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Frau Holle hat für mich heute die Schule ausfallen lassen, steht jetzt mit einer AK-47 und grimmigem Gesicht ein paar Meter von mir entfernt und sagt mir, dass es für mich keinen Grund gebe, xkiwipox heute nicht mit der ihm zustehenden Buchstabensuppe zu versorgen…ja, warum denn auch nicht.
Immer wenn ich Musik höre, bei der man den Bass deutlich heraushören kann, dann freue ich mich und klatsche vergnügt in die Hände. Mit Musik von Bassisten habe ich es bisher jedoch noch nicht probiert, also bin ich jetzt mal gespannt, ob mir Gustavo Dal Farra – Chirrinky, offenbar das einzige Stück deines Samplers, das nach der Jahrtausendwende veröffentlicht wurde, taugt. Zumindest der Anfang gerät mit einer hübschen, leicht hypnotisch enge Kreise um ein unsichtbares Zentrum ziehenden Melodie noch durchaus lecker. Die rhythmische Untermalung bildet Dal Farra vermutlich selbst, indem er mit Kugelschreibern zwischen den Zehen auf Blechdosen spielt. In der zweiten Hälfte wird die Lage aber verzwickt, da sich „Chirrinky“ in die Art von Musik für Musiker verwandelt, die meine Vorurteile gegenüber Soloinstrumentalisten nährt. Schade. Mehr fällt mir zu diesem recht abgenagt erscheinenden und strukturell zumindest überschaubaren Stück irgendwie nicht mehr ein. Sechs von zehn schlechten Bassistenwitzen und fünf Cent in den Hut, den er mir aufdringlich vor die Nase hält, für Gustavo Dal Farra.
Abgenagtheit und strukturelle Überschaubarkeit kann man Camel – Lady Fantasy nicht unbedingt attestieren, ist aber in Ordnung so. Zunächst einmal gibt es Hammondorgelalarm, recht breitbeiniges Riffing und sich Platz schaffende Drums, dieser Ansatz wird allerdings nach kaum einer Minute fallengelassen und vergessen. Der Grund ist mir nicht ganz ersichtlich. Das Drumming im folgenden Part ist leicht und unaufdringlich, die Gitarrenmelodie nett und leicht melancholisch. Ein bisschen spielt man im weiteren Verlauf mit dem Keyboard herum, was nicht nötig wäre, aber auch nicht stört. Die Stimme des Sängers ist angenehm rauchig und tief und angenehm rauchiger und tiefer, als ich es in diesem musikalischen Zusammenhang erwartet hätte. Auf dem locker-flockigen rhythmischen Fundament breitet sich noch bis zum Ende dieses Parts ein ebenfalls nach Sonnenuntergängen am Strand und Saftcocktails klingendes Solo aus, der wirklich gute Sänger darf kurz nochmal ran, dann wird das Drumming schneller (merke: nicht härter oder druckvoller) aber man kann nun ein bisschen uncoole Dancemoves dazu machen und Luftgitarre (bzw-Keyboard) darf man dazu auch spielen. Nach gut fünf Minuten wird’s wieder sentimental, das Stück ist strukturell konfus, aber immerhin nicht berechenbar. Wobei die Band sich zumindest ab dem Zeitpunkt an so etwas wie einem stringenten Aufbau versucht. Alles fließt nun einigermaßen schön ineinander über, das Meer und die Strandbar sind verschwunden, Sologitarre und 70er-Orgeldings lassen den Blick des Hörers über eine vom Sonnenuntergang in glühende Rottöne getauchte Wüste schweifen. Die Band ist sich der Tatsache bewusst, wie gut ihr die Melancholie steht, lässt die Drums aussetzen und verdichtet die Atmosphäre. Ob die kleine Kamelkaravanne, die so ab 8:13 hinter Sanddünen auftaucht und die im Titel genannte Lady Fantasy besingt, nun eine Fata Morgana oder real ist, lässt sich nicht sicher sagen. Das krönende Finale des Songs, ein wieder rocklastigerer Part mit unwiderstehlichem Groove, kommt wieder recht abrupt und unerwartet, aber doch gekonnt. Dazu können mir Hammondorgeln in dem Zusammenhang fast immer ein Grinsen ins Gesicht zaubern. Zum Ende hin findet das Stück wieder zur Gitarrenmelodie vom Anfang (also der nach dem Part, bei dem ich immer noch nicht weiß, was er da sollte) zurück und ich bin zufrieden.
