gespannt, was die sonst noch taugt. „The Sleepwalkers“ bekommt 8,99999 von zehn „Ghostbusters“-Schildern, da ich ja noch Luft nach oben für Konkurrenz aus den eigenen Reihen lassen muss.
Songs, die mit irgendwelchen Samples anfangen, finde ich ja grundsätzlich super (siehe Godspeed You! Black Emperor), bei Marillion – Chelsea Monday ist der Übergang aber ein bisschen ungeschickt gemacht. In den Strophen hält sich noch alles vornehm zurück, es gibt einen traurig schlurfenden Rhythmus, etwas kitschige Glockeneffekte und einem Fish, der mit warmer Psychotherapeutenstimme von den Sehnsüchten eines aufstrebenden Showbiz-Engels erzählt. Dann geht das Stück ohne Vorwarnung in ein ordentlich hallunterlegtes Gitarrensolo über. Klingt wahnsinnig pathetisch und sehr nach den 80ern und somit eigentlich recht unterhaltsam, was das im dramaturgischen Sinne da zu suchen hat, erschließt sich mir nicht ganz, aber auch Neoprog ist ja nicht Malen nach Zahlen. Das folgende kleine Akustikgitarren-Intermezzo finde ich atmosphärisch irgendwie wirkungsvoller als das Solo davor. Auf diesem musikalischen Fundament erzählt Fish die Geschichte von dieser jungen Schauspielerin da weiter. Der Übergang zum Gitarrensolo gelingt diesmal besser, es wird schon im Vorfeld Spannung und Dramatik erzeugt. Die Melodie, auf die sich die Kometenschweif-Gitarren im Folgenden einigen können, ist prägnant und einfach, Fish stelle ich mir vom gedämpften blauen Scheinwerferlicht und von Trockeneisnebel umgeben und theatralisch gestikulierend vor. Ach ja, (Sprach-)Samples finde ich ja wie erwähnt total knorke, und dieses Mittel nutzt man auch, um den tragischen Untergang dieses Mädchens zu besiegeln, bis am Ende des Songs Fish nachdenklich an ihrem Grab steht und dann immer wieder flüstert: „She was only a dreamer…“. Gerade dieser letzte Part erinnert mich ziemlich an das, was Pain of Salvation ungefähr 20 Jahre später machen sollten (bzw. es bringt mich darauf, dass eigentlich der gesamte Song daran erinnert), bloß klingt es bei Pain of Salvation deutlich verzweifelter und böser, wenn sie von kaputten jungen Frauen erzählen. Marillion klingen dadurch andererseits auch deutlich pathetischer, eigentlich fast schon überkandidelt, aber dafür, dass die Ästhetik dieses Songs in den folgenden Jahrzehnten noch zigmal auf die Spitze getrieben, peinlich missverstanden und ironisiert werden sollte, können sie ja nichts. Irgendwie tut es mir auch Leid, mich mehr vom Song distanziert zu haben, als eigentlich beabsichtigt war, denn im Grunde finde ich ihn aufgrund seiner dichten Tragik, der behandelten Thematik und ja, auch seines Pathos‘ ziemlich töfte. Achteinhalb von zehn Schminkköfferchen dafür, so klappt’s mit den Frauen nämlich auch.
Puh, du kannst dir nicht vorstellen, wie absurd müde ich gerade bin. Ich mache jetzt Heiabubu und sage: „Tschüss und bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: palez referiert seitenlang über irgendwelche Leute und Gegenstände!“
€: Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich kürzere Reviews geschrieben. *lol*
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]