Re: palez gegen xkillwithpowerx oder auch "born too late"-Hipster vs. Proglusche/shit eating jazz snob

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palez

Registriert seit: 04.01.2007

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Noch ist Zeit, die letzten drei (zwei) Reviews wie ein Weihnachtsgeschenk aussehen zu lassen, also warum nicht. Was die Bewertungen angeht, gibt es bei mir aber nichts geschenkt. Bonk!

Hier soll aber nicht der Eindruck entstehen, dass ich das gerne machen würde. Im Gegenteil: Genesis gehören zu den Bands, von denen ich mir beim Lesen der Tracklist am meisten erhofft habe. Möglicherweise hast du mich mit „The Cinema Show“ auch nur auf dem falschen Fuß erwischt und es würde sich für mich doch lohnen, da dranzubleiben, aber aktuell bewegt sich meine Motivation in eher überschaubaren Bereichen. Das Stück ist von der Wirkung vergleichbar mit dem von Gentle Giant, nur irgendwie andersrum; bei den ersten Durchläufen wollte ich es noch sprichwörtlich gegen die Wand schmeißen, mittlerweile finde ich es zumindest partiell ganz angenehm.
Ich muss mich zwar anstrengen, aber einige Details nötigen mir sogar ein anerkennendes Nicken ab. Der hochgelobte Peter Gabriel macht einen durchaus sehr guten Job als Sänger, auch wenn sein Gesang verglichen mit dem expressiven Wahnsinn des Stückes davor recht unauffällig und blass ist. Zum Glück liegt zwischen dieser und der letzten Lieferung Buchstabensuppe genügend zeitlicher Abstand, damit der Eindruck von Peter Hammill nicht mehr ganz so stark ist, denn eigentlich ist es unfair und blöd, Hammill und Gabriel miteinander zu vergleichen und letzteren dadurch abzuwerten. Es fehlt ihm auch eigentlich nicht an Ausdruck und die Stimmfarbe ist schon nett. Dann ist da noch diese vorbildliche Produktion, die in etwa so klingt, wie ich es mir von Frühsiebzigerprog wünsche. Weich, kuschelig, naturbelassen, differenziert, warm, analog. Da wirkt der retrofuturistische 70er-Schnickschnack, von dem es hier allerdings sowieso relativ wenig gibt, auch gar nicht so out of place und die Instrumentierung auch nicht so heterogen, wie ich es von Bands aus dieser Sparte sonst kenne. Richtige Gourmetkost. Die Musik passt im gewissen Sinne dazu, schade bloß, dass ich sie nur mit Überwindung okay finden kann.
In der ersten Songhälfte wird so eine Art folkiger Progrock gespielt, was aber nicht halb so spannend klingt, wie es auf dem Papier aussieht. Ja, die Instrumentierung weist in die Richtung und es ist für mich auch oft angenehm, im Rock-Kontext spartenfremde Instrumente zu hören, ohne dass sie bloßen Gimmick-Charakter besitzen, aber das hier klingt nicht nach Natur, nicht nach sprödem Gestein und Zerfaserung, auch nicht einmal nach einem Häuschen auf der Waldlichtung, sondern eher nach einer Kunstgartenanlage auf einem britischen Schlossgrundstück. Es ist sehr geordnet. Manchmal finde ich sowas schade. Es kommt mir gerade in den Sinn, dass ich schon wieder völlig falsche Ansprüche an Genesis stelle, aber andererseits hast du mit diesem Song vielleicht auch einfach nur die falsche Person erwischt.
Als hätte die Band Anfang der 70er meine Gedanken aus 2010 gelesen, kommt in der zweiten Hälfte ein ausschweifender Jam. Irgendwie klingt das immer noch sehr aufgeräumt. Und unverändert idyllisch. Die meisten Mellotron(?)-Melodien, die bei diesem Jam entstehen, will ich nie wieder hören, so nichtssagend fröhlich und zufrieden klingen sie. An makellos positiver Grundstimmung ist es ja schon bei Gentle Giant und dem ersten Yes-Song gescheitert, bei Genesis klingt es aber immerhin nicht ganz so unsympathisch. Dennoch bin ich froh, wenn der Song vorbei ist und übergangslos in „Aisle of Plently“ mündet, das 1:35 Minuten all das betont, was ich in den elf davor positiv hervorgehoben habe (oder es zumindest versucht). Apropos „übergangslos“: Wieso hat man nicht einfach einen Song draus gemacht? Haben diese 1:35 Minuten im Original nicht mehr auf die LP-Seite gepasst oder sowas?
Okay, das tut mir jetzt eigentlich selbst furchtbar Leid. Bestimmt ist der Song richtig super und ich habe irgendetwas falsch gemacht. Mehr als fünf Tässchen Tee in einem hübsch verzierten Gartenhäuschen und ein halber Kekskrümel ist da vorerst nicht drin. Aber vielleicht besorge ich mir beizeiten noch das ein oder andere Soloalbum von Peter Gabriel.