Gewissermaßen habe ich schon gemerkt, dass das dazugehörige Album rauskam, als fast alle wirklich bekannten und wichtigen klassischen Progrock-Alben der 70er bereits veröffentlicht waren. Es scheint andererseits aber auch, als hätten Camel diesen Sound geschliffen und in Details perfektioniert, aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt (abgesehen von den holprigen Übergängen in der ersten Songhälfte…). Zudem hat „Lady Fantasy“ vor allem im seiner zweiten Hälfte eine Melancholie und Schwere an sich, die ich schwer mit Worten erfassen kann, die mir aber förmlich auf der Zunge zergeht. Da ich sowas immer toll finde, bekommen Camel acht von zehn Zigarettenpackungen und einen halben Saftcocktail.
Bei Camel habe ich gerade ihre Entspanntheit und ihr Talent, eine wirklich gute Idee als solche zu erkennen und ihr etwas mehr Zeit und Entfaltungsraum zu geben, ja gerade gelobt, so gesehen haben Gentle Giant mit ihrem achtminütigen „In a Glass House“ einen eher schweren Stand. Schon beim Anfang, der Fiedelgeigen mit komischem Klimperzeug und vergnügt hüpfendem Drumming verbindet, drängt sich eine gewisse Überambition auf. Mit dem Drummer habe ich bei den vielen Taktwechseln aufrichtiges Mitleid…oder finde ihn gleich wieder unsympathisch, wenn es eine reine Demonstration seines Könnens sein soll. Die Melodik erinnert mich teilweise an mit Blockflöte auf der Waldlichtung herumfüpfende Kobolde, die Gesangseinsätze kommen irgendwann recht hektisch rüber. So ab der Hälfte will man ein bisschen die Rock-Wurzeln dieser ansonsten wenig geerdeten Musik offenlegen, scheitert aber an seiner eigenen Aufregung und daran, dass man offenbar auf Reißzwecken sitzt und somit keinen wirklichen Groove in sein Spiel bringen kann. Am Ende gibt es nach einer kleinen Pause für einige Sekunden Glasklirren, Melodiefragmente und einen umso verwirrteren Eindruck.
Mit jedem Mal, dass ich das Stück gehört habe, ging es mir mehr auf die Nerven. Es klingt einerseits nach staunenden Kindern vor einerm riesigen Hügel aus Legosteinen, andererseits nach denselben Kindern, die nach einigen Jahren zu waschechten, besserwisserischen Nerds mit bis in die Achselhöhlen hochgezogenen Hosen geworden sind, was in der Summe eine recht beängstigende Mischung ergibt. Das würde mich vielleicht nicht einmal stören, wenn das alles nicht gar so fröhlich klingen würde…wenn es nicht gerade Slowdive sind oder die Lala wenigstens ordentlich Trashappeal hat und man dazu tanzen kann, funktioniert fröhliche Musik bei mir einfach nicht. Zu mehr als zu vier Legosteinen und einem halben Chemiebaukasten für das Züchten von Urzeitkrebsen kann ich mich deshalb nicht überwinden, liegt vielleicht aber auch daran, dass das folgende Stück dieses hier (und alle anderen des Samplers) bei weitem übertrifft…
…Peter Hammill – A Louse Is Not A Home ist nämlich seit Drautran – Dusk of the Fimbulwinter das beste, was ich in meiner laaaangen Sampler-Karriere bewerten durfte. Der Vorhang öffnet sich, im Schatten steht ein bleich geschminkter Chor, das Schweinwerferlicht fällt auf Hammill, den Hauptprotagonisten. Sometimes it’s very scary here, sometimes it’s very sad…Das Klavier erhält Unterstützung von ungefähr der ganzen Van der Graaf Generator-Hintermannschaft, der Part ist feierlich, weit ausholend und unendlich traurig und würde bei anderen Bands vielleicht das Grande Finale eines Songs darstellen. Andere Bands würden ihren Sänger auch nicht das ganze schöne Pathos brechen, sein Gesicht zu Grimassen verziehen lassen, bzw. auch auf einem Soloalbum würde sich ein anderer Sänger sowas in diesem musikalischen Kontext nicht unbedingt trauen. Langsam wird es heller auf der Bühne, der Protagonist wandelt umher ohne rechten Blick für die hübschen Kulissen und Requisiten. Mit dem Einsatz der Flöte klingt das Stück zumindest kurz eher introvertiert, bis alles in einen angesichts des Fehlens einer Gitarre merkwürdig (angenehm merkwürdig!) klingenden, knorrigen Rockpart mündet und eine Melodie aufgegriffen wird, die ich hier einfach mal als Bridge bezeichnen würde. Dann nimmt man plötzlich Anlauf zum Refrain, überlegt es sich anders, Bridgemelodie darf nochmal ran. Das Spiel der Drums und des Saxophons ist merklich vehementer als vorher, Hammill singt mit einer wütenden, zynischen Bösartigkeit, die die ersten Gäste in Bedrängnis bringt. Mit dem den Refrain einleitenden „What is this place you call home?