Re: Anddies Mottenkiste: Die 70er Jahre

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andysocial

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Kraftwerk – I (1970)

Ralf Hütter (Orgel & anderes Gedöns)
Florian Schneider (Flöte, elektrisches Schlagzeug & anderes Gedöns)

Zeit auch mal ein Wort über Kraftwerk zu verlieren. Die meisten von euch werden Kraftwerk als die Pioniere des Elektropop kennen. Aber das ist auch das was die Band will das man kennen soll. Vor dem Elektropop haben die Herren nämlich 3 Alben lang der experimentellen, kosmischen, handgemachten Musik gefrönt, was sie am liebsten unter den Teppich kehren würden. Diese Alben sind auch nur noch als Bootleg erhältlich und haben ihren Preis. Aber wer die erste Platte in die Hände bekommt, sollte zuschlagen, vor allem wer auf lange psychedelische Brainwashmusik steht.
Das Album legt mit Ruckzuck los, ein Psychedelicklassiker. Ein kurzes Intro und nach 20 Sekunden kommt schon der Rhythmus der einen die restlichen 8min abspacen lässt. Großartiger Rhythmus, eigentlich die Blaupause für alle trippy songs. Ein paar Flöten übereinander gelegt, dazu ein extrem monotones Elektroschlagzeug, das sich nach bong-bong bong-bong anhört. Das muss ein Schauspiel gewesen sein das einzuspielen. Dazwischen springt immer mal wieder das Intro ein und bläst Wind rein. Und was macht ein Song noch trippiger? Genau, man spult einfach ein wenig vor, bis man keine Lust mehr hat und zerstört den Rhythmus mittendrin. Kurzer Stillstand, der Rhythmus baut sich langsam wieder auf, verliert sich zwischendrin in irgendwas dunklem, kommt dann doch zurück und der Trip geht mit maximaler Geschwindigkeit weiter. Ja Mann!
Song #2 ist Stratovarius, ein dunklerer Bastard, ebenfalls aus Raum und Zeit, verloren in FX Effekten, die man in den düsteren Szenen von 2001: A Space Oddysee gehört hat, Kosmische Musik wie sie Tangerine Dream nicht besser gemacht haben. Space Horror vom Feinsten. Nach 5min wandelt sich der Song ein wenig, ein leicht trippiges Ambientstück entsteht daraus, aber längst keine Orgien wie bei Ruckzuck. Der Song baut sich doch noch auf, gewinnt an Härte und Herzlosigkeit. Ein echter Bastard an schlechten Gefühlen. Hmmm, wie der Krautrock doch besonders war, die ganze Rockwelt hat uns Anfang der 70er darum beneidet. Und heute kennt ihn kaum noch jemand.
Der nächste Song ist Megaherz. Ein Taperekorder ist zu hören, danach eine stehende Welle, Ambient und Dronefreunde lauschen auf. Wieder dunkel und kalt ist es. Die Orgel müht sich ein paar schräge Töne ab, eisiger Wind weht vorbei, wer avant-garde sein will der hört sich das 12h am Tag an. Nach 2min wird es ruhiger, erinnert sehr an frühe Tangerine Dream (vielleicht werde ich über die auch noch was schreiben, wenn es interessierte gibt). Der Song bekommt so etwas wie eine zarte Melodie, verliert sich aber immer in den Weiten des Kosmos. Der Song wirkt wie ein Ambientstück aus dem Jahre 2010. Kein Millimeter Rost, kein Korn Staub. Das mit der Technik von 1970. Meisterhaft. Mehr kann darüber nicht sagen. Übergrosses Kino. Man muss allerdings schon einen Draht zu Ambient oder experimentellen Geschichten haben um sich daran zu erfreuen. Jedermanns Geschmack trifft es sicher nicht.
Der letzte Song der Platte ist Vom Himmel Hoch, wieder ein dunkles Spacespektakel, bei dem man auf der dunklen Seite des Mondes steht und keine Aussicht auf Licht erwarten kann. Dieses Mal aber ein schweres Stück. Anstrengend. Der Song fängt wir Megaherz mit einer Reihe von Effekten an, die nur das Ziel haben sich in die Musik hineinzuwerfen, mit aller Aufmerksamkeit die man geben kann. Effekte kommen und gehen, halten sich aber dennoch an dem Faden des Gruselns fest. Fade in, fade out. Mal ein Knistern, mal ein Rascheln. Nach 4min setzt das Schlagzeug zu einem Rhythmus an, die Effekte formen eine Art Beat, der aber nicht von Dauer ist. Ständig ein wechselnder Effekt, dann wieder ein catchy Beat der an Ruckzuck erinnert, das Schlagzeug hämmert ein echtes Rockstück raus, schnappt die Kopfhörer, Captain Trip ruft wieder.

http://www.youtube.com/watch?v=XIu2Fr2nIhI
http://www.youtube.com/watch?v=Iku0E-Mbg6c