Nach „Close to the Edge“ vom Anfang hatte ich an das nun vorliegende „Heart of the Sunrise“ ja schon gewisse Erwartungen…um nicht zu sagen, dass ich gewisse Befürchtungen im Bezug darauf hatte, denn trotz einiger sogar sehr guter Parts hat das Stück insgesamt eher zum Abhaken und Vergessen eingeladen. Nun zwingen mich Yes aber fast wieder dazu, meine Meinung über sie zu revidieren.
Der erste Yes-Song des Samplers hat mich ja eigentlich gelehrt, bei dieser Band nie einem halsbrecherischen Anfang zu trauen, der von „Heart of the Sunrise“ ist aber leider total unwiderstehlich gemacht. Die Melodie, an der sich die Instrumentalposer abarbeiten, ist prägnant und hält das Potential für eine spannende Songentwicklung bereit, das Basspiel vermittelt das Gefühl von roboterartig präzisen Faustschlägen in die Kauleiste im Zehntelsekundentakt. Was der Drummer veranstaltet, um den Song explosiv und bloß nicht berechenbar zu machen, klingt auch ordentlich kompliziert. Zwischen zwei Faustschlag-Parts ist ein Abschnitt mit Flirrkeyboards, angedeuteter Gefahr und Spannungsaufbau, diese kompositorische Sprungrampe nutzt man zwar nicht wirklich, aber sei’s drum. Das klingt alles exzessiv auf die professionelle und beherrschte Art und Weise, eine kleine Fusion-Kante ist auch dabei. Nach ungefähr dreieinhalb Minuten rückt die Band recht unvermittelt in den Hintergrund, um für den Sänger einen dezenten, atmosphärisch wabernden Klangteppich auszubreiten. Wenn ich mich recht entsinne, war der Gesang beim letzten Mal einer der Knackpunkte…zum Glück ist diesmal kein Chor dabei. Im Grunde klingt er mir immer noch zu hoch, aber in diesem Zusammenhang kann ich gut drüber hinweghören. Allmählich drängt sich in diesem balladesken Abschnitt wieder die Band in den Vordergrund, kurzzeitig klingt der Song nach Nahtanz in einem Edelrestaurant auf dem Mond („Sharp! Splinters!“…darf man das hier als Refrain bezeichnen?), und schließlich übernehmen die Spielereien und die Nebenschauplätze wieder die Kontrolle. Angenehm ist die Feststellung, dass ich mir auch bei diesen Technik-Showoff-Parts vorstellen könnte, dazu zu tanzen. Ich weiß nicht, wie die Band aus diesem organisierten Detailchaos wieder rausfindet, aber ein standesgemäßes Grande Finale gibt es sogar auch.
Irgendwie weiß ich gerade nicht, wie ich das Stück bewerten soll. Gewissermaßen sind Yes vom Between The Buried And Me-Syndrom betroffen; ich finde sie, die Makellosigkeit ihrer Musik, ihre technische wie strukturelle Angeberei und (trotz ihrer kompositorischen Courage) ihren Mangel an fühlbarer Leidenschaft und Wahnsinn immer noch unsympathisch. Andererseits komme ich nicht umhin, ihre Fähigkeiten nicht nur anzuerkennen, sondern zu bewundern, und zuzugeben, dass „Heart of the Sunrise“ ein kompositorisches Glanzstück ist, bei dem ich mich gefühlt habe wie bei einer Achterbahnfahrt mit verbundenen Augen, und ich keine Sekunde einen Gedanken etwas anderem als dem Song gewidmet habe. Achteinhalb Fahrten mit der Kingda Ka. Widerwillig.

€: Fazit: Eigenlich ein annähernd idealer Sampler. Größtenteils gut bis sehr gut, ein paar unvermeidliche Gurken für die Abwechslung, aber auch vieles, was ich großartig fand und bei mir bereits im Plattenschrank steht. Sehr lehrreich auch. Danke! 🙂

PS: Laut last.fm hast du dir ja nun Tom Waits auf Albumlänge angehört…und, wie gefällt’s? 🙂