“ durchbricht er zum ersten Mal im Verlauf des Stücks die Vierte Wand, springt von der Bühne, packt wahllos irgendeinen Spießbürger am Kragen, läuft wutentbrannt und wild gestikulierend durch die Reihen. Die Melodie des Refrains ist eine dieser Sorte, bei der man sich fragt, wieso Leute nicht schon früher (wobei: das Stück ist von 1974…egal) darauf gekommen sind, verblüffend einfach und eingängig, mitreißend, werde ich wohl noch am Sterbebett auswendig nachsummen können. Schnell merkt der Protagonist, dass sein Wüten vermutlich sinnlos war, lässt sich auf der Bühne auf einen der herumstehenden Holzstühle fallen und sinniert mit immer größer werdenden Zweifeln über sein Leben. Er vergräbt sein Gesicht in seinen Händen…doch irgendwas stimmt nicht. Ein gespenstisches Wabern des Saxophons kommt immer näher, setzt sich mit Drums und Orgel zu der Vertonung eines psychischen Abgrunds zusammen. Trauer fließt über in Panik, der Protagonist reißt sich die Haare aus, Statisten in schwarzen Overalls schwirren um ihn herum und umwickeln ihn mit Stacheldraht. Aus dieser psychischen Hölle findet man wieder zur Bridge, von da aus auch zum Refrain, irgendwie muss er sich aus dem Stacheldraht herausgewunden haben. Die Leute in den schwarzen Overalls verstecken sich hinter den Requisiten, die Hammill mit dem erwähnten Holzstuhl teilweise zu Klump schlägt. Die Statisten flüchten hinter die Bühne, das Publikum ist mindestens irritiert, einige haben den Saal verlassen. Dann plötzlich, ein Stuhlbein emporhebend, lässt sich Hammill wieder fallen, die Band tritt in den Hintergrund, es kommt eine bittere Einsicht. Mit zusammengebissenen Zähnen singt er „Maybe I should de-louse this place, maybe I should de-place this louse, maybe I’ll maybe my life away in the confines of this silent house…“ und die Band sieht es schließlich als ihr Stichwort. Dies soll nun wirklich das große Finale sein, auf eine kaputte Art und Weise wieder die Feierlichkeit vom Anfang transportierend, mit „Sometimes it’s very scary here…“ schließt sich der Kreis. Irgendwo im Hintergrund setzt auch der Chor wieder ein, ein Scheinwerfer kracht auf die Bühne, über das expressiv geschminkte Gesicht des Protagonisten laufen Tränen. Mit einem wiederholten, fragenden „I…“ und leisem, hellem Wabern endet das Stück, zeigt kein Licht am Ende des Tunnels, stellt so etwas Ähnliches aber in Aussicht.
Van der Graaf Generator mochte ich ja schon vorher und die paar weiteren Stücke, die ich vor deinem Sampler von Peter Hammill bereits kannte, eigentlich auch, dass er aber einen Song komponiert, der so reich an Stimmungen und Einflüssen, so gewagt und dabei so souverän, so höchst ambitioniert und doch so direkt, so erhaben und vollkommen, vor allem aber so intensiv und drängend existentialistisch ist, hätte ich ihm zugegebenermaßen nicht zugetraut. Es gibt viele Formen von musikalischem Wahnsinn, der von Peter Hammill verkörperte ist ein zutiefst menschlicher, emotional absolut nachvollziehbarer Wahnsinn, genährt von Verzweiflung, Wut, Hilflosigkeit, Pessimismus und dem Unwillen, sich mit den gegebenen Zuständen abzufinden. Das mag jetzt furchtbar doof und geschwollen klingen, aber es war mir eine Ehre, diesen Song rezensieren zu dürfen. So viele Heiratsanträge (Maßeinheit für die Qualität von Singer/Songwriter) wie möglich für meine wichtigste Neuentdeckung der letzten paar Monate.